Italo Svevo - Der alte Herr und das schöne Mädchen

 

 

 

Diese im Jahr 1928 geschriebene, im Ersten Weltkrieg in Triest spielende Erzählung Svevos ist sein letztes Werk: im selben Jahr verstarb er an den Folgen eines Autounfalles, er wurde 68 Jahre alt.

 

Der Held der Erzählung ist ein 60jähriger, gut situierter Herr, alleinstehend, in einem Büro arbeitend. Er fährt täglich mit der Straßenbahn zur Arbeit, hier wird er eines Tages auf die Wagenlenkerin aufmerksam, eine hübsche junge Frau, bunt gekleidet und gut gelaunt.

Sie spricht ihn an, ob er ihr nicht eine weniger anstrengende, besser bezahlte Arbeit vermitteln könnte, das wäre doch ein Leichtes für ihn. Spontan verabredet er sich mit ihr für den Abend, sie besucht ihn in seiner Wohnung, ein feines Essen ist bereits aufgetischt.

 

Eigentlich ist er der Verführer, aber er versucht sich selbst in der Rolle des Wohltäters zu sehen. Er gibt dem Mädchen Geld, scheinbar nicht für ihren Besuch, sondern um seine „unmoralische Anwandlung“ vor sich selbst zu kaschieren: er hilft ihr.

Er lädt das Mädchen immer wieder zu sich ein, meint jedes Mal ihr viel Geld gegeben zu haben (später merkt er, dass es kleine Beträge waren, es sind Kriegszeiten), und die Begegnungen erschüttern ihn bis ins Mark. Die Liebe ist für den alten Herrn nichts Selbstverständliches mehr.

 

Er erleidet einen Herzanfall, der ihm wie ein Traum erscheint, in dem er ein Schwert in den Arm hineingebohrt bekommt, das geradewegs auf sein Herz zielt. Zwei weitere Träume deuten ebenfalls auf das hin, was ihn so schwer beschäftigt: die Moral. Die des Mädchens, seine eigene, die des „alten Herren“ im Allgemeinen. Er beginnt ein Traktat zu schreiben (Zeit hat er, denn er kann nicht mehr in sein Büro gehen, er verbringt die Tage mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit), in dem er sich über all die Fragen, die mit Liebe, Begehren, Tugend und Moral zusammenhängen, Gedanken macht.

 

In diesen Überlegungen spiegelt sich die Lektüre Freuds. Svevo hatte 1918 eine Schrift über den Traum übersetzt und auch an sich selbst psychoanalytische Versuche durchgeführt. Die Erzählung ist also auch ein Beispiel dafür, wie diese damals noch relativ  junge Wissenschaft Eingang in die Kunst fand.

 

In dem ganzen Text hören wir kaum einmal die Stimme des Mädchens, alles wird aus dem Blickwinkel des alten Herren erzählt. Er ist nicht in der Lage seine Sehnsucht nach ihr einfach als solche zu nehmen, er sagt, dass er sie beschützen und erziehen will, offensichtlich entstammt sie auch einer anderen Schicht als er.

 

So konzentrieren sich in dieser kleinen Erzählung noch einmal die Themen, die Svevos Werk ausmachen: das Triestiner Bürgertum, die Fragen nach Jugend und Alter und die Beschäftigung mit Wahrheit bzw. Lüge.

 

In dieser Erzählung spielen außer den Hauptpersonen noch eine Haushälterin und ein Arzt mit, als Hintergrund ist wie immer bei Svevo die Stadt Triest anzusehen. 

Die Stadt war bis 1918 österreich-ungarisch, Zugang der Habsburger zum Mittelmeer, ab 1918 gehörte sie zu Italien. Hier hatten sich immer schon die verschiedensten Völker gemischt, die Sprachen waren vielfältig, Triestinisch und Friaulisch wurden vom „Volk“ gesprochen, nur das gehobene Bürgertum sprach Italienisch, und auch das in einer eigenen Variante. Svevo schreibt kein "reines" Italienisch, das war mit ein Grund dafür, dass er lange Zeit verkannt blieb.

 

Er hat erst in den letzten beiden Jahren seines Lebens Anerkennung als Schriftsteller erfahren. Seine drei Romane „Senilitá“ (Ein Mann wird älter), „Una vita“ (Ein Leben) und „La coszienza di Zeno“ (Zeno Cosini) wurden weder von Publikum, noch von Kritikern wahrgenommen. Durch die Vermittlung von James Joyce, bei dem Svevo in Triest Englisch gelernt hatte, wurde „Zeno Cosini“ auf Französich übersetzt und via Paris in Italien erst bekannt.

Heute gehört Svevo zur Klassischen Moderne Italiens. Seine Helden scheitern allesamt, aber auf verschiedene Weise.

 

„Der alte Mann und das schöne Mädchen“ ist also ein guter Einstieg in das Werk Svevos, auch wenn die Erzählung ganz am Ende seines Lebens entstanden ist.

Es ist interessant, dem Herrn auf seinen verschlungenen Denkpfaden zu folgen, man versteht ihn zwar nicht immer, aber er bleibt trotzdem sympathisch und auch charmant.

 

Gleich nachdem er das Mädchen eingeladen hatte ist zu lesen:

„Alte Herren haben es eilig, denn sie unterliegen dem Gesetz der Natur, das dem Alter Schranken setzt. … Aber alte Herren lieben Klarheit in den Geschäften, er konnte sich noch nicht entschließen, diese Plattform zu verlassen. … Mit etwas Erfahrung oder auch zuvor schon, noch gänzlich ohne Erfahrung, finden junge Männer alles Nötige, ein alter Mann hingegen ist ein zerfahrener Liebhaber. Seinem Liebesmechanismus fehlt mindestens ein Rädchen. … Dieses so einfache Abenteuer nahm im erregten Geist des guten alten Herrn komplexe Formen an. Unausweichliches Schicksal!...“

 

In diesem Ton wird erzählt, ohne Brüche, fließend und nicht ohne Ironie.

Ein großer Lesegenuss!

 

 

 

 

 

 

Italo Svevo: Der alte Herr und das schöne Mädchen

Wagenbach Verlag,  2004, 109 Seiten

(Originalausgabe 1926)