María Gainza - Schwarzlicht

Das Schwarzlicht, "ein schwaches bläuliches Licht", ist das Werkzeug der Forensiker und der Kunstsachverstän-digen. Um letztere geht es in diesem Roman, der im Milieu der Sammler, Händler und Fälscher spielt. Der aber auch eine Reflexion darüber ist, was Original, was Fälschung ist, was Erinnerungen und Erfindungen von-einander trennt und was die Arbeit                                                        eines Biografen auszeichnet. 

 

Die Ich-Erzählerin, die sich den "Fantasienamen María Lydis" gab, beginnt als Fünfundzwanzigjährige "in der bedeutendsten Taxierungsstelle des Landes, an dem Ort, wo despotisch über den Preis und die Echtheit der Gemälde verfügt wurde", zu arbeiten. Zunächst als Assistentin der wichtigsten Sachverständigen des Landes, Enriqueta Macedo, innerhalb kurzer Zeit wird sie zu deren engster Vertrauten. So eng, dass Enriqueta ihr in der Sauna ein Geheimnis anvertraut: "Vierzig Jahre lang hatte die aufrechte und unnahbare Enriqueta Macedo gefälschte Kunstwerke für echt erklärt."

 

Und das nicht etwa aus Geldgier, sondern um etwas gegen die Annahme, Kunst sei nichts als eine Geldanlage, zu tun.

 

Enriqueta hatte in den 1960er Jahren zusammen mit einer Negra genannten Frau in Buenos Aires Kunst studiert. Diese geheimnisvolle Negra gehört zu einer Gruppe Bohémiens, die Fälschungen herstellt, um davon ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Negra hat sich auf die Malerin Marietta Lydis spezialisiert, deren Bilder damals sehr beliebt waren, es gab also kein Problem, sie zu verkaufen, sofern sie `echt´ waren, d.h. das Echtheitszertifikat trugen.

 

Die romantische Betrügerin Enriqueta, die (gescheiterte) Künstlerin ohne ein eigenes Werk Negra, die junge Assistentin, die ihre Chefin zur "idealen Mentorin" und "Ersatzmutter" erhebt, ist die Konstellation von Personen, aus denen María Gainza den vielstimmigen Roman entwickelt.

 

Denn nach dem plötzlichen Tod Enriquetas begibt sich die nun haltlos gewordene María auf die Suche nach der Geschichte Negras. Sie besucht das Hotel, in dem die "melancholischen Fälscher" lebten, nimmt Kontakt zu alten Bekannten der Malerin auf und führt Interviews mit ihnen. Sie studiert schließlich sogar Gerichtsakten, um eine Spur zu finden, bzw. die fragmentarischen Informationen in ein Gesamtbild zu fügen. 

 

Dabei stellt sie grundlegende Fragen: Kann eine Biografie ein Leben rekonstruieren? Hier fügt sie die Erzählung über die rätselhafte Entstehung einer Biografie des Künstlers William Blake ein, die diese Frage noch einmal von einer quasi übernatürlichen Seite beleuchtet.

Kann man der Wahrheit wenigstens nahe kommen? So nah, wie die Fälscher:innen, die einen Stil perfekt kopieren, dem Original? Aber gibt es diese Wahrheit überhaupt? Gibt es das echte Original, steht doch jeder Künstler auf den Schultern all seiner Vorgänger und entwickelt seine Ideen entlang dessen, was schon da ist? Ist eine echt gute Fälschung nicht das Originellste?

 

"Manche glauben, die Erinnerung sei imstande, die Vergangenheit ebenso präzise in den Blick zu nehmen wie das Hubble-Teleskop die Säulen der Schöpfung. ... Die Erinnerung muss wirklich eine gute Marketingabteilung haben, denn was ihre Qualitäten als optisches Präzisions-instrument angeht, scheint sie mir die eines Jahrmarkt-kaleidoskops kaum zu übersteigen. Der Versuch, mithilfe von im Gedächtnis gespeicherten Bildern ein Ereignis zu rekonstruieren, kommt meist der Halluzination allzu nahe - statt die Vergangenheit wiederherzustellen, schaffen wir sie neu, soll heißen: Wir machen Dramaturgien daraus. Die Erinnerung ... ist sowas wie eine Ghostwriterin, eine Autorin im Schatten, eine "Negra", wie sie in den Verlagen hierzu-lande sagen, eine durchtriebene literarische Negra ist das Gedächtnis..."

 

Ist María Lydis die Ghostwriterin einer Ghostmalerin?

Es tauchen tatsächlich auch noch diverse Geister auf, denn um ihrer Negra näher zu kommen, besucht María sogar eine Séance...

 

Schräge Vögel bevölkern diesen Roman, ein besonderes Krokodil schleicht umher, russische Exilanten bringen mysteriöse Koffer, ein Kunstkatalog entspringt der reinen Fantasie - ich könnte fortfahren mit der Aufzählung, denn dieser Roman ist auch ein buntes Kaleidoskop.

Die mit diversen Preisen ausgezeichnete Schriftstellerin und Kunstkritikerin María Gainza schreibt mit Können und Witz. Die auftretenden Künstler gab es alle, doch die der Realität entnommenen Puzzleteile fügt sie zu einem ganz eigenen Bild zusammen. Dieses ist weiträumig, fantasievoll, nach-denklich, in sich stimmig. 

 

"Die Menschheit insgesamt ist letztlich ein einziges großes Buch, aus dem man sich, bewaffnet mit Schere und Klebstoff, seine eigene Erzählung basteln kann. Ungefähr das mache ich hier."

María Gainza hat eine sehr anregende, vielfarbig schillernde, großes Vergnügen bereitende Geschichte gebastelt, der versierte Übersetzer Peter Kultzen hat sie wunderbar ins Deutsche übertragen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

María Gainza: Schwarzlicht

Aus dem argentinischen Spanisch von Peter Kultzen

Wagenbach Verlag, 2023, 160 Seiten

(Originalausgabe 2017)