Christina Maria Landerl - Donnas Haus

Um Einsamkeit und Nähe, um die Frage, wie nahe sich Menschen kommen können, ob diese Nähe die Einsamkeit vertreibt, oder ob der Mensch ein Solitär ist und bleibt,

kreist der brillant komponiert und geschriebene Roman der 1979 in Österreich geborenen, heute in Berlin lebenden Schriftstellerin.

 

Die Berlinerin Kathy kommt als Erste an, in einem Miet-wagen. Sie ist Fotografin, wird bald die Gegend erkunden und Aufnahmen vor allem von verlassenen oder einsam wirkenden Häusern machen.

Kurz nach ihr erscheint Liz, eine Doktorandin aus Wien.

Sie wird im Keller einquartiert, das ist in Ordnung für sie.

Sie möchte sowieso alleine sein, möglichst wenig von den anderen Bewohnern des Hauses mitbekommen.

 

Nun sind sie zu dritt in Donnas Haus, irgendwo in den USA.

Die resolute, etwas ungepflegte Donna geht früh morgens zur Arbeit, Liz zur Uni, Kathy fährt los.

Die beiden Gäste, beide zwischen dreißig und vierzig, sprechen nur Englisch miteinander. Die Muttersprache zu sprechen, erscheint ihnen bereits als zu nah, die Fremd-sprache bietet ihnen einen gewissen Schutz.

 

Nach kurzer Zeit gewöhnt Liz sich an, in der Küche zu arbeiten. Sie legt eine Platte auf, die Lieder von Simon & Garfunkel kann sie endlos hören.

Hier scheinen sich zwei Stimmen zu einer zu verbinden, "sie scheinen aneinander zu hängen, abzufärben aufeinander."

Faszinierend und verstörend zugleich ist eine Postkarte, die am Kühlschrank hängt. Sie zeigt zwei Männer, die eng beieinanderstehen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es siamesische Zwillinge sind. 

Zu dem wenigen, das Donna von sich erzählt gehört, dass diese ihre Vorfahren sind. Chang und Eng, sie haben zwei Schwestern geheiratet, aus diesen beiden Ehen gingen über zwanzig Kinder hervor.

 

Wie erträgt man eine solche Enge? Ist die Vereinigung der Stimmen der beiden Sänger noch wunderschön, erscheint ein Leben als siamesischer Zwilling unvorstellbar.

 

Einige Fotos, die im Keller hängen, zeigen "Donna mit einem Mann. Donna mit einem Kind." Wer und wo sind diese beiden? Warum hängen die Fotos nicht im Wohnzimmer?

Die einzige Familie, die in Donnas Leben existiert, sind die Waltons. Diese Fernsehserie wurde in den 1970er Jahren ausgestrahlt, sie spielt zwischen 1933 und 1946 und zeigt die Schwierigkeiten einer Großfamilie während der Wirtschafts-krise.

 

Im täglichen Leben hat Donna sich für das Alleinsein entschieden, ihre Gäste auf Zeit nimmt sie jedoch herzlich auf. Im Lauf der Zeit kommt es zu einer Annäherung. 

Man kocht und isst gemeinsam, feiert Thanksgiving und Weihnachten, sie spielen jeden Abend Karten, Liz und Kathy rauchen zusammen draußen, es wird möglich, das Zimmer der anderen zu betreten.

 

Mit der zunehmenden Vertrautheit, die sich auch darin zeigt, dass Liz und Kathy nun Deutsch miteinander sprechen,  stellen sich bei beiden Erinnerungen ein. Und Träume, die Sehnsüchte offenbaren. 

 

Sehr fein und langsam entwickelt Christina Maria Landerl die Geschichte der drei Frauen. Nach vier Monaten in Donnas Haus konstatiert die Erzählstimme:

"Sie haben sich beinahe alles erzählt. Über Albert, über Vera, die Eltern, die tot sind, den Vater, der noch lebt. ... Eigentlich wissen sie alles, was es zu wissen gibt. Zumindest, was möglich war zu erzählen, zumindest was sie erzählen konnten. Wofür sie sich nicht zu sehr schämen, worüber sie nicht zu wütend werden, was sie nicht laut zum Weinen bringt. Manchmal auch, was sie nachts träumen, aber nicht, was sie voneinander träumen. Nie, was sie erzählen wollten, aber nicht konnten; von der Angst, die sie haben, wenn sie allein sind, für die sie aber, wenn sie nicht allein sind, keine Worte haben. Eigentlich wissen sie alles, was möglich ist, eigentlich ist das nicht viel."

 

Die Rituale, die sich entwickelt haben, sind so verfestigt, dass sich daran nicht mehr rütteln lässt. Donna schlägt vor, auch mal eine andere Musik zu hören, ein anderes Spiel zu spielen. Abgelehnt. Die Rituale geben Halt, Neuerungen bringen Unsicherheiten.

 

Eines Tages überschreiten Liz und Kathy eine Grenze.

Alles kippt. Eine jede, auch Donna, zieht sich wieder voll-kommen zurück. Trost spenden nur noch die Waltons ("Home to us is not a place. Es ist das Gefühl von Zusammensein. Eine Familie"), die Literatur und die Zigaretten. Eine gewisse Zeit muss vergehen, bis eine Wende eintreten kann.

 

Im April ist es Zeit für Neuerungen. Nun sind sie möglich.

 

Christina Maria Landerl zeichnet ihre Figuren zurück-haltend, aber genau. Es gibt keine langen inneren Monologe,  sie notiert jedoch die Gedanken, die den Frauen durch den Kopf fliegen, ihre Reaktionen auf Gehörtes und Gesehenes, auf Gerüche, auf ihre Umgebung.

Gekonnt setzt sie die Beschreibung der kleinen Welt ein, um ihre Gefühle und Gedanken zu reflektieren. Die Lieder, die Kälte, die ausgestorbenen Straßen, die Fenster, die niemals geöffnet werden, die aufgereihten Bücher, aus denen Liz eine Wand baut, die Geschichten, die sie liest und die ihre Situation spiegeln. Kathys Fotos sprechen Bände, auch die Tatsache, dass sie sehr spät erst das Foto von den drei Frauen entwickelt. Donna nennt es dann ein "family portrait!"

 

So webt die Autorin langsam und behutsam ein dichter werdendes Wort-Bild. Sie verzichtet auf Ausschmückungen und Abschweifungen, bleibt ganz konzentriert auf ihre Figuren. Der schmale Roman erstreckt sich über ein knappes halbes Jahr, es ist ein sehr intensives für Donna, Kathy und Liz, und auch für die Lesenden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Christina Maria Landerl: Donnas Haus

müry salzmann, 2023, 128 Seiten