Harry Martinson - Schwärmer und Schnaken

Pflanzen und Tiere, Lichteinfälle, das Wehen des Windes, die Kräuselung des Wassers, die Geräusche der Nacht, die Wärme der Sonne auf der Haut und in der Seele, das Flattern von Flügeln,

das Summen und Brummen, das Knacken von Holz - die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden, denn die Vielfalt der beschriebenen Sinneseindrücke ist unendlich.

 

Harry Martinson kennt das Leben auf dem Land und auf dem Wasser. Geboren 1904, war mit sieben Jahren bereits ein "Verdingkind". Als Pflegling der Gemeinde wurde er auf Bauernhöfen einquartiert, dort war er nichts anderes als eine billige Arbeitskraft. Mit sechzehn heuerte er als Matrose an, sieben Jahre später kehrte er nach Schweden zurück.

Er ließ sich in einem Dorf nahe Stockholm nieder und begann zu schreiben, mit Erfolg. Er avancierte zu einen äußerst beliebten Schriftsteller mit hohen Auflagen.

Die Zuerkennung des Nobelpreises 1974 war jedoch hoch umstritten, wie auch Teile seines Werkes.

1978 setzte Martinson seinem Leben ein Ende.

 

Martinsons Naturschilderungen und seine Sprachkraft sind einzigartig. 

Er beobachtet Tiere und Pflanzen sehr sehr genau und stellt stets den Bezug zu den Menschen her. Es gibt keinen einzigen Essay, in dem nicht auch Fragen zur Wahrnehmung, Entwicklung oder den verschiedenen Seiten des Menschen gestellt werden. 

 

Vor allem aber - und das hat mich am meisten fasziniert, denn das habe ich von Naturschilderungen nicht erwartet - denkt Martinson dezidiert politisch.

 

Am Ende der 1930er Jahre geschrieben, liegt der Krieg längst in der Luft, auch in Schweden. Er blendet die Bedrohung nicht aus, er integriert diesbezügliche Überlegungen in seine Texte.

 

Ein Beispiel:

"Auch will ich mit dem Leser nicht diskutieren, in welchem Ausmaß es zulässig ist, die Kämpfe der Insektenwelt symbolisch auf die gegenseitigen und immer präziseren Ausrottungskriege verschiedener Menschengruppen zu übertragen. Ich begnüge mich damit zu sagen: Allein die Tatsache, dass sich ein Gefühl von Ähnlichkeit bei den Reflexionen eines Betrachters über zwei voneinander so getrennte Welten wie Menschheit und Raubinsekten überhaupt einstellen kann, ist schrecklich genug."

 

Die Natur zu beschreiben heißt für Martinson auch, sich Gedanken über Projektion zu machen, über Wissen und Geschichte, über Umweltverschmutzung und -zerstörung.

Er verfügt über vielfältige Stile und Tonlagen, allein die Anzahl der Wörter für Farben ist beeindruckend. 

 

Er löst den selbst gestellten Anspruch, "die sinnlichen Bande zwischen der Natur als allgemein begreiflicher Totalität und der menschlichen Seele ständig neu zu weben" durch seine herausragenden Naturschilderungen ein.

Dabei wird er nicht müde zu betonen, dass das menschliche Leben ebenso von Politik, gesellschaftlichen Entwicklungen und Entscheidungen, die anderswo getroffen werden, bestimmt wird.

Diese verschiedenen Bereiche des Lebens in Einklang zu bringen, und ganz konkret im Wortsinne, literarisch zum Klingen zu bringen, ist Harry Martinson in seinen Essays gelungen. 

 

Der von Klaus-Jürgen Liedtke übersetzte und heraus-gegebene Band versammelt 45 Texte Martinsons aus den Jahren 1937-39, einige wenige stammen aus späterer Zeit.

Die Übersetzung der Texte mit ihrer Fülle an Neologismen dürfte eine enorme Herausforderung gewesen sein.

Klaus-Jürgen Liedtke hat sie gut gemeistert und die Präzision und Dichte der Beschreibungen gekonnt ins Deutsche übertragen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Harry Martinson: Schwärmer und Schnaken

Aus dem Schwedischen von Klaus-Jürgen Liedtke

Mit einem Nachwort von Fredrik Sjöberg

Guggolz Verlag, 2021, 219 Seiten

(Originalausgaben der Essays 1937-39, 1963)