Désirée Opela - In Limbo

Limbo ist nach Dante Alighieri, einem italienischen Dichter des Mittelalters,  die Vorhölle, in der die unschuldig schuldig Gewordenen warten. 

Désirée Opela hat die Situation des Dazwischen, zwischen Kindheit und Erwachsensein, die Zeit des Suchens und Schwebens, ins Jetzt verlegt. In einen Roman, der durchweg erstaunt. 

 

Opela, geb. 1988, studierte Literatur in München und Leipzig.

Heute lebt sie wieder in München, wo auch ihr Debüt-Roman spielt.

Die Protagonisten sind die drei Kunststudenten Lukas, Zoe und Krabbe. Lukas absolviert momentan ein Praktikum in einem Architekturbüro, seine Freundin Zoe hat ihren Schwerpunkt auf die Fotografie gelegt, Krabbe ist offen für alles. Und dann ist da noch Marie: Lukas´ Schwester, die noch bei den Eltern wohnt, bei Rewe jobbt und keine Idee hat, was sie aus ihrem Leben machen möchte.

Schauwerbegestalterin vielleicht? Kreatives Potential hat auch sie, aber über ein Studium denkt sie nicht nach.

 

Neun Kapitel hat der Roman, außerdem ist er innerhalb der einzelnen Kapitel in Abschnitte unterteilt, die Überschriften tragen. Jeweils in Klammern und mit Silbentrennung, lauten sie ae-ro-dy-na-misch, i-so-to-nisch, kos-misch, os-mo-tisch, her-me-tisch und einige mehr - weit gefächert und rätselhaft.

Ein Kapitel, das vorletzte, verzichtet auf diese Einteilungen oder Ansagen oder Richtungsweiser, es ist jenes, das Lukas´ Patientengeschichte in Bruchstücken, Notizen, Gedanken und einzelnen Wörtern erzählt.

 

All die Fragen und Diskussionen um die Kunst und das Leben waren zuviel geworden. Vollends aus der Bahn geworfen hat ihn jedoch das Verschwinden Zoes, die plötzlich einfach weg ist. Zuviel Alkohol und Drogen tun ihr übriges.

Lukas verbringt eine Zeit in der Psychiatrie, dieser Teil des Romans ist überschrieben mit "Korrektur". Zeichnungen ergänzen den Text, eine weitere Dimension nebst den verschiedenen Formen des Erzählens, die vor allem dieses Kapitel prägen.

 

"I´ve lost my way - tho most beautiful woman in the world - come back" diese Zeilen stammen aus dem Lied "In Limbo" von Radiohead. Es unterlegt den Roman mit einer Atmos-phäre der Haltlosigkeit, oder vielleicht besser der Warte-haltung, jenes Zustandes, den Dante Alighieri beschreibt.

 

 

Alle vier trudeln und mäandern durchs Leben. Krabbe ist hauptsächlich mit der Kunst beschäftigt, Lukas und Zoe versuchen neben ihrer künstlerischen Arbeit ihre Beziehung zu klären. Marie trägt schwer an ihrem Verhältnis zur Mutter, die sich in einer Dauerkrise zu befinden scheint.

Und von der sich Marie immer abgelehnt fühlte, sie war zu wenig vorzeigbar.

 

Der Roman besteht aus vielen Diskussionen über Kunst und Kunstbetrieb, aus vielen Bar- und Clubbesuchen, Besuchen zu Hause bei den Eltern, den Dialogen von Lukas und Marie, denen man anmerkt, dass die beiden ein lebenslanges Team sind, den Gesprächen von Lukas und Zoe, die wesentlich tastender sind, und aus dem Austausch von Lukas und Krabbe.

 

Durch das gesamte Buch zieht sich das Thema des Raumes.

In der Kunst, der Architektur, in der Musik, in Beziehungen, in der Wahrnehmung. 

 

"Wir müssen die Räume anders erfinden ... Diese ständige Ablenkung von sich selbst, das ist doch krank ... Alles eine einzige Marktinszenierungsbühne ... Und da, verstehst du, da kommt der neue Raum ins Spiel. Der Mensch braucht Existenzerfahrungen, er muss sich wieder zurechtfinden lernen. ... Die Devise lautet: Maximaler Widerstand, gegen die Gewohnheit. ... Das hier, ist Politik."

 

Mit "das hier" meint Lukas seinen Entwurf eines Raumes "gegen den Konsum", der weder Theorie noch Spielerei ist.

 

In diesem Sinne gelesen, ist Désirée Opelas Roman ein Plädoyer für die Ästhetik. 

Eingebettet in die Suche der jungen Menschen nach einem Sinn und Ziel, und auch nach der Liebe, angesiedelt in einer Großstadt, die der große Wartesaal ist, in den die Protagonis-ten geschleudert wurden.

 

Désirée Opela erzählt variantenreich, ihre Figuren haben eine je eigene Tonlage. Sie wechselt gekonnt zwischen Dialogen und Passagen, in denen ein Erzähler berichtet,

was geschieht. Mit großem Können beschreibt sie die Auflösung der bürgerlichen Ordnung - das Wort aber, das den allerletzten Abschnitt des Romans einleitet ist:

(Ge-ne-se). Entwicklung, Entstehung.

Die letzten Worte: "... und während sie so auf die Erlöser-kirche zulaufen, fängt alles an." 

 

Ein schönes Ende, eines, das Räume eröffnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Désirée Opela: In Limbo

Faber & Faber, 2019, 120 Seiten mit 6 Abbildungen