Helen Wolff - Hintergrund für Liebe

"Auch ich und Du, wir sind nicht mehr und nicht weniger als ein Liebespaar in Saint-Tropez, das sich findet und aus-einandergeht und die Forderung der Landschaft erfüllt. Sonderbar, wie sehr hier der Hintergrund Vordergrund wird, wie die Kulisse dominiert und die Menschen Staffagefigürchen werden. Ewig sind hier nur Dorf und Land-schaft, vor denen sich die gleichen Gefühle immerwährend abspielen, auf die Träger kommt es nicht an. Da, wo ich aufhöre, spinnt ein anderer den Faden weiter, fängt eine andere den Ball wieder auf......"

 

Der Roman, entstanden 1932/33, beginnt mit der Freude über das Unterwegssein - "Wir sind unterwegs, der Wagen, Du, und ich."

Der stets mit "Du" angesprochene Geliebte ist ein vierzig Jahre alter Mann, ein Gesellschaftslöwe, Bonvivant, einer, dessen Hunger auf das Leben und die Liebe nie nachgelassen hat, wie die junge Frau, die an seiner Seite im Wagen sitzt, verwundert feststellt. 

 

Sie verlassen Deutschland, fahren nach Südfrankreich.

Er möchte gerne bequem im Hotel absteigen, sie träumt von einem kleinen Häuschen mit Wiese und Katze.

Drei Monate hat sie sich freigenommen, um mit ihm diesen einen Sommer zu erleben, auf ein ganzes Leben wagt sie nicht zu hoffen.

Er ist mit den Gedanken noch immer in Deutschland, schreibt Karten, hält Kontakte. "Nie wirst Du Dich ganz aus Deinen Bindungen lösen, nie schwingst Du ganz befreit im Augenblick." - Einerseits. Andererseits: "Du wagst immer wieder den Sprung aus dem Älltäglichen ins Besondere, Du läßt Dich nicht binden und festhalten."

 

Immer wieder begegnen sie seinen Bekannten, er meint, er müsse der jungen Frau das Leben zeigen. Doch sie lässt sich nicht ein auf diese Art des Lebens. Im Casino von Monte Carlo befällt sie ein regelrechter Ekel, als sie sieht, wie "Geld und Besitz, Besitz und Geld ihre Glorifizierung finden".

 

Sie verfasst einen Abschiedsbrief, hat vor, Frankreich zu verlassen. Sie findet jedoch genau die richtige Behausung in der Nähe von Saint-Tropez, damals noch ein kleines und verschlafenes Dorf. Sie gewinnt Freunde, richtet sich ein, bekommt eine Katze geschenkt, die sie zähmt. Sie genießt den Sommer, auch das Alleinsein.

 

Da taucht er plötzlich bei einem Tanzabend wieder auf, an der Seite eine schöne Dame. Noch in derselben Nacht steht er vor ihrer Tür, verlangt Einlass, kommt herein und nimmt ganz selbstverständlich seinen Platz im Bett ein.

Einem kurzen Gefühlschaos folgt schnell ihre Reaktion:

das "schicksalhafte So-muß-es-sein" entwaffnet sie.

 

Doch sie, die nur zwei Wochen ohne ihn war, ist nicht mehr die, die mit ihm nach Südfrankreich gefahren ist. 

In dieser kurzen Zeit hat sie nicht nur Freunde gefunden, sich selbst in ihrem Leben eingerichtet, sie hat ihre eigene Stärke erkannt und ist nun nicht bereit, sich wieder seinen Vorstellungen unterzuordnen. Ihr Lebensstil ist ein einfacher, der Landschaft verbundener - diese ist der Grund, auf dem die Liebe gedeihen kann.

 

Der unverkennbar autobiographisch geprägte Roman erzählt von den verschiedenen Lebens- und Denkweisen in Deutsch-land und Frankreich, von den verschiedenen Lebensent-würfen der beiden Protagonisten, der Frage: was brauche ich wirklich?, er bindet Nebenfiguren ein, die von ganz unter-schiedlichem Charakter sind, sie beschreibt einen Abschnitt der französischen Südküste, die sich völlig verwandelt hat.

 

Helen Wolff versteht es, große Sympathie für ihre Figuren

zu wecken, sie muss eine wahrhaftige Menschenfreudin gewesen sein. In ihrem Schreiben hat sie sich für die einfache Form entschieden, ein Glück, dass niemand ihre Anweisung befolgte: "At my death, burn or throw away unread!"

 

 

 

 

Die legendäre Verlegerin Helen Wolff, 1906-1994, die zusammen mit ihrem Mann Kurt Wolff 1942 in New York den Verlag Pantheon Books gründete, ebnete für viele deutsche und europäische Autoren den Weg in die USA, u.a. Günter Grass, Max Frisch oder Italo Calvino.

Ihre eigenen literarischen Versuche, Theaterstücke, Skizzen, Erzählungen, später "Hintergrund für Liebe" - dieser Roman wird nun erstmals (!) veröffentlicht- hielt sie nach der Gründung des Verlags unter Verschluss.

Sie trat nun ganz als Verlegerin auf.

 

Marion Detjen schreibt in ihrem ausgezeichneten und den Hintergrund für den Roman liefernden Essay:

"Es gehörte zum `Credo´ Helen und Kurt Wolffs, daß die Hingabe an die Bücher der anderen, die der Verlagsberuf verlangt, eine eigene schöpferische Tätigkeit verbiete."

 

Marion Dietjen, Großnichte Helens, entfaltet in ihrem fast einhundert Seiten umfassenden Essay nicht nur die Entstehungsgeschichte des Romans, sie zeichnet das Umfeld auf, in dem Helen und Kurt in Deutschland und Frankreich lebten. Ihre vielen Reisen, die Versuche, den Kurt-Wolff-Verlag zu retten, die finanziellen Probleme etc., aber auch die persönlichen Entwicklungen der beiden und ihre Freund-schaften zu anderen Schriftstellern und Künstlern, die ebenfalls unter dem sich abzeichnenden und ausbreitenden Faschismus litten.

Neben dem privaten Umfeld, beschreibt sie ausführlich die politischen Entwicklungen in Europa in den 1030er Jahren, die zur Emigration des Paares in die USA führten.

 

Durch all diese Informationen ist es möglich, die tiefer liegenden Schichten des Romans, der sich zunächst wie eine frische Sommergeschichte liest, zu erfassen - man will ihn nun sofort ein weiteres Mal lesen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Helen Wolff: Hintergrund für Liebe

Herausgegeben und mit einem Essay von Marion Detjen

Weidle Verlag, 2020, 216 Seiten