Horst Wolfram Geißler - Der liebe Augustin

 

 

Dieser Schriftsteller hat zwischen 1915 und 1979  über 40 Romane und darüber hinaus einige Erzählungen und Novellen veröffentlicht.

"Der liebe Augustin" (1921) hat eine Millionenauflage erreicht und wird an amerikanischen Universitäten als Deutschlektüre verwendet. 

Doch mir scheint, er ist heute in Deutschland etwas in Vergessenheit geraten. Ich bin eher zufällig auf dieses Buch gestoßen, als ich Lesestoff für eine Bodenseereise suchte.

 

Es ist ein herzerfrischendes Büchlein, schön wie ein Sommertag. Es spielt nicht heile Welt vor, aber es gibt Gelassenheit den weltlichen Vorgängen gegenüber.

Es wirft immer wieder den Blick auf die Natur, die schöne, gleichgültige und relativiert so manche moderne Sorge und Bestrebung.

 

Augustin Sumser wird am 28.August 1777 (also an Goethes Geburtstag, wie Augustin später freudig feststellt) in Mittenwald geboren. Seinen Vater lernte er nie kennen, der verstarb schon vor Augustins Geburt. Mit der Mutter lebt er sehr bescheiden in einer kleinen Hütte, als Vierjähriger fängt Augustin an, Gänse zu hüten. Kurz nachdem er diese Tätigkeit aufgenommen hat, wird die Mutter von einem Pferdefuhrwerk überfahren, sie stirbt noch am Tag des Unfalls.

Vorläufig kommt Augustin bei einer Bauernfamilie im Ort unter, bald holt ihn aber ein Onkel, der Bruder seiner Mutter, ab und nimmt ihn mit an den Bodensee, nach Wasserburg bei Lindau. Dieser Onkel ist Pfarrer, er nimmt den Buben herzlich auf und sorgt für seine Erziehung. Hier muss er bei Null anfangen, Augustin kann noch gar nichts.

 

Der Oheim stellt schnell fest, dass Augustin ein schlaues Bübchen ist, er muss aber auch bemerken, dass er überaus faul ist.

 

Und diese Eigenschaften - Klugheit gepaart mit Faulheit und das absolute Fehlen von Ehrgeiz - geben Augustins Leben die Richtung vor.

 

Er ist ein Mensch, der alles, was auf ihn zukommt, einfach hin nimmt. Er hat eine Leichtigkeit in der Seele, um die man ihn nur beneiden kann. Er scheint mit einer Schutzschicht ausgestattet zu sein, an der alles Unangenehme abperlt.

 

Als er das richtige Alter erreicht hat, besorgt der Oheim ihm eine Freistelle im Meersburger Stift. Ganz überraschend stirbt der Onkel mit nur fünfzig Jahren - Augustin ist nun völlig alleine.

Und er will nicht Pfarrer werden, im Stift gefällt es ihm auch nicht. An dieser Stelle ergreift er einmal Initiative: er flieht.

Er überlegt sich, dass es in Mittenwald doch auch sehr schön war, wandert dorthin und findet eine Lehrstelle als Geigenbauer.

 

Wenn er doch einmal in eine etwas trübe Stimmung gerät, tröstet er sich auf eigentümliche Weise:

"Der Vater tot, die Mutter tot, der Onkel tot - nun bin ich ganz allein auf der Welt. Mir kann keiner mehr wegsterben, ja".

 

Das ist kurz zusammengefasst sein Lebensmotto und gilt auch für materiellen Besitz: er arbeitet immer nur so viel, dass es gerade reicht, denn hätte er zuviel, müsste er sich sorgen, es zu verlieren.

 

Wie erwartet fällt es ihm auch nicht schwer ein guter Geigenbauer zu werden. Und als er zufällig die Bekanntschaft einer reisenden Engländerin macht, die eine Spieldose dabei hat, wird ihm seine echte Bestimmung klar: er will Spieldosenmacher werden.

Dieses "Instrument" hat den gleichen Klang wie seine Seele.

 

Diese Kunst führt er dann in Lindau aus, jener freien Reichsstadt, die ihn schon als Kind so beeindruckt hatte, dass er damals beschloss, eines Tages hier zu leben.

Auf der Wanderung dorthin kommt er mit dem Krieg in Berührung, den er bislang kaum erlebt hatte.

 

Napoleon ist dabei, die Ordnung Europas zu verändern. Und so ist die Politik bzw der zeitgeschichtliche Hintergrund stets präsent in diesem Roman, denn auch Augustins Leben bleibt davon nicht unberührt. Er ist sogar einmal in diplomatischen Diensten unterwegs, doch der Ausflug in die Welt der Politik gefällt ihm gar nicht, denn eigenlich will er nichts anderes als seinen Frieden haben.

Die Begegnung mit Napoleon in einem mährischen Feldlager wird sehr eindrücklich beschrieben und erinnert stark an Goethes Begegnung mit dem großen Kaiser in Erfurt. Nicht nur die Politik bildet den Hintergrund des Romans, sondern auch eine gute Kenntnis der damaligen Literatur und des Zeitgeistes.

Dieser zeigt sich vor allem anschaulich dargestellt in einigen Personen, welchen Ausustin begegnet, wie z.B. dem berühmten Arzt Franz Anton Mesmer.

 

Als Augustin dann mit dreißig Jahren endlich die richtige Frau findet (sie ist nicht die erste, in die er sich unsterblich verliebt hat) und heiratet, ist sein Glück vollkommen.

 

Es ist deshalb vollkommen, weil er nicht nur über diese Leichtigkeit der Seele, sondern auch über eine große Bescheidenkheit verfügt, die ihn so liebenswert macht.

 

Als ihn in Zeiten schönster Hoffnung seine geliebte Susanne wegstirbt, nimmt er auch dieses Schicksal an. Er baut weiter seine Spieldosen und "wächst noch inniger denn je mit der Natur zusammen." 

 

Wie seine Mutter stirbt er an den Folgen eines Unfalles mit einem Fuhrwerk. Seine letzte Tat war es, ein Kind, das in den See gefallen war, vor dem Ertrinken zu retten. In der Kutsche saß eine große Dame, seine erste wirklich große Liebe...

 

So schließt sich der Kreis um den lieben Augustin.

Er ist in der Gegend um Lindau zu einer Gestalt geworden, um die ein ganzer Sagenkranz geflochten wurde. 

 

Er ist ein Held im Geiste der Romantik, ein lieber Taugenichts, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann.

In jungen Jahren spürte er in jedem Frühling den Drang zu wandern, als gesetzter (Ehe)Mann findet er seine Freude in der Erfüllung seiner Aufgaben.

In ihm erlebet man den Übergang von der Romatik zum Biedermeier.

 

Das Buch hat auf den Leser die gleiche Wirkung wie ein Nachmittag auf einer grünen Wiese, vielleicht an einem See, auf jeden Fall in angenehmer Ruhe.

Man fühlt sich nach der Lektüre leichter, ausgeglichener und fröhlicher. Sie ist ein Ausflug in eine andere Zeit, die ihre eigenen Schwierigkeiten hatte, die Augustin auf bewundernswerte Art meisterte.

 

 

 

 

 

 

 

Horst Wolfram Geißler: Der liebe Augustin

Hanser Verlag, 2014, 304 Seiten

(Originalausgabe 1921)