Daniela Krien - Irgendwann werden wir uns alles erzählen

 

 

Daniela Krien hat mit diesem Buch einen beeindruckenden Debütroman veröffentlicht.

 

Hauptperson ist die sechzehn bzw. siebzehnjährige Maria, die bei und mit ihrem Freund Johannes auf dem Bauernhof seiner Eltern lebt.

Sie kam vorbei, weil die Eltern sie kennenlernen wollten und blieb.

Ihre Mutter wohnt ziemlich abgelegen, Maria hat einen sehr weiten Weg zur Schule, so ist es also einfacher für sie.

Doch zur Schule geht sie sowieso kaum noch, lieber liegt sie im Bett und liest, vorzugsweise die russischen Romane des 19. Jahrhunderts.

Im Jahr nach dem Fall der Mauer, im Sommer 1990, interessiert die Schule auch nicht mehr allzusehr in diesem Dorf direkt hinter der deutsch-deutschen Grenze.

 

Die Welt damals, die politisch-atmosphärischen Veränderungen sind dann auch der Hintergrund, vor dem die Geschichte spielt, man kann ihn auch als Zeitdokument lesen. Doch im Vordergrund steht ganz und gar Maria.

Sie ist noch ein Kind, auch wenn sie mit Johannes zusammen wohnt und ihren Platz in der neuen Familie gerade findet. Ihre Mutter vermisst sie sehr, ist aber auch sehr mit sich selbst und den Veränderungen in ihrem Leben beschäftigt, sie fragt nicht viel.

 

Neben dem Brendel-Hof, auf dem Maria wohnt, liegt der Henner-Hof. Dort lebt der vierzigjährige Henner alleine, er hat ein paar Hunde, züchtet Pferde, wovon er eigentlich lebt weiß man nicht so genau, ein Erbe wahrscheinlich.

Seine Frau hat vor Jahren schon in der Nacht den Hof verlassen und ist niemals zurückgekehrt. Er hatte Ärger mit der "Staatsgewalt" und war ein paar Monate im Gefängnis.

Er ist ein einsamer Wolf, ein "Besonderer", einer, der keine Freunde hat. Er sagt, die DDR hätte ihn kaputt gemacht.

 

In diesen Mann verliebt sich Maria.

Es beginnt eine amour fou: sie schleicht sich heimlich zu ihm, übernachtet bei ihm, verbringt einzelne Stunden oder ganze Tage dort, sie spielen Normalität und über all dem ist Maria erstaunt darüber, wie sehr die Lüge zur Normalität werden kann. Wie weit sich die Grenze dessen, was man eigentlich nicht tut, verschieben lässt.

 

Henner ist ein gewaltiger Mann: einer der nicht fragt, sondern nimmt, nicht immer zärtlich, nicht immer rücksichtsvoll. Ganz ganz anders als Johannes, der von Maria abgelenkt ist, weil er pausenlos fotographiert, er arbeitet an einer Mappe für die Kunsthochschule.

Bei Johannes ist Maria noch ein Kind, bei Henner wird sie zur Frau. Und sie wird süchtig nach seinen Berührungen, so sehr, dass sie sich schließlich dafür entscheidet, die Wahrheit zu sagen, und zu ihm auf den Hof zu ziehen.

Auch wenn dies das gesellschaftliche Aus bedeutet.

 

Doch da passiert etwas Unvorhersehbares.

Alles kommt ganz anders, als Maria es sich ausgedacht hatte. Und niemandem erzählt sie von der ganzen Geschichte.

Auch nicht der Mutter, das kommt irgendwann später.

 

Der Roman beeindruckt mit seiner Offenheit.

Maria hat jenseits der "normalen" Verliebtheit in Johannes eine Welt der Gefühle und Extase kennengelernt, die mächtiger ist als das, was sie mit dem Verstand steuern kann.

Sie taucht vollständig ab, wenn sie mit Henner zusammen ist, sie erlaubt ihm, mit ihr zu machen, was er möchte. Das wagt sie allerdings nur einmal.

Was zählt, ist die Intensität. Henners Liebe ist nicht sanft, der ganze Mensch ist nicht sanft. Deshalb ist es ja auch verrückt zu ihm zu gehen, und doch tut sie es, immer immer wieder. 

 

Es gibt kein Happy End. Man kann sich nur ausdenken, dass Maria irgendwie herausfindet aus dieser Verstrickung. Und hofft, dass ihre Jugend ihr genug Kraft dafür beschert.

Dies ist ein Roman, der auffällt, weil er heraussticht aus den vielen Geschichten des Zur-Frau-Werdens, weil er so intensiv ehrlich ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Daniela Krien:

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Graf Verlag, 2011, 240 Seiten

kartoniert: List Verlag, 2012, 240 Seiten