Erri de Luca - Das Gewicht des Schmetterlings

 

 

 Dieser Roman kommt mit nur zwei Persönlichkeiten aus, deren Wege sich immer wieder im Gebirge kreuzen:

ein namenloser "Mann", ein Einzelgänger, Bergsteiger und Wilderer und der "König der Gämsen", ein riesiger Gamsbock, ebenfalls ein autarker Bewohner der Berge.

 

Der Mann hat vor Jahren die Mutter und auch Geschwister des Königs getötet, ein Akt, der das Tier zum Einzelkämpfer gemacht hat. Sofort und von weitem erkennt er den Geruch dieses Menschen, der sein Leben gezeichnet hat.

 

Nun sind beide alt geworden, der Mann denkt immer häufiger über den Tod nach, er spürt das Alter in den Knochen und im Herzen. Auch der Gamsbock ist nicht mehr ganz so stark, noch ist er der unangefochtene Führer seines Rudels, aber lange will und kann er es nicht mehr sein.

In einer unglaublich dichten Szene kurz vor Ende des sehr kurzen Romans kommt es zu einer Begegnung Auge in Auge, hier treffen Urgewalten direkt aufeinander, nachdem sie jahrelang umeinander kreisten.

Hier begegnen sich Mensch und Natur, Verstand und Kraft (die in diesem Fall von sehr viel Verstand zeugt), abgemessene Zeit und Ewigkeit. Und das im Hochgebirge.

 

"Auch für den Mann sollte die Zeit des Jagens bald vorbei sein. Die Natur kennt keine Traurigkeit, der Mann wischte die seine mit dem Gedanken beiseite, dass auch der Gämsenkönig sich jetzt irgendwo auf das Sterben vorbereitete, ohne einen Hauch von Traurigkeit und ohne dass sein Stolz davon berührt würde. Und der Mann wünschte sich, dass auch er dazu in der Lage wäre."

 

Der Gamsbock macht es ihm vor. Der Schmetterling ist derjenige, dessen Gewicht schließlich entscheidet, wohin die Waage sich neigt. 

 

Das ist ganz konzentrierte Literatur in einer Sprache, die sich aufs Wesentliche beschränkt, archaisch knapp, mit starker Wirkung.

In Italien avancierte der Roman zum Kultbuch.

Er wurde verglichen mit Hemingways "Der alte Mann und das Meer" und der Vergleich hinkt nicht.

 

 

 

 

 

 

Erri de Luca: Das Gewicht des Schmetterlings

Aus dem Italienischen von Helmut Moysich

Graf  Verlag, 2011, 112 Seiten

List Taschenbuch, 2013, 112 Seiten