Rüdiger Safranski - Goethe - Kunstwerk des Lebens

 

 

Noch eine Goethe-Biographie? Unbedingt, wenn sie so gut geschrieben ist wie die von Rüdiger Safranski.

Nach einem Werk über Schiller, an das sich ein Buch über die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe anschloss, war die Lebensbeschreibung Goethes quasi natürliche Folge.

 

Safranksi ist ein großer Kenner von Klassik und Romantik und vor diesem Hintergrund entfaltet er ein detailreiches Bild des Dichters, der sich selbst schon zu Lebzeiten viele Gedanken über seine Wirkung gemacht hat. 

 

Die 650 Seiten starke Biographie ist eingeteilt in leserfreundliche 34 Kapitel von jeweils um die 20 Seiten. Am Anfang jedes Kapitels stehen in wenigen Zeilen inhaltliche Stichworte: man weiß, was einen hier erwartet (und das erlaubt auch, mal ein Kapitel separat zu lesen, wenn man es nicht erwarten kann, bis man soweit ist).

 

Ergänzt werden diese Einheiten durch 3 Zwischenbetrachtungen Safranskis, in welchen er zusammenfassend zurückblickt und ein kleines Resümee zieht.

 

Die erste Zwischenbetrachtung ist überschrieben mit

"Die unerträgliche Leichtigkeit" und schaut auf die Zeit, bevor Goethe im Jahr 1775 nach Weimar ging .

Der zweite Einschub "Amtsschimmel und Pegasus" wirft den Blick auf die folgenden dreißig Jahre bis zu Schillers Tod 1805.

Den siebenundzwanzig Jahren, die Goethe Schiller überlebte, widmet Safranski den dritten Teil der Biographie.

Eine zehnseitige Schlussbetrachtung  geht auf die Fragestellung "Werden der man ist" ein.

 

Ich gehe deshalb so genau auf die Formalien des Buches ein, um deutlich zu machen, dass der Umfang und das große Thema keinen potentiellen Leser abschrecken sollen. Es ist so gut gegliedert und gibt durch die "Überschriften" und Rückblicke eine hilfreiche Übersicht, so dass sich auch Goethe-Anfänger leicht einlesen und zurechtfinden.

Und alleine für die eingeschobenen Betrachtungen lohnt sich die Lektüre des Buches.

 

Safranski verzichtet völlig darauf, aus der Sekundärliteratur zu zitieren. Es gibt keine Hinweise auf Meinungen oder Ansatzpunkte anderer Forscher und das tut der Lesbarkeit sehr gut.

Dafür zitiert er reichlich aus dem Werk Goethes, aus Briefen, Tagebüchern, Gesprächen oder den Aufzeichnungen seiner Zeitgenossen.

So verknüpft er das Bild, das andere von Goethe hatten, mit dem, das er selbst von sich hatte.

Und es wird immer wieder reflektiert, welche Ziele Goethe sich selbst steckte und ob er sie auch erreichte.

 

Der Leitfaden, der sich durchzieht, ist im Untertitel benannt: die Lebenskunst.

Safranski macht deutlich, dass für Goethe das Leben selbst ein zu gestaltendes Werk war.

 

Ganz ähnlich wie in der "Metamorphose der Pflanzen", wo genetisch Angelegtes auf verschiedenste Art entwickelt wird (oder ruht), je nach den Lebensbedingungen, so ist Goethe ein Mann, der sehr dankbar für seine Anlagen ist. Und für die Lebensumstände seiner Kindheit, die eine freie Entfaltung seiner Anlagen beförderten.

 

Als erwachsener Mann machte er es sich zur bewussten Aufgabe, Welt anzunehmen oder zurückzuweisen.

Ideen weiterzuentwickeln oder beiseite zu legen. Geselligkeit zu suchen oder sich in die Einsamkeit zurückzuziehen.

Überlegungen anderer in sein Gedankengebäude zu intgrieren bzw so umzubauen, dass sie integriert werden konnten.

Diesen Punkt macht Safranski am Beispiel Spinoza (nur dieses eine sei hier erwähnt, es stehen viele andere daneben) deutlich: auf eine verständliche Erklärung von dessen Philosophie folgt die Variante, die Goethe für sich daraus gemacht hat. Und so verfuhr er grundsätzlich.

Mit allem, was ihm begegnete, ging er schöpferisch um - das war die Freiheit, die er lebte.

 

Er selbst traf die Wahl, wann immer ihm das möglich war. Seine vielseitigen Interessen (Dichten, Malen, Naturkunde, Staatsführung etc) waren Mosaiksteinchen auf dem großen Lebensgemälde.

 

Goethe war nicht immer gut, nicht immer gerecht, manchmal lag er mit einem Urteil völlig falsch - Safranski zeigt auch auf, wo er sich verrannte.

Es gab Menschen, die er sehr verletzte, man lernt sie beim Lesen genau so kennen wie die, die er liebte und förderte, Frauen wie Männer.

 

So entsteht ein umfassendes Bild des Dichters und des Menschen, in seiner Zeit und inmitten seiner Zeitgenossen verortet.

Safranski führt Goethes Leben als selbstgestaltetes Kunstwerk eng am dichterischen Werk vor Augen, der Leser kennt am Ende beide wirklich besser.

Mehr kann eine Biographie nicht leisten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rüdiger Safranski: Goethe - Kunstwerk des Lebens

Hanser, 2013, 752 Seiten

Fischer Taschenbuch, 2015, 752 Seiten