Serge Bloch (Illustration) und Marie Desplechin (Text) - Die Bären aus der Rue de l´Ours

Dieses Buch ist eine sehr gelungene Zusammenarbeit des Illustrators Serge Bloch mit der Autorin Marie Desplechin. In vielen kleinen, in sich ab geschlossenen Geschichten, Betrachtungen, Erinnerungen und Reflexionen erzählt Serge Bloch aus seinem Leben, aus dem Leben seiner Familie. 

 

 

Er kam 1956 in Colmar zur Welt. Diese Stadt, bzw das Elsass, wechselte so oft zwischen Deutschland und Frankreich, dass der Großvater eine andere Muttersprache hatte als der Enkel. Zu den beiden offiziellen Sprachen Deutsch und Französisch gesellte sich noch das "Jiddisch-Daitsch" und das Elsässische - die Sprachverwirrung war jedoch nicht dafür verantwort-lich, dass diese alte jüdische Welt unterging.

 

"Ich wurde in eine Welt hineingeboren, die jahrhundertelang allen Schikanen und Scheiterhaufen getrotzt hatte, heimlich, still und leise verpuffte und heute nicht mehr existiert."

 

Mittelpunkt der Welt des Kindes ist die Metzgerei seines Vaters und dessen Bruder. Diese beiden hatten das Geschäft von ihrem Vater übernommen, der es 1907 gründete.

In der "Bärenstraße" lag es, in der Nähe der Synagoge.

Dort arbeiten die sehr unterschiedlichen Brüder, die Erträge reichen gerade so, um zwei Familien zu ernähren.

 

"Die Rue de l´Ours ist also auch das Reich der Mischpoche.

Die Männer beanspruchen um Übrigen nur zu gern den Namen für sich: Sie sind Bären. Robust und überschwänglichen Zuneigungsbekundungen eher abgeneigt. In sich gekehrt. Geradezu bärbeißig. Mein Vater trieb die Bärenverwandtschaft so weit, dass er sich am Türrahmen schubberte. Und zwar nicht aus reiner Zitierfreude. Ihn juckte einfach der Rücken."

 

Die Erzählung wechselt ab zwischen Orten und Personen. 

"Die Metzgerei", "Zuhause", "Zwei Brüder", "Meine Mutter" und viele mehr, legen das Augenmerk auf einen bestimmten Aspekt, einen Charakter oder eine Lebenseinstellung.

Sehr bunt geht es da zu, die Mischpoche ist so vielfältig, so streitlustig, manche sehr schweigsam, andere sehr beredt  - diese Welt ist ein eigener Kosmos, der das Kind von Anfang an mit allem konfrontiert, was das Leben bereit hält.

 

Die LeserInnen lernen en passant religiöse Gebräuche kennen, hören zugleich, wie locker diese von manchen  gehandhabt werden. Man lernt den alten und den neuen Rabbi kennen, Lehrer, und sogar "Die Poesie der Wurst".  "Samstags, am Schabbat, sündigte mein Vater gleich dreifach. Er schwelgte in Arbeit, Schinken und Butter, die gottloseste Kombination, die es gibt."

 

Die Flucht der Elsässer Juden und die Rückkehr einiger Weniger, das Überleben der Mutter in einen katholischen Pensionat, das des Vaters als Köhler im Wald versteckt, wird thematisiert - die Geschichte einer jüdischen Familie kann nicht ohne dieses Kapitel erzählt werden.

Mehr Raum nehmen jedoch die Erinnerungen des Kindes Serge ein, das in dieser verzweigten Familie sehr glücklich war.

 

Das vorliegende Buch ist ein charmantes Porträt derer, die ihn geprägt haben, ihn liebten, ihm Raum gaben, seinen Platz im Leben zu finden. Vor allem wird deutlich, dass in dieser Familie ein Freigeist lebt, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.

 

Die Zusammenarbeit von Marie Desplechin und Serge Bloch hat ein wunderbar stimmiges Buch ergeben. Text und Bilder erzählen die Geschichte auf zwei Ebenen, in der Ergänzung liegt ein großer Zauber. 

Sehr fein und luftig sind die Illustrationen, ebenso fein der Ton des Textes. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Serge Bloch (Illustration) und Marie Desplechin (Text):

Die Bären aus der Rue de l´Ours

Übersetzt von Anne Thomas

Kunstanstifter Verlag, 2020, 192 Seiten

(Originalausgabe 2018)