Margaret Goldsmith - Patience geht vorüber

Der Roman beginnt mit einem Cafébesuch der Freundinnen Patience und Grete anlässlich des bestandenen Abiturs. Wie groß ist die Freude, denn Cafébesuche sind selten im Frühjahr 1918. Der Krieg bestimmt das Leben, Patience sehnt sich hauptsächlich nach Ruhe, während Grete, die Sozialistin, schon konkrete Pläne hat.

 

 

Patience schwankt nicht nur hier, sie empfindet sich selbst als ein Wesen, das ewig dazwischen ist. Mit einer englischen Mutter und einem preußischen Vater ist sie mit zwei Sprachen und zwei Kulturen bzw. Mentalitäten aufge-wachsen. Das ist nicht einfach für eine junge Frau im Berlin dieser Zeit, die klare Aussagen bezüglich der Nationalität erwartet.

 

Der erste Teil des Romans spielt in Berlin. Im Jahr 1924 zieht Patience nach London, mittlerweile ist sie eine gefragte Journalistin. Ihre Zweisprachigkeit und ihr großes Interesse an gesellschaftlichen Themen machen sie zu einer idealen Korrespondentin. Dort begegnet sie ihrer Mutter Victoria wieder, die nach Kriegsende ebenfalls nach England zurückgekehrt war und dort eine beachtliche politische Karriere machte. Der Zeit in England ist der zweite Teil gewidmet, im letzten Teil nimmt der Roman bzw das Leben von Patience noch einmal eine ganz andere Wendung: sie kehrt nach Berlin zurück, studiert Medizin, entscheidet sich für Biologie und geht in die Krebsforschung.

 

Noch während des Krieges heiratet Patience einen jungen Soldaten. Aus Mitleid. Verliebt ist sie in Grete, die diese Liebe erwidert. Eine Zeitlang lässt sich das Arrangement aufrecht erhalten, die drei leben sogar in einer Wohnung, dann zerbricht die instabile Balance und Patience verlässt beide. Ohne deshalb auf die Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse zu verzichten - sie lebt den freien Geist der Stadt, hat Liebhaber und Liebhaberinnen.

Mittlerweile arbeitet sie als Journalistin, verdient ihr eigenes Geld, ist unabhängig und selbständig.

 

Dem Rat einer erfahrenen Frau folgend, eignet sie sich nach aufreibenden emotionalen Achterbahnfahrten eine neue Sichtweise auf die Liebe an: die "Technik der Liebe".

Ganz gemäß der "neuen Sachlichkeit" wahrt sie ab sofort eine innere Distanz zu sich selbst, zu anderen. Die Rolle als Outsiderin, die sie ein Leben lang innehatte, kommt ihr dabei zugute, schon immer war sie die, die nicht dazu gehörte.

 

Als sie nach England zieht, nimmt sie dort sehr deutlich die Unterschiede zu Deutschland, bzw. Berlin, wahr.

Der Puritanismus lähmt die Menschen in ihren Augen, die wichtigste Eigenschaft ist Selbstkontrolle und das Wahren der Formen, auch die "linksradikalen Clubs" Londons, in die ein Freund sie mitnimmt, erscheinen ihr im Grund sehr konservativ.

 

Ein tragisches Ereignis katapultiert Patience zurück nach Berlin. Sie kehrt dem Journalismus den Rücken, versucht als Ärztin den Zugang zu den Menschen, das Mitgefühl, das sie für lange Zeit mit einem Mantel der Distanz zugedeckt hatte, wiederzufinden. Doch sie geht in die Forschung, bis eine nicht anders als schicksalhaft zu nennende Begegnung ihre "innere Verkalktheit" löst und ihrem Leben einen neuen Sinn verleiht.

 

Porträtiert Margaret Goldsmith (1895-1970) mit wenigen Pinselstrichen den preußischen Geist, vor allem in den Schwiegereltern Patiences oder auch in ihrem 1915 im Krieg verstorbenen Vater, so präzise zeichnet sie die englischen Freigeister, die an die Bloomsbury Group angelehnt sind,

in der die Autorin verkehrte.

 

Sie schreibt einen flüssigen Stil, der sich leicht lesen lässt.

Sie theoretisiert nicht, sondern gestaltet lebendige Figuren, die verschiedene Aspekte des Lebens vor Augen führen.

Sie breitet das Zeitgeschehen und den Zeitgeist als Hinter-grundbild des Geschehens aus, und gibt damit Einblicke in zwei Länder, was hochinteressant zu lesen ist.

 

Patience verkehrt in verschiedenen Klassen, lebt in zwei Ländern. Sie liebt Männer und Frauen, hat zwei Berufe. 

Eine Sache ist ihr immer klar und diese stellt sie niemals in Frage: sie möchte arbeiten, einen Beruf haben, finanziell unabhängig sein.

 

Sie ist damit die Vertreterin einer neuen Zeit, in der die Frauen Mitsprache- und Gestaltungsrechte verlangen.

Und sie ist das Geschöpf einer vielseitigen Schriftstellerin, die neben ihrem Beruf als Autorin, Journalistin, Literaturagentin und Lektorin auch stellvertretende

US-Handelskommissarin in Berlin war - als eine der ersten Frauen, die einen so hohen Posten in der Wirtschaft innehatten, eine Wegbereiterin, die gegen viele Widerstände anzugehen hatte.

 

In einem sehr erhellenden Nachwort zeichnet Eckhard Gruber die Lebensgeschichte der Autorin nach, ein Glück, denn man findet erstaunlicherweise kaum Informationen über sie. Und das, obwohl sie eine produktive Schriftstellerin und eine außergewöhnliche Frau war!

 

Den 1931 erschienenen Roman hat sie ihrer Freundin Martel Schwichtenberg, einer Malerin, gewidmet. Diese verlangte "wirklichen" Menschen zu begegnen. Da im Leben nichts "ordentlich", sondern alles "durcheinander" passiert, ist es auch für einen Schriftsteller unmöglich, "eine feste Form, eine geplante Architektur" auszuführen, so Margaret Goldsmith, wenn man lebendige Menschen darstellen möchte. "Patience geht einfach vorüber" schreibt sie in ihrer Widmung. Doch so zufällig erscheint mir ihre sympathische Figur nicht. Zwar ist sie eine vorübergehende Passantin,

doch sie wird sichtbar, ist präsent, prägt sich ein - Dank der kunstvollen Beschreibung, der präzisen und lebendigen Federführung ihrer Schöpferin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Margaret Goldsmith: Patience geht vorüber

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Eckhard Gruber

Aviva Verlag, 2020, 224 Seiten

(Originalausgabe 1931)