Dany Laferrière -

Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand?

Diese Mixtur aus Dokumentation und Roman, aus Autobiographie und Recherche, aus persönlichen und phantasierten oder inszenierten Begeg-nungen, aus einer Sicht von außen und gleichzeitig von innen, macht dieses Buch zu einem sehr dichten Werk.

Erschienen bereits 1993 hat es nichts von seiner Aktualität verloren. 

Im Gegenteil. Die Probleme sind                                                               vielleicht noch größer geworden.

 

Ein junger schwarzer Schriftsteller, der in Montréal lebt und vor einiger Zeit seinen ersten Roman veröffentlicht hat - ein voller Erfolg - bekommt von einem angesehenen "Magazin an der Ostküste" den Auftrag, "eine große Reportage" über Amerika zu schreiben. 

 

"Ich bin also überall in Nordamerika hingefahren. Ich habe gesehen, wie die Schwarzen, die Weißen, die Roten und die Gelben leben. Also eigentlich alle. Und ich fand heraus, Alter, dass wahr ist, was man über Amerika sagt. Amerika schluckt alles. Es ist der weiche Bauch der Welt.  ... Amerika ist wie eines der gut genährten Babys aus der Reklame. Und die Amerikaner leben miteinander, als gäbe es auf dem Kontinent niemanden sonst. Oder auf dem Planeten. ..."

 

Der erste Erfolg des reisenden kanadischen, aus Haiti stammenden Schriftstellers, ist der Roman "Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden", Titel des Debüts von Dany Laferrière, geboren 1953 in Port-au-Prince, seit 1976 in Montréal lebend, aus dem Jahr 1985.

 

Der Autor Laferrière schickt sein Alter Ego auf Reisen, sein Text wächst sich dabei zu wesentlich mehr als einer Reportage aus.

 

Er spricht mit sogenannten einfachen Leuten im Bus, in einer Bar, im Taxi. Er trifft Stars wie den Rapper Ice Cube, er führt ein imaginiertes Gespräch mit dem 1987 verstorbenen Romancier Eric Baldwin. 

Er beobachtet junge Männer genauso wie ältere Frauen, spricht über das Versprechen von grenzenlosem Sex, mit dem Einwanderer in die USA gelockt werden.

Oder die Gewohnheit, niemals den Fernseher abzuschalten.

 

Er beschreibt, wie Schwarze grundlos verhaftet, geschlagen, schwer verletzt, getötet werden. Wie selten weiße Polizisten dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Er stellt die freche Frage: "Warum bevorzugen schwarze Schriftsteller Blondinen?" (Das ist nur eine von vielen Fragen dieses Buches). Die Antwort:

"Wenn die Blondine allein schon eine Bombe ist, was ist dann die Begegnung des Schwarzen mit der Blondine? Eine explodierende Bombe. Der Weiße tobt vor Wut. Es trifft ihn mitten ins Herz. In den Kern seines kollektiven Gedächt-nisses. Der Schwarze und die Blondine. Die Blonde stellt die weißer-als-weiße Frau dar. ... Der Unterlegene und die Frau des Überlegenen."

 

Das Verhältnis der verschiedenen Hautfarben ist ein Thema des Romans, ein anderes das Geschlechterverhältnis. Und der Bereich, in dem diese zusammenkommen.

"...wenn ich mit einem Weiße esse, kriegt jedes mal er die Rechnung. In den Augen des Kellners entspricht der Schwarze der Frau. Für eine Weiße muss das eine schlimme Kränkung sein."

 

Dany Laferrière versteht es trefflich, jede Begegnung und die Gedanken, die er sich macht, die Zeitungsartikel und Bücher die er liest, die Filme, die er sieht, in verschiedener Hinsicht zu reflektieren. Nie geht es ihm nur um ein Thema oder einen Aspekt, er denkt weiträumig, nimmt kein Blatt vor den Mund und spielt mit Klischees. Sein Roman ist die Beschreibung eines Landes mit all seinen Untiefen und es ist ein Selbstporträt, gebrochen in der Romanfigur des jungen Schriftstellers. Er besteht aus einer unendlichen Anzahl an Geschichten, zusammengehalten durch den Erzählstil und die übergeordnete Frage. 

 

Um schreiben zu können, sagt Laferrière, brauche es eine "gute Frage". Die Frage ist der Titel. Der Gedanke, der durch jedes weiße Gehirn zu zischen scheint, wenn ein Schwarzer etwas in der Hand hält, das nicht sofort zu erkennen ist.

In dieser Hinsicht scheint sich seit dem Erscheinen des Romans vor fast dreißig Jahren wenig verändert zu haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dany Laferrière:

Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand?

Aus dem Französischen übersetzt von Beate Thill

Wunderhorn Verlag, 2021, 300 Seiten

(Originalausgabe 1993)