Joseph Roth / Klaus Waschk (Illustrationen) -

Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht

Dieser 1936 erschienene Roman spielt im vorrevolutionären Russland und in Paris. Er erzählt das Drama eines Mannes, der nicht zu seinem Recht kam, der darüber zum bösen Schurken wurde, der Liebe und Leidenschaft, Hass und Rache durchlebte, einen Mord beging. Er erzählt die Geschichte eines Landes, das von Despoten regiert, von der Polizei, die auch im Ausland die Flüchtlinge überwacht, drangsaliert wird und von Menschen, die durch und durch korrupt sind. 

 

Die Rahmenhandlung beschreibt das Zusammentreffen mehrerer Männer in einer Pariser Bar Mitte der 30er Jahre. Unter ihnen ist der Ich-Erzähler, der eine Nacht lang den Worten des Mörders lauscht. "Und die Geschichte war weder kurz noch banal. Deshalb habe ich beschlossen, sie hier niederzuschreiben."

Am Ende, nachdem Golubtschik seine Beichte beendet hat, verlässt der Erzähler die Bar und geht zurück in sein Hotel. Dort ist ein neuer Gast angekommen - er scheint eine der Figuren der Geschichte zu sein, der undurchsichtige  Ungar Jenö Lakatos, ein leicht hinkender Mann, Personifikation des Bösen. Ein Garant also für die Wahrhaftigkeit der Beichte, gibt es doch jenen Mann, der die Tür zur Hölle für Golubtschik öffnete, tatsächlich?

 

Golubtschik trägt den Namen seines "legitimen Vaters", des Ehemannes seiner Mutter, ein Oberförster. Sein "natürlicher Vater" ist jedoch kein geringerer als Fürst Krapotkin - diesen Namen klagt er eines Tages beim Fürsten persönlich ein.

Doch der kann nur über dieses Ansinnen lachen, speist ihn mit einer goldenen Tabaksdose ab und schickt ihn weg.

In den Gemächern des Fürsten sah Golubtschik seinen "falschen Bruder", jenen jungen Mann, den der Fürst als seinen rechtmäßigen Nachfolger auserkoren hatte, obwohl jeder wusste, dass er zwar von seiner Ehefrau geboren, nicht aber von ihm gezeugt worden war.

 

Dies empfindet Golubtschik als himmelschreiende

Ungerechtigkeit, die immer wieder Schübe von Hass bei ihm auslösen wird. Denn dieser falsche Bruder kreuzt mehrfach seinen Weg, nimmt ihm immer das, was ihm, Golubtschik, gehört oder zusteht. Den Namen, den Reichtum, später seine erste Liebe.

 

"Ich haßte ihn. Ach, wie ich ihn haßte! Wer, wenn nicht er, war schuld daran, daß ich das schmutzigste aller Gewerbe ausübte? Er vertrat mir immer wieder den Weg. Ohnmächtig war ich gegen ihn, übermächtig war er mir gegenüber. Immer, immer stand er gegen mich, ja immer, immer kam er mir zuvor, um gegen mich aufzustehn. Nicht der Fürst Krapotkin hatte ihn gezeugt. Gezeugt hatte ihn ein anderer. Schon in der Sekunde, in der ihn der andere gezeugt hatte, hatte er angefangen, mich zu betrügen. Oh, ich haßte ihn, meine Freunde! - Und wie ich ihn haßte!"

 

Nachdem Golubtschik wegen eines angeblichen Diebstahls im Gefängnis landet, kauft er sich frei, indem er zur Ochrana geht, der gefürchteten Geheimpolizei des Zaren.

 

Von Odessa aus führt sein Weg nach St. Petersburg, hier erhält er den Auftrag, einen Pariser Schneider und seine Modelle zu überwachen. Er verliebt sich in die schöne Lutetia, ihr richtiger Name lautet Annette Leclaire. Ihr Name ist so falsch wie die Lebensgeschichte, die sie Golubtschik später auftischen wird, als sie seine offizielle Geliebte in Paris ist, denn er wurde ihr nachgeschickt, um sie auch dort zu beobachten. Er erhält viel Geld von seinem Vorgesetzten, er mausert sich zu einen trefflichen Spion. Er schreckt vor keiner Boshaftigkeit zurück, sein Herz ist leer, er kennt kein Gewissen. Er liefert nicht wenige Menschen ans Messer, doch zum Mörder wird er erst, als er schon beschlossen hat, der Polizei den Rücken zu kehren und sich von Lutetia verabschieden will. Da findet er ausgerechnet den falschen Bruder in ihrem Bett, ihre Nacktheit bringt ihn um den Verstand, er schlägt mit einem schweren Schlüsselbund beiden auf die Köpfe bis sie sich nicht mehr rühren.

 

Lange schon hatte er erkannt, dass er Lutetia nicht liebt, sondern begehrt, auch, dass sie nur des Geldes wegen - und davon braucht sie sehr viel - bei ihm bleibt. Jeder hat sich in eine Lügengeschichte verstrickt, die größte ist, dass Golubtschik als Fürst Krapotkin auftritt. Als Dienstnamen oder Decknamen hat er sich diesen ausgewählt, er trägt ihn mit einem bitteren Stolz. Und weiß schließlich gar nicht mehr, wer er ist. 

"War ich denn etwas Golubtschik? War ich denn etwas Krapotkin? Was und wer war ich eigentlich?"

 

Diese Frage stellt Joseph Roth grundsätzlich: wer und was ist ein Mensch, der von Gier und Hass regiert wird? Der über zwei Namen, zwei Identitäten verfügt, der von einem Vorgesetzten dirigiert wird - und der zugleich eine arme Seele ist, der ihr Recht verweigert wurde und wird, der erleben muss, dass ein anderer seinen Platz mühelos einnimmt. Der genauso belogen und betrogen wird, wie er selbst lügt und betrügt.

Was ist das für ein Mensch, der wegen viel Geld für ein paar Kleider eine junge Frau, Russin und Jüdin, die einzige Frau des ganzen Romans, die rein und ohne Hintergedanken ist, und ihre Brüder retten will, wenn er diese verkauft?

 

 

Nun aber zu dieser wunderschönen Ausgabe: Klaus Waschk hat für sie fünfzig Illustrationen geschaffen, die mit feinem Federstrich und zurückhaltenden Farben der "Beichte" eine weitere Dimension geben. Seien es die Tristesse, die Zartheit oder Grobheit der Figuren. Ihre Verschlagenheit, Eitelkeit, oder Verlorenheit. Das Gespenst des Bösen, der auf vielen Bilder auftauchende Goldtaler, die angstverzerrten Gesichter oder  Golubtschik als Soldat und mit ihm das Grauen des Krieges - die Illustrationen erzählen die Geschichte auf einer weiteren Ebene.

Sie reflektieren die Gefühle der Figuren, zeigen die Brutalität der Macht. Und befördern die Phantasie der LeserInnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Joseph Roth: Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht

Mit 50 Illustrationen von Klaus Waschk

Faber & Faber, 2019, 160 Seiten 

Leinenband mit Lesebändchen im Schmuckschuber

(Originalausgabe des Romans 1936)