Ré Soupault - Überall Verwüstung. Abends Kino

Reisetagebuch

Bauhausstudentin, Filmemacherin, Modedesignerin, Schriftstellerin, Fotografin, Übersetzerin: Ré Soupault ist eine vielseitige Frau. Sie kam 1901

in Pommern zur Welt, studierte in Dresden, arbeitete in Berlin, Paris, Tunis und New York, bereiste viele Länder in aller Welt und kehrte 1946, nach ihrer Trennung von Philippe Soupault, zurück nach Europa.

 

Ich würde sie nicht als primär abenteuerlustig bezeichnen, ihre Reisen und Ortswechsel waren auch den Umständen geschuldet, der Suche nach Arbeit und einem Auskommen, oder auch dem Wunsch, abseits von gesellschaftlichen Erwartungen, ein eigenständiges Leben zu führen.

 

Die Rückkehr aus den USA war äußerst schwierig. Schon in New York stand Ré am Ende des Krieges und am Ende ihrer neunjährigen Ehe mittellos da. Sie hatte die französische Staatsbürgerschaft angenommen, wurde aber als Deutsche betrachtet. So auch in Paris, wohin sie ihre erste Reise nach Europa führte. Weder dort, noch in Berlin konnte sie Fuß fassen, der Zufall spülte sie nach Basel. Dort blieb sie bis 1955, dann zog es sie doch wieder nach Paris.

 

In ihrem Reisetagebuch beschreibt sie eine Fahrt mit dem Vélosolex, einem Fahrrad mit bescheidenem Hilfsmotor.

Vom 8.9.1951 bis zum 15.10.1951 fährt sie von Basel über Saarbrücken, Stuttgart und München, durch das Allgäu, entlang des Bodensees und durch den Schwarzwald zurück nach Basel eine Strecke von mehr als 1500 Kilometer. Alleine das ist eine veritable Leistung, denn häufig muss sie den Berg aus eigenen Kräften erklimmen, der Antrieb war zu schwach. Dass sie sich nebenbei zur Fahrradmonteurin entwickelte,

sei nur am Rande bemerkt. 

 

Grund der Reise war kein touristischer.

Ré Soupault lauschte der Aufnahme eines Hörspiels nach einem von ihr übersetzten Text in Stuttgart, lotete auch in München Arbeitsmöglichkeiten beim Rundfunk aus, sie traf sich mit Verlegern. Und hielt Ausschau nach einem Ort, an dem sie sich wohler fühlen würde als in ihrer Mansarde in Basel.

 

Ihre Abreise erfolgt an einem Samstag.

Der erste Stopp ist in Colmar, wo sie die "Madonna im Rosenhag" besichtigt, die ihr eine erste Äußerung über die Kunst entlockt: "Alles, was nicht direkt wirkt in der Kunst, verfehlt seine Aufgabe, obwohl hier dieses Symbol als Hintergrund ganz richtig und schön ist."

Es folgt eine Begegnung mit der Führerin, die lediglich gewartet hatte, während Ré besichtigte: "Immer wieder unerträglicher Trinkgeldgeist in Frankreich."

In Saverne dann die Begegnung mit einem Hotelbesitzer, der sagt, er möge Basel nicht, es sei ihm zu "deutsch".

Die Saarlandgrenze kann sie nicht überqueren, sie ist "gesperrt wegen der Kinderlähmung-Epidemie".

Sie erwähnt noch, einen Brief von Philippe erhalten zu haben und die Kirchenglocken der Nachbarschaft.

Beides ist unschön.

 

In diesem Geist sind ihre Reisebeschreibungen verfasst.

Sie spricht über ihren Weg als solchen (Zustand der Straßen etc.), die Begegnungen mit der Landschaft, Dörfern, Städten und der Kunst (Architektur, Theater, Musik, Kino), den Menschen. Sie schaut und hört ganz genau hin, nimmt die Untertöne in dem wahr, was die Leute erzählen oder verschweigen. Ist manchmal überwältigt von dem Hass, den die Deutschen und Franzosen aufeinander haben, merkt, wie wenig sie sich noch diesem Deutschland zugehörig fühlt, merkt aber auch, dass es einiges gibt, das sie an Frankreich stört.

 

Erschreckend ist die Armut, der sie begegnet:

"Gott, sind die Menschen hier arm. Besonders nach der Schweiz ist das erschreckend. Der Lebensstandard ist hier unheimlich niedrig."

 

Überall herrscht Wohnungsnot, stehen Ruinen, die tägliche Not macht die Menschen "hässlich".

Besonders schlimm erscheint ihr München mit seiner Liebe zum Bier:

"Jetzt verstehe ich auch, warum die Menschen hier so hässlich sind. Das Leben ist einfach zu hart für sie. Sie haben, mit wenigen Ausnahmen, keinen Komfort, keine Annehm-lichkeiten des Daseins. Nur Kampf und Härte und dann betäuben sie sich mit Bier und blöden Lustbarkeiten, nur um zu vergessen. Gestern Abend ging ich ins Hofbräuhaus hinein. Die vulgäre Menschenmenge, die dort zu Tausenden hinter ihren Biertöpfen sass, war so entsetzlich anzuschauen, dass ichs´s nicht aushalten konnte. ..."

 

Dies sind harte Worte einer Frau, die sonst ihre Mitmenschen sehr milde betrachtet, keine bitteren Worte fallen lässt, ihnen zugewandt ist und für die Respekt ganz wesentlich für die eigene Freiheit ist:

"Die Achtung vor dem anderen Menschen: darin liegt überhaupt der Schlüssel, der Schlüssel zu dem ganzen Problem der Freiheit", so in ihrem Buch "Nur das Geistige zählt".

 

Trotz aller Zerwürfnisse mit ihrem Ex-Mann Phillip versucht sie, auch dieses Verhältnis nicht durch Hass zu vergiften. Gedanken über ihn ziehen sich durch den Reisebericht wie auch ihre Betrachtung des Verhältnisses von nordischer und lateinischer Kultur oder die Überlegungen, was ein erfolg-reiches Leben ausmacht (das Geld ist es nicht).

 

Sie notiert ihre Begegnungen mit verschiedensten Menschen.

Dem Mechaniker, dem Kellner, einem Verkehrspolizisten, Schauspielern, einer Ärztin, die sie mitnimmt in ein Kinderheim. Eine berührende Begegnung ist das. Und eine empörende Lektion über das frauenverachtende Verhalten an deutschen Universitäten. 

 

So ist dieses Reisetagebuch eine Aufnahme Deutschlands sechs Jahre nach Kriegsende. Ein Porträt seiner Städte und Landschaften, seiner Menschen. Es ist die Geschichte einer Suche, auch der Suche einer Heimat, mit der gleichzeitigen Sehnsucht nach Veränderung. 

Ré Soupaults Ton ist klar und ohne Umschweife, sie mag keinen Dekor, es geht ihr um das Wesentliche. Sie geht mutig auf alles und alle zu, reflektiert das Gesehene und Erlebte, ist jederzeit bereit, dazuzulernen. In ihrer stets am Einzelnen interessierten Art, kann sie sich kurz nach dem schlimmen Hofbräuhausbesuch über die Neugier der Jugend an ihrem Vélosolex erfreuen.

 

Einem Kellner, der vor dem Krieg ein Hotel besessen hatte, gibt sie den Rat:

"Ich sagte ihm, schlimmer als alles sei es, sich das Leben zu verbittern, man müsse sich umstellen und sich das Leben

neu gestalten."

Diesen Satz könnte man als Grundgedanken über das Denken und Schreiben Ré Soupaults stellen.

 

Mit ihrer Gestaltungskraft meistert sie tiefste Tiefen in

ihrem Leben, fängt immer wieder neu an.

Leider erlebt sie die vielen Ausstellungen und das Erscheinen ihrer Werke nur noch in den Anfängen mit. 

Im Jahr 1996 stirbt Ré Soupault in Versailles, sie hinterlässt ein beeindruckendes Werk, dessen Entdeckung ein großes  Erlebnis ist. Das ist keine Übertreibung.  

 

 

 

Ré Soupaults literarisches und fotografisches Werk wird seit 1996 von Manfred Metzner, der den Nachlass verwaltet, im Verlag Das Wunderhorn herausgegeben.

Ein Verzeichnis findet sich auf der Website des Verlags. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ré Soupault: Überall Verwüstung. Abends Kino.

Reisetagebuch

Herausgegeben von Manfred Metzner

Wunderhorn, 2022, 128 Seiten