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September 2025
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Livia De Stefani:
Trauben schwarz wie Blut
Das Sizilien der 1920er und 30er Jahre ist Schauplatz dieses grandiosen Romans, der einer griechischen Tragödie gleichkommt. Livia De Stefani führt den Kampf zwischen weltlicher Macht und Ohnmacht dem Schicksal gegenüber mit all den sich daraus ergebenden inneren und äußeren Konflikten bildgewaltig vor Augen.
Die Lebenswelt ihrer Figuren ist durch und durch patriar-chal, die Mafia wird als schicksalhaft wahrgenommen - dass eine Frau Anfang der 50er Jahre über die Mafia schrieb, löste einen Skandal aus. Und auch, dass hier Bruder und Schwester aus purer Verzweiflung zueinander finden... Der Roman steckt voller Brutalität, physischer wie psychischer, er ist politisch und er ist wunderbar poetisch. Die Autorin versteht sich auf Gesellschaftskritik genauso wie auf zarteste Beschreibungen.

Ré Soupault: Kaffee mit Croissant in Avignon - Reisetagebuch
In Mai und Juni 1951 fuhr Ré Soupault von Avignon nach Basel - mit einem Velosolex, einem Fahrrad mit Hilfsmotor, fast 750 km. In ihrem Reisetagebuch schreibt sie über Landschaft und Architektur, über Begegnungen mit Menschen und sie notiert ihre persönlichen Überlegun-gen. So fügt sich in das Porträt Südfrankreichs das eines modernen Menschen ein, für den Heimatlosigkeit und die Suche nach dem richtigen Weg genauso zum Leben gehören wie Bescheidenheit und Optimismus. Das schmale Büchlein ist ein großes Werk, es fasst viele Gedanken der beeindruckenden Frau und Schriftstellerin, die sich nie als Allwissende inszeniert.

Geoff Rodoreda: George Orwell in Stuttgart / Nürnberg / Köln - Kriegsreporter im Zeichen von 1984
Im März 1945 kommt George Orwell als Reporter nach Köln, wo er die ersten Eindrücke des zerstörten Deutschlands gewinnt. Im April erlebt er in Stuttgart das Chaos des Kriegsendes mit Plünde-rungen, Massenvergewaltigungen, Übergriffen auf Zivilisten. Er verspürt einen "echten Zweifel an der Kontinuität der Zivilisation" - direkt nach seiner Rückkehr nach England beginnt er mit der Niederschrift seines weltberühmten Romans 1984.
Der Literaturwissenschaftler Geoff Rodoreda zeichnet ein lebendiges Bild des großen Schriftstellers, der Situation im Jahr 1945, und er untermauert seine These, Orwells Erfahrungen in Deutschland und besonders in Stuttgart seien direkt in 1984 eingeflossen. Das flüssig geschriebene Buch ist hochinteressant, nicht nur für Orwell-Kenner.
Nicht zuletzt führt es vor Augen, dass auch die Fiktion ihre Wurzeln in der Realität hat.

Wolfgang Schiffer und Dincer Gücyeter (Hrsg.):
Die Backstage eines Buches
21 von namhaften Autor:innen eigens für diese Anthologie verfasste Texte geben informative Einblicke in den "Maschinenraum" der Literatur. Wie entwickeln sich Geschichten? Warum kann es viele Jahre dauern, bis sich aus einer Spur ein tragfähiger Faden entwickelt? Warum verschwinden manche Figuren, bekommen andere eine unerwartet tragende Rolle? Wie umgehen mit Niederlagen? Ist Schreiben eine völlig individualistische Tätigkeit? Welche Quellen speisen die Texte? Wie lernt man, auf die innere Stimme zu hören? Diese ganz persönlichen Texte über-raschen, sie machen noch neugieriger und sie erhöhen noch einmal die Wertschätzung der Literatur. Für alle, die gerne wissen, was hinter dem Vorhang ist.