Richard Carpenter - Catweazle der große Zauberer

 

 

Nein, Harry Potter ist nicht vom Himmel gefallen. Er hat eine lange Reihe von ehrwürdigen Vorfahren!

Einer davon ist der große Zauberer Catweazle, ein Klassiker der englischen Kinderliteratur und auch hierzulande kein Unbekannter.

Vielen Menschen, die in den 70er Jahren das Kinderprogramm im Fernsehen anschauen durften, ist er aus der gleichnamigen Serie bekannt. Für diese ist er eine charmante Wiederentdeckung, für alle, die ihn nicht kennen, lohnt sich die Lektüre ebenfalls - am besten natürlich laut vorgelesen, egal ob jungen oder älteren Zuhörern.

 

Catweazle stammt aus dem 11. Jahrhundert. Er lebt in England zur Zeit der Eroberung durch die Normannen. Vor ihnen fürchtet er sich sehr, und sie sind auch Schuld daran, dass er eines Tages auf der Flucht vor ein paar gefährlichen Kriegern in einem Tümpel landet. Noch im Fallen stößt er in höchster Not einen Zauberspruch aus, er bittet darum, fliegen zu können, aber irgendetwas funktioniert nicht und er fällt ins Wasser. Und mit ihm seine "Vertraute" Kühlwalda, eine Kröte. Ist ja klar: jeder Zauberer hat ein Tier, das ihm zur Seite steht.

 

Catweazle kommt wieder zu sich und stellt fest: die Normannen sind weg, der Tümpel auch. In der Ferne sieht er eine Scheune, auf die läuft er zu, der Geruch ist ihm bekannt. 

Da kommt plötzlich ein Unhold mit einem gewaltigen Haupt, der auch noch einen donnernden Lärm macht, auf ihn zu. Catweazle ist fassungslos.

Das wird ihm noch viele Male passieren, der Traktor ist nur der erste von einigen Gegenständen, die er für Drachen oder Magie hält. Zum Beispiel diese Sonne, die in einem Glas eingefangen wurde und durch Betätigung eines kleinen Hebels an-und ausgeschaltet werden kann, oder ein Knochen, in den man hineinspricht.

 

Catweazle ist in den 1970er Jahren gelandet. Er wollte an einen anderen Ort fliegen und ist in einer anderen Zeit angekommen. Satte 900 Jahre hat er übersprungen, und wäre da nicht der Bauernjunge mit den roten Haaren, Karotte, er wäre verloren.

Karotte hilft ihm, wo es nur geht, aber da Catweazle ihm viele Schwierigkeiten macht, möchte er ihn auch gerne so schnell wie möglich wieder loswerden.

Catweazle hingegen hält Karotte für einen großen Zauberer, bei dem er in die Lehre gehen möchte, denn groß sind die magischen Kräfte, über die Karotte verfügt. Scheinbar.

 

Immerhin finden die beiden mit vereinten Kräften (Magie vermischt mit Nachdenken und Glück) zwei wertvolle Steine, die zu einer Statue im örtlichen Museum gehören. Karottes Vater bekommt eine schöne Summe Geld dafür und kann damit den Hof retten - und nebenbei wird dieser damit von einem alten Fluch befreit. 

 

Noch viele andere Abenteuer müssen Karotte und Catweazle bestehen. Jedes Kapitel ist eine kleine Geschichte für sich (man kann also das Vorlesen mit gutem Gewissen an jedem Kapitelende unterbrechen).

Als es Catweazle schließlich endgültig zu aufregend wird in der neuen Zeit, findet er den magischen Spruch, der ihn wieder zurückbringt zu den grässlichen Normannen.

Wieder transportiert ihn das Wasser durch die Zeiten. Damit endet der erste Teil des Buches.

 

Der zweite beginnt mit einer Flucht aus dem Gefängnis und einem weiteren Sprung ins Wasser: diesmal landet Catweazle in einem Gutshaus, das auf den Grundmauern der alten Burg erbaut wurde und nun von der Familie Collingford bewohnt wird. Der Spross dieser Familie, Cedric, spielt hier die Rolle Karottes als Helfer, Genervter, Freund.

 

Hier seine Ankunft bei den Collingfords:

"Lange starrte Catweazle das Haus an, und dabei tropfte ihm das Wasser aus dem Bart. Ganz allmählich begriff er, was geschehen war. Das Wasser besaß einen ganz besonderen Zauber für ihn. Es hatte ihn wieder in die sonderbare Welt des Ele-Tricks gebracht, in der alle Menschen über Zauberkräfte verfügten. 

"Die Zeit ist geflogen, nicht ich", sagte Catweazle betrübt, aber seine Neugier war so stark, dass er unverzüglich auf das Haus zuzukrabbeln begann. Er sprang dabei von Baum zu Baum, von Busch zu Busch und gab sich Mühe, dass ihn keiner sah. ... Catweazle wollte gerne wissen, wo er gelandet war, und deshalb folgte er ihnen (den Besuchern ins Haus) und versteckte sich hinter einer Säule. ... Fast wäre er beim Anblick einer Ritterrüstung, die an einer Wand lehnte, Hals über Kopf wieder hinausgestürzt. Stattdessen zog er sein Zaubermesser Adamos aus der Scheide, die er um den Hals trug, und klopfte vorsichtig an den Brustpanzer. Alles war in Ordnung. Die Rüstung war leer. Da hörte er plötzlich Schritte und kauerte sich hinter der Treppe zusammen. Dabei glitt jedoch Kühlwalda aus seiner Tasche, kroch gemächlich an der untersten Treppenstufe vorbei und versteckte sich in einem Putzeimer neben dem Treppenpfosten.

Eine freundlich aussehende Frau erschien mit einem Staubtuch und einem Besen. Sie hob den Putzeimer auf und stieg eifrig die Treppe hinauf. Catweazle warf ihr einen entsetzten Blich nach und begann, hinter ihr herzuschleichen. Kühlwalda musste sofort gerettet werden."

 

Dieser Rettungsversuch bringt ihn mit Cedric zusammen, er entdeckt eine Zaubertür in verborgene Welten und eine Geheimschrift, die nur er deuten kann. Und die dann das folgende Abenteuer in Gang setzt. 

 

Der Stil ist sehr plastisch, ohne Probleme werden Leser jeden Alters die erzählte Geschichte wie einen Film vor Augen sehen können.

Die Spannung ist nie so, dass sie Angst erzeugt, viel eher Neugier. Probleme werden immer mit List und Tricks gelöst, es gibt keine Hierarchie von Starken und Schwachen. Die Ticks, die Catweazle pflegt, wie aufgeregtes Pusten auf seinen Daumenring, das Wedeln mit seinem magischen Schwert oder seine unerschöpfliche Fantasie beim (harmlosen) Fluchen machen ihn zu einem sehr liebenswürdigen Unhold-Zauberer. Und das alles zusammen finde ich überaus sympathisch.

 

Für junge Zuhörer oder Leser liegt ein besonderer Reiz auch darin, dass sie ebenfalls eine Zeitreise unternehmen. Keine so gewaltige wie Catweazle natürlich, aber immerhin in eine Zeit, als Telefone noch knochenförmige Hörer hatten, Fotos in Dunkelkammern entwickelt wurden und kein Computer existierte, lediglich ein Fernseher, bei dem manchmal der Empfang schlecht war.

 

 

 

 

 

Richard Carpenter: Catweazle der große Zauberer

Aus dem Englischen von Sibyl Grafin Schönfeldt

Ravensburger Verlag, 2011, 382 Seiten

(Deutsche Erstausgabe 1974)

Für Leser ab 9 Jahren