Chikamatsu Monzaemon - Trommelwellen

und andere Erzählstücke für die Puppenbühne

Dieses Buch war für mich eine Einführung in eine fremde Welt: in die des japanischen Puppentheaters des

17.  und 18. Jahrhunderts.

Der Autor Chikamatsu Monzaemon, 1653-1725, gehört neben Ihara Saikaku und Matsuo Basho zum "literarischen Dreigestirn der ersten bürgerlichen Blütezeit Japans" um 1700. In den Stücken Chikamatsus spiegelt sich eine aufstrebende Bürgerschicht, die sich neben dem Adel zu etablieren beginnt, die Entwicklung in Japan verläuft hier nicht anders als in Europa. Dankenswerter Weise gibt der Übersetzer und Herausgeber des vorliegenden Buches,

Detlev Schauwecker, in den Anmerkungen Hinweise auf diese Verbindungen, sie erleichtern die literaturhistorische Einordnung. Und sie erleichtern auch das Verständnis der Stücke, die von Ehebruch, dem gemeinsamen Tod Liebender oder von Rebellen erzählen, klassischen Themen der Weltliteratur. 

 

Detlev Schauweckers vorzügliches Buch besteht aus einem Textteil, fünf sogenannten "Bürgerstücken" und einem "Historienstück". Ihnen allen ist eine einführende Vorbemerkung vorangestellt, außerdem gibt es ein Namensverzeichnis. 

 

Der erste Text, "Tod in Sonezaki" greift ein Thema auf, das bereits an Schauspielbühnen sehr erfolgreich war, dem des gemeinsamen Selbstmordes Liebender. Dieses Phänomen trug sich um 1700 fast modeartig immer wieder zu, die Literatur nahm es auf. Chikamatsu entwarf mehr als zwanzig Stücke zu diesem komplexen Thema, das persönliche und gesellschaftliche Aspekte in sich vereinte. Denn in aller Regel führten Standesunterschiede, vorgezeichnete Bahnen, die verlassen werden wollten oder Fragen der Ehre zu den Suiziden. Nachdem es für die Liebenden keine Möglichkeit gab, im Leben vereint zu sein, erhofften sie sich ein Wiedersehen im Jenseits. 

 

In diesem Stück wird auch die Lage der Dirnen beleuchtet. Diese waren in abgegrenzten Bezirken eingeschlossen, per Vertrag für mehrere Jahre an einen "Hausvater" gebunden. Sie waren oft sehr jung, wurden gnadenlos ausgebeutet, durften den Dirnenbezirk nicht verlassen und entwickelten doch ein hohes moralisches Bewusstsein. So denkt Ohatsu, 19, im Moment ihres Todes an ihre Eltern, die sie vermutlich an den Hausvater verkauft hatten:

 

"Wie ich dich (ihren Geliebten Tokube) beneide! Du wirst, sagst du, die Eltern in der Totenwelt wiedersehen. Mein Vater, meine Mutter aber sind auf dieser Welt, sind gesund. Wann werd´ ich die sehen können? ... Welches Leid füge ich euch zu, wenn morgen das Gerücht vom Liebestod eurer Tochter das Dorf erreicht! Ich bitte euch, ihr Eltern, und ihr, meine Brüder, lasst mich aus der Welt scheiden. ... O liebste Mutter und du, lieber Papa, an dem ich so hänge."

 

Alle Stücke des Puppentheaters wurden von einem "Erzähl-künstler" vorgetragen, ein Musiker begleitete ihn.

Der Originaltext gleicht einem Libretto, seine Musikalität entscheidet mit über seine Qualität. Die Übersetzung ist dagegen frei gehalten, sie soll gut lesbar und vor allem verständlich sein. 

 

Zur Verständlichkeit trägt der zweite Teil, "Erläuterungen", bei. Dieser Part ist gegliedert in die Themenfelder Hinter-grund, Leben und Werdegang des Autors, seine Äußerungen über seine Texte und die Kunst im allgemeinen, Bemerkun-gen über seine ersten Bühnenerfolge und dann noch einmal explizite Erläuterungen zu den einzelnen Stücken.

 

Die hohe Kunst des Puppentheaters ist, so Chikamatsu,

einer unbeseelten  Figur eine Seele einzuhauchen. Die Aufmerksamkeit des Publikums kann nur geweckt werden, indem man Gefühle auf die Puppe überträgt - dies geschieht, indem die "Sprache des joruri (= Puppentheater) beseelt" wird. Sein anhaltender Erfolg über Jahrzehnte hinweg zeigt, dass der Künstler seine Zuschauer erreichte, es verstand, die großen Gefühle zu wecken, die vom Theater erwartet werden.

 

Chikamatsu äußerte über die Kunst:

"Was man Kunst nennt, ist die hauchdünne Scheidelinie zwischen Wirklichkeit und Schein."

Diese Scheidelinie dürfte dem damaligen Publikum ohne Schwierigkeit geläufig gewesen sein, schließlich spiegeln die Stücke das Zeitgeschehen.

 

Für heutige LeserInnen, westliche zumal, liegt ihr Zauber nicht zuletzt in ihrer vielfältigen Art. 

Es gibt Porträts zweifelhafter Hofleute, katzbuckelnder Diener, streitender Paare, kein Blatt vor den Mund nehmende schimpfende Personen, groteske Szenen. Außerdem Verwechslungskomödien oder -tragödien, zu Herzen gehendes Liebesgeflüster oder den Schmerz der Trauer und des Verlusts, der wortreich inszeniert wird. 

So gestaltet der Autor Konflikte auf psychologischer und gesellschaftlicher Ebene, das Rebellenstück "Die Dirnen von Shimabara" von 1719, thematisiert außerdem die Verfolgung und das Verbot der Christenmission.

 

Bei der Lektüre der Bühnenstücke wird klar, wie sehr sich die Entwicklungen der japanischen und die der westlichen Kultur und deren Reflexion in der Literatur gleichen. Das Buch ist damit nicht nur eine Einführung in die Kunst eines fernen Landes, sondern auch der Hinweis auf  Verflechtun-gen über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg.

Lässt man sich ein auf diese Texte, wird man mit zauber-haften Impressionen beschenkt, und nicht nur das: es wird klar, was der Begriff "Weltliteratur" bedeutet.  

 

 

Als kleine Kostprobe sei hier noch ein Monolog aus dem Stück "Die Ölhölle" zitiert:

 

"Nanu, ein Bergpfaff? Ein seltener Gast bei uns, doch ich kenn´ Euch vom Sehen. Ihr seid Bruder Weißfuchs. Wollt meine Schwester gesundbeten? Ich wette und geb´ meinen Kopf drauf, dass Eure Beterei den Geist aus der Besessenen nicht treibt. Ist die Mutter Arznei holen? Der tödlichen Krankheit der Schwester hilft auch nicht Jivaka ab, der Weise der indischen Heilkunst! Vergebliche Liebesmüh ist das. Doch Vater, wichtiger als alles auch als Okachis Leiden, ist etwas anderes. Ich hab´ schon der Mutter davon erzählt, es aber wieder vergessen. Heute fiel´s mir wieder ein und ich hab´ alles stehen und liegen lassen, es dir zu sagen.

Im vergangenen Monat traf ich in Nozaki auf den Onkel Moriemon.  Er habe eigens einen Eilboten schicken wollen, meinte er, doch nun sei ich da, der willkommene Überbringer. Ich solle den Eltern dies ausrichten: er habe seinem Herrn eine Summe von über dreitausend monme unterschlagen und könne sich entleiben oder müsse zur Hinrichtung schreiten, wenn er die Summe bis zum Abrechnungstermin nicht aufbringt. Er bitte dich, wie Leute es nur einmal tun im Leben: du mögtest den Betrag zusammenstellen und mir mitgeben. Der Onkel meinte noch, mein Bruder brauche davon nichts zu wissen; der Kerl verstünde ohnehin nichts von Verantwortung und Regeln.  

Das ist, was ich dir ausrichten soll - und das ist viel. ..."

 

In diesem Stil sind viele Passagen gehalten, es gibt aber auch ganz andere Szenen. Das folgende Zitat stammt aus dem Stück "Tod in Sonezaki":

 

"Tiefer und tiefer kerbt sich die Spitze hinein. Der Mann spürt, dass auch seine Kräfte nachlassen. Er streckt die Hände aus nach der Frau in ihrer Qual des letzten Atemzugs - dolores in hora mortis, animam exspirat.

Auch mich hält hier nichts länger. mein Atem soll mit ihrem stillstehen.

Er greift nach ihrem Messer, stößt es sich in die Kehle, wendet es dort, als solle der Griff brechen, die Klinge zerspringen. Um ihn wird es schwarz. Der Atem, der gerade noch quälte, ist abgeschnitten im Morgengrauen, zu der Stunde, die ihnen bestimmt war."

 

Zur Einstimmung und zum Ausklang sind dem Buch  feine Abbildungen beigegeben. Sie zeigen Bühnenszenen oder auch Chikamatsu am Schreibtisch, sie runden diese Begegnung mit einem Autor und einer Kunst ab, die zu entdecken sich wirklich lohnt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Chikamatsu Monzaemon: Trommelwellen und andere Erzählstücke für die Puppenbühne

Übersetzung und Erläuterungen Detlev Schauwecker

Hakuin Verlag, 2020, 572 Seiten

(Originalausgaben der japanischen Texte 1703-1721)