Johannes Bobrowski - Mäusefest

Der Dichter Bobrowski wurde 1917 in Tilsit geboren. An der russisch-litauischen Grenze also, nicht weit weg von Königsberg und preußisch geprägt.

1928 zog die Familie nach Königsberg, wo Bobrowski ab 1937 seinen zweijährigen Militärdienst leistete.

Den gesamten Krieg über war er Soldat, lediglich ein Semester Kunstgeschichte konnte er in Berlin, wohin seine Familie bereits 1935 gezogen war, studieren - dies war vor dem Krieg sein Ziel gewesen. Die Jahre 1945-49 verbrachte er in russischer Kriegsgefangenschaft. Volle zwölf Jahre seines Lebens, vom Abitur mit neunzehn, bis zum Alter von zweiunddreißig, waren von Militär und Krieg geprägt.

 

Ab 1949 bis zu seinem Tod 1965 lebte Bobrowski in Ost-Berlin. Er arbeitete als Lektor, veröffentlichte Gedichte und Erzählungen. 1962 erhielt er den Preis der Gruppe 47, was ihm ermöglichte, relativ frei zwischen den beiden deutschen Staaten zu pendeln.

 

Seine innere Heimat blieb das Land der Kindheit und Jugend. Sowohl die Stadt Königsberg als auch das weite Land Ostpreußen, die Sommerurlaube an der Memel, die Eindrücke Litauens, das Verschmelzen der vielen Kulturen, Sprachen und Religionen, Mythen und Sagen, die gemeinsame Geschichte Deutschlands und Osteuropas sind die Themen seiner Gedichte und Erzählungen.

 

Die zweiundzwanzig Erzählungen des Buches "Mäusefest" erschienen in den Jahren 1962 bzw. 1965, ebenfalls im Wagenbach Verlag.

 

Sie sind angesiedelt in der Weite des Ostens und in der Enge kleiner Dörfer und kleinster Hütten.

Sie sind bevölkert von Menschen, die versuchen, mit ganz wenig in Würde zu leben.

Dieses Wenige wird bedroht von durchziehenden Soldaten, eine ganze Kultur wird nicht "nur" bedroht, sie wird ausgelöscht.

 

Bobroski schreibt aus dem Rückblick über die Dörfer und Menschen, er weiß, was ihnen passierte. Dies macht einen Teil der Faszination seiner Texte aus.

Über einfachen Szenen, bevölkert mit freundlichen Menschen, schwebt das Wissen, dass sich bald alles von Grund auf ändern wird.

Die Texte sind ruhig, glatt wie Seen, doch zwischen den Zeilen und direkt hinter den geschriebenen Worten steht ein anderer Text. Einer, der verstört und aufwühlt, einer, der eine andere Geschichte erzählt.

 

"Moise Trumpeter sitzt auf dem Stühlchen in der Ladenecke. Der Laden ist klein, und er ist leer." Mit diesem Satz beginnt die Erzählung "Mäusefest". Es ist Nacht, Trumpeter wirft ein Stück Brotrinde auf den Boden, sofort kommen die Mäuschen im Mondlicht angeflitzt und stürzen sich auf das karge Mahl. Für sie ist es ein Festmahl.

Da kommt ein junger Soldat herein, ein Milchbart, er will wohl sehen, wie die Juden leben. Moise ahnt, dass mit diesem "Schuljungen" das Unglück hereinkommt. "Das war ein Deutscher, das hast du doch gesehn. Sag mir bloß nicht, der Junge ist keiner, oder jedenfalls kein schlimmer. Das macht jetzt keinen Unterschied mehr. Wenn sie über Polen gekommen sind, wie wird es mit deinen Leuten gehn?", fragt der Mond. "Ich hab gehört, sagt Moise."

 

Moise ahnt, was geschieht, der Leser weiß es. 

 

Die Geschichten, kaum eine ist mehr als fünf Seiten lang, erzählen von Deportationen von Staatsfeinden und Volksfeinden, von Armut, Verlust, Flucht und Exil, von (manchmal skurrilen) Menschen im privaten oder öffentlichen Raum, der (fast) Unbezwingbarkeit von Dienstvorschriften, dem Anfang des Krieges und Weihnachten im Krieg, Gedenk- und Warnzeichen, aber

auch von Dorf und Tanz und wunderbarer Natur.

 

Die letzten drei Texte beschäftigen sich mit dem Geschichtsverlust, dem, was der Krieg zurückgelassen hat und dem Kommunismus - diese "Fortgeführten Überlegungen" sind ein sehr persönlicher, autobiographisch gefärbter Text, die Gedanken enden in einer Frage: "Heute?" Es ist ungewiss.

 

"Es können ja neue Häuser an die Stelle der alten gesetzt werden; alles neu, ein neuer Name für die Straße, neue Bewohner, man hat präzise, ausreichend detaillierte Vorstellungen, wenn es um die Zukunft geht. Aber wie das mit dem Alten, Früheren, dem Vergangenen gewesen ist, da bleibt man auf Vermutungen angewiesen. Das ist gewesen, und ist vergangen, Zeit, und verlorene Zeit. Wie Geschwätz."

 

Bobrowski stellt diesem Geschwätz seine Erzählungen gegenüber, die schildern, was untergegangen ist.

Die die Verwüstungen aussprechen, die aber von einer großen Empathie für die Menschen getragen sind, nicht

ohne Witz und Augenzwinkern, mit Liebe zu den Menschen und zum Land.

Seine Sprache ist außergewöhnlich. Sie kann präzise beschreibend oder leise andeutend sein, sie ist bilderreich und poetisch, sie wechselt von ganz kurzen Sätzen hin zu solchen, die mehr als eine Seite lang sind. Es gibt Stellen, da wird die Natur zur handelnden Person ("Der Wald hielt seine Lieder zusammen, dass sie nicht hinausflogen ins Feld:").

An vielen anderen Stellen ist die Beschreibung der Erfahrung eines bestimmten historischen Ereignisses so tief menschlich, dass es generell für diese Erfahrungen steht.

Es herrscht eine großartige Weite in diesen Erzählungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Johannes Bobrowski: Mäusefest

Verlag Klaus Wagenbach, 2017, 144 Seiten

(Originalausgaben 1962 bzw. 1965)