Thomas C. Breuer -

Als Champion Jack Dupree mir half, im strömenden Regen einen Opel anzuschieben

Wohl dem, der ein Tagebuch führt, auch wenn das, was da drin steht, nach Jahren oder Jahrzehnten echt peinlich sein kann. Die Tagebücher Thomas C. Breuers sind jedenfalls eine Fundgrube für den Kabarettisten, Schriftsteller und Moderator, der mit Hilfe dieser kleinen schriftlichen Fluchten und ganz viel Musik seine Jugend in der tiefsten Provinz überlebt hat.

 

Geboren 1952 in Bad Ems, wo "wir für unser Vergnügen selbst sorgen" mussten, später nach Koblenz, dem "Inbegriff der Großstadt" gezogen und nach einem kurzen Abstecher nach Marburg in Trier gelandet, erkundet Breuer die Welt hinter den Flüssen und Bergen, indem er tief in die Musik seiner Zeit eintaucht.

 

Hierbei war die erste zu beantwortende Frage: Beatles oder Stones? "Stones für den Körper, Beatles für den Geist".

Breuer verharrt hier in einer gewissen Zerrissenheit, zum Glück gibt es aber fast unendlich viele andere Bands, in deren Sound man sich verlieren, spiegeln, vervielfältigen kann, mit deren Lyrics man sich identifiziert, die beflügeln und unerwartete Türen öffnen.

 

Außerdem gibt es Bier und Whiskey, Gras und Mädchen.

Wobei letztere für den Ich-Erzähler der zehn in diesem Band vereinten Stories lange in unerreichbarer Ferne liegen.

Er ist zu groß, zu dünn, zu schüchtern und er spielt nicht etwa Gitarre oder Drums, nein, er spielt Mundharmonika.

Nicht gerade das coolste Instrument.

 

Ein Taschengeld verdient er sich in der Gaststätte seiner Eltern. Nachdem diese sich scheiden ließen und Breuer die Schule abgebrochen hat, behilft er sich mit kleinen Jobs und auch mal schnorren. Er spielt in diversen Bands, arbeitet für einen Musikverlag, Plakatieren, Zettel verteilen und Kindermädchen für unpraktische Musiker spielen, gehören zu seinen Aufgaben. Damit eröffnet sich ihm ein weiteres Feld der Musik, nämlich das der Bühnen, Stars und aufstrebenden Talenten (leider auch solchen, die auf dem absteigenden Ast sind).

 

Als er an seinen ehemaligen Mathelehrer denkt fragt er sich:

"... wie er es geschafft hat, seine Jugend ohne emotionale Unterstützung, ohne die Hilfestellung von Blues, Folk und Pop zu durchlaufen. Ich wäre verratzt gewesen ohne all diese Klänge, die mir die Welt bisweilen zu einem Format aufbliesen, das ich so nicht vermutet hätte. Ich frage mich, wo ich ohne all diese Aufheller gelandet wäre ... und was aus mir geworden wäre ohne die Leute, die mich mit der Musik bekannt gemacht hatten ..."  

 

Sämtliche Stories sind eine Hommage an die Musik, einer jeden ist eine "Trackliste" beigefügt. Viele bekannte Namen sind darunter, aber auch solche, die den Lesenden, sollten sie in einem anderen Jahrzehnt geboren worden sein, vielleicht nicht geläufig sind. Was eine Gelegenheit wäre, sie sich einmal anzuhören.

 

In den Stories erzählt Tomas C. Breuer von der Schule, den Eltern, verschiedenen WGs, Konzerten und Festivals, der Buchhändlerlehre, die er sogar abgeschlossen hat, trotz harten Lebens in der angesagtesten WG in Trier, trotz den Schwierigkeiten, die die Liebe mit sich bringt, trotz der Lebenseinstellung, die im Clinch mit allem lag:

 

"Die `Gesellschaft´ erfreute sich bei uns großer Gering-schätzung. Hermann-Josefs Erkenntnis `Dat System is kaputt. Total kaputt!´ galt an der Mosel wie früher am Rhein. 

Wir glaubten an die Ungeduld und Unverwundbarkeit, die beiden großen Us. Damit uns nicht die `Gesellschaft´ Blessuren zufügte, verwundeten wir uns selbst, und zwar fortwährend, um uns unempfindlich zu machen gegen alles Mögliche oder zumindest gewappnet."

 

Über Gefühle sprechen? Privatsphäre einfordern? Einmal nicht den Erwartungen der Gruppe entsprechen?

Schwierig.

 

Die Stories, von denen einige schon 1996 erschienen, nun überarbeitet und erweitert um bislang unveröffentlichte Texte, schreiten locker chronologisch voran.

 

Die Entwicklung vom Jugendlichen zum jungen Erwach-senen, der viele Umbrüche erlebt, total glückliche Momente und viele unglückliche, fängt der Autor in einer Sprache ein, die den Geist der Zeit transportiert, aber nicht anbiedernd zwangsjugendlich ist. Er zitiert aus seinem Tagebuch und  reflektiert rückblickend seine eigene Situation sowie die seiner Freunde:

"Was war los mit uns? Waren wir nicht angetreten, alles anders zu machen, irgendwie besser? Warum fingen wir nicht endlich damit an?"

 

Immer immer wieder kann er sich nur wundern, aus wie vielen Baustellen ein Leben besteht. Zum Glück gibt es für jede die passende Musik.

 

"Wenn ich heute die Fotos von früher betrachte, denke ich, dass ich diese alte Armeejacke nicht zum Spaß trug. Ringsum Kriegsschauplätze. Ich gab mir einen kämpferischen und trotzigen Anstrich, während ich innerlich auseinander-krachte. Nur der solide Stoff der Jacke hielt mich zusammen."

 

So endet die längste und letzte Erzählung des Buches mit dem Titel "Sekt in der Wasserleitung" (den gab es dort wohl tatsächlich immer mal wieder!).

Er hat es geschafft. Und nicht vergessen, wie es einmal war. Von wegen, "Die Gutenaltenzeiten",  Story #5.

 

 

Anstelle einer Trackliste sei hier eine Reihe von Zitaten  angeführt, um noch einmal den Stil und die gewinnende Selbstironie Breuers deutlich zu machen:

 

"Traumatische Erlebnisse hatten mich systematisch zum Einzelgänger reifen lassen: Als einziger in der Klasse musste ich mit einem Geha-Füller zurechtkommen, wo doch alle Welt Pelikan benutzte, meine Turnschuhe waren nicht annähernd von Adidas - diese Probleme gab es also schon früher - und dann natürlich das Kurze-Hosen-Trauma bei der Erstkommunion.."

 

"Die Augen habe ich von meiner Mutter, das Kinn von meinem Vater, die Socken von meinem Bruder."

 

"So richtig wild war ich nie: Bloß weil ich meine Blockflöte angezündet habe, war ich noch lange kein Hendrix."

 

"Mir geht es eher um das Wesentliche, also die Musik: Die Welt ist eine Scheibe."

 

"Wir waren damals ziemlich dämlich, unwissend, leicht beschränkt, wie waren die Herren unserer Welt. Landeier, redlich bemüht, das wachsende Heer der Unangepassten zu vergrößern. Die Ignoranz hat uns mit einem Schutzschild versehen, aber immer darauf bauen sollte man nicht."

 

 

Lust auf mehr?

 

 

 

 

 

 

 

Thomas C. Breuer: Als Champion Jack Dupree mir half, im strömenden Regen einen Opel anzuschieben

Maroverlag, 2021, 208 Seiten