Ana Schnabl - Grün wie ich dich liebe grün

Ana Schnabl schreibt mit dem Skalpell.

Ihre Erzählungen legen die Wurzeln frei. Sie sind ohne Umschweife und Ausschmückungen, halten sich nicht mit gefühligen Beschreibungen auf. Sie erzählen von Menschen, die im Sinne der gesellschaftlichen Norm `nicht normal´ sind, die mit ihren Ängsten kämpfen oder sich vor  Verantwortung scheuen, Kinder bleiben wollen.

 

Die zehn in diesem Band versammelten Erzählungen sind Ana Schnabls Debüt. Die 1985 in Slowenien geborene Schrift-stellerin und Journalistin beschäftigt sich intensiv mit der Frau in der Psychoanalyse. Ihre Erzählungen sind jedoch keine Fallstudien, sie nutzt ihr Wissen, um literarisch anspruchsvolle Texte zu schreiben, die sich den LeserInnen einbrennen.

 

Mittelpunkt aller Geschichten sind Frauen in ihren ver-schiedenen Rollen. Die Alleinstehende, die beruflich Erfolg-reiche, privat Gescheiterte, die nachgiebige Mutter, die ein erwachsenes Kind hat, das nicht erwachsen werden will, 

die Mutter eines Neugeborenen, die keine Liebe zu diesem fremden Wesen entwickeln kann, ein Kindermädchen, das mit einem hyperaktiven Kind zurecht kommen muss, eine Frau, die von ihrem Partner geschlagen wird und ihm danach das Essen zubereitet, Zwillingsschwestern in einer kompli-zierten Verbundenheit, die tödlich endet.

 

Diese Konstellationen bettet Ana Schnabl ein in die Erwartungen der Gesellschaft.

 

Am verstörendsten für mich ist die letzte Erzählung, "Ana".

Sie handelt von den Zwillingsschwestern Ana und der

Ich-Erzählerin, die von Beginn an im Schatten Anas stand.

Ana war nicht nur schön und beliebt, sie setzte sich auch für andere ein und tröstete ihre Schwester.

Bis Ana sich plötzlich verändert. Abmagert, ihren Glanz verliert, störrisch und rebellisch wird. Ist das alles noch im Rahmen der Pubertät?

 

"Diese Veränderungen erlebte ich als harmlosen Zerfalls-prozess und freute mich darüber. ... Ich hoffte, dass nun

mein Augenblick kommen werde."

Die Eltern nähern sich nun zwangsweise der Erzählerin an, doch sie spürt, dass sie nur ein Ersatz ist und entwickelt einen Hass, der stärker ist als alle ihre bisherigen Gefühle.

 

Eine Entdeckung, die sie nicht versteht, dämpft den Hass, aber sie kommt Ana nicht zur Hilfe. Und erkennt:

"...ich kannte meine Schwester nicht, vor Neid und verhohlener Schadenfreude hatte ich sie nie als Mensch gesehen. Kein Mitgefühl hatte die Distanz zwischen uns überbrücken können, weil ich es nicht mit Inhalt gefüllt hatte."

Die Erzählerin wird sich nicht dazu durchringen können, Verantwortung zu übernehmen.

 

Die Erzählungen enden nicht versöhnlich, eine schließt sinnbildlich für alle mit dem Satz: "Harmonie bleibe den Engeln vorbehalten."

 

Engel sind sie nicht, die Figuren Ana Schnabls. Sie ringen mit ihren Ängsten, mit ihrer Bequemlichkeit, ihrer Gleichgültig-keit, ihren Sehnsüchten, ihrem Gewissen.

Harmonie ist ihnen ein Fremdwort, ein unbekanntes Gefühl.

 

Ana Schnabl versteht es in raffinierten Erzählungen, ihren Figuren ins Innerste zu schauen, ohne sie bloß zu stellen.

Sie enthält sich Bewertungen, überlässt es den LeserInnen, auszuhalten, was ihnen hier gezeigt wird.

 

Ein sehr reifes Debüt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ana Schnabl: Grün wie ich dich liebe grün

Übersetzt von Klaus Detlef Olof

Folio Verlag, TranferBibliothek, 2020, 176 Seiten

(Originalausgabe 2017)