Lucia Zamolo - Jeden Tag Spaghetti -

Wie es sich anfühlt von hier zu sein, aber irgendwie auch nicht

Italiener essen jeden Tag Spaghetti, das weiß doch jeder. So wie die Deutschen jeden Tag Kartoffeln und Kraut essen!???

Der Titel führt mitten hinein

in Stereotype, Schubladen-denken und Vorurteile. Lucia Zamolo beschreibt in dieser beachtenswerten Annäherung an ein komplexes Thema ihre persönlichen Erfahrungen, reichert sie mit Geschichten an, die ihr erzählt wurden (dies schreibt sie in ihrem Nachwort) und filtert so die wesent-lichen Punkte heraus, die unter dem Stichwort "Alltagsrassis-mus" gefasst werden können.

 

Das Buch wendet sich an Lesende ab 9 Jahren, solche mit und ohne Migrationshintergrund. Was für ein Wort - es steht viel zu oft im Vordergrund und stets schwingt bei denen, die damit kategorisiert werden, das Gefühl mit, zwar dazu zu gehören, gleichzeitig aber nicht.

 

Wie oft hat Lucia Zamolo die Frage, "Wo kommst du her?

Ich meine, wo kommst du eigentlich her?" gehört und mit "Mein Vater kommt aus Italien" beantwortet. Eine falsche Antwort auf eine falsche Frage. Die Feststellung "Du kannst nicht von hier sein" klingt wie ein Vorwurf, greift in die Privatsphäre ein und ist der Auftakt zu weiteren Aussagen oder Handlungen, die bei Licht betrachtet ganz schön unver-schämt sind. 

 

Wie die "toxischen Komplimente" zum "südländischen Aussehen", das Lob der Lehrerin für "akzentfreies Deutsch", oder die überraschte Feststellung, dass sie, obwohl sie Migrationshintergrund hat, keine Probleme macht.

 

Die erzählende Heldin berichtet von den Erfahrungen einer aus dem Iran stammenden Freundin und ihren Schwierig-keiten ein Zimmer zu finden, eines Freundes, der sich schließlich den Afro abrasiert hat, weil er es nicht mehr erträgt, dass fremde Menschen in seine Haare fassen oder einem dunkelhäutigen Architekten, der für die Putzkraft gehalten wird.  

 

Lucia Zamolo fügt in diese persönlichen Erfahrungsberichte Definitionen von Begriffen wie  "Migrationshintergrund", "Schubladendenken", "Mikroaggressionen", "rassistische Denkmuster" u.a. ein. Damit weist sie darauf hin, dass es sich keinesfalls um Erlebnisse Einzelner handelt, sondern um grundsätzliche Probleme. 

 

Mit der bezaubernden Figur und ihren Freunden demontiert sie die Aussage Helmut Kohls von 1989, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Eine Ansicht, die sich hartnäckig hält, wie der damit verbundene Glaube, Rassismus gehöre der Nazi-Zeit an und sei nun vorbei. Genauso räumt sie mit dem Glauben auf, die vielleicht gut gemeinten neugierigen Fragen seien harmlos, denn sie können "auf vielen Ebenen so viel mehr " auslösen. Meist nichts Gutes.

 

"Nur, weil etwas nicht beleidigend gemeint war, tut es ja nicht weniger weh", so lautet eine zentrale Aussage des Buches. Es endet mit der Bitte: "Glaub nicht alles, was du denkst" und "Wir lernen nur, wenn wir uns Fehler eingestehen - auch wenn´s unbequem ist. Pls remember:

in so einer Schublade ist es das auch."

 

Nebst dem Text stammen auch die Illustrationen aus der Feder Lucia Zamolos. Sie zeigen ein meist nachdenkliches Mädchen, dargestellt in der erzählten Situation. Mit Schub-laden und Stammbäumen hantierend, auf dem Weg nach Italien, von vielen kleinen Mückenstichen geplagt, das sind die Mikroaggressionen, mit Brille sehr genau den Begriff "Intoleranz" betrachtend. Und natürlich auch Spaghetti essend. 

 

Gekocht von ihrem Vater, der, nach Aussage ihrer Freundin, die beste Tomatensoße der Welt dazu gemacht hat. Ob das Rezept ein Familiengeheimnis ist? Nun ja, eher nicht. 

Die Soße entstammt der wohlbekannten Packung, die mit "M" beginnt, wer kennt sie nicht.

 

Die Mischung aus Individuellem und Gesellschaftlichem, die Sprache, die das Denken einer Jugendlichen einfängt, ohne aufgesetzt zu wirken, die Dinge beim Namen nennt, die LeserInnen immer wieder direkt anspricht, ebenfalls die Balance zwischen persönlichem Ton und sachlichen Informationen hält, macht das Buch zu einer profunden Einführung für junge LeserInnen, durchaus auch als Schullektüre geeignet.

 

Die direkte, nicht anklagende, aber dezidiert feststellende Vorgehensweise mit der Bitte, das nachzuvollziehen, was die Heldin und all ihre Freunde so oft erleben, ist charmant und effektiv. Und nicht nur für Jugendliche bedenkenswert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lucia Zamolo: Jeden Tag Spaghetti - Wie es sich anfühlt von hier zu sein, aber irgendwie auch nicht

Illustration von Lucia Zamolo 

Bohem Press, 2022, 128 Seiten