Sylvia Townsend Warner - Lolly Willowes oder

Der liebevolle Jägersmann

Lolly Willowes, erschienen 1926,

ist der Debütroman Sylvia Townsend Warners. Er wurde in Großbritannien und den USA begeistert aufgenommen, mit Preisen ausgezeichnet und 2014 in die `Liste der hundert besten englisch-sprachigen Romane´  aufgenommen.

Hierzulande darf und muss die Autorin noch entdeckt werden. Schön, dass nun die überarbeitete Übersetzung von Ann Anders vorliegt, versehen mit einem profunden Nachwort von Manuela Reichart.

 

Sylvia T. Warner war eine begabte und freiheitsliebende Frau. Ursprünglich wollte sie bei Schönberg in Wien Musik studieren, der Krieg verhinderte dies. Ab 1917 war sie Mitherausgeberin eines Nachschlagewerkes zur Musik der Tudor-Zeit, in den 1920er Jahren begann sie, Gedichte zu schreiben. Nebst diversen Romanen und Kurzgeschichten schrieb sie später auch für den New Yorker, trat 1935 der Kommunistischen Partei bei, reiste zwei Mal nach Spanien um über den Bürgerkrieg zu berichten - und sie nahm sich die Freiheit, ab 1930 mit ihrer Partnerin Valentine Ackland zusammenzuleben.

Die beiden Frauen lebten in einem Cottage auf dem Land, schrieben, veröffentlichten zusammen Gedichtbände und stritten für die gleichen Ideen.

 

Die Freiheiten, die sich Sylvia Townsend Warner nahm, musste sich Lolly Willowes erst erkämpfen.

 

Als unverheiratete Frau wurde Laura, so ihr richtiger Name,  nach dem Tod ihres Vaters quasi von ihrem Bruder `übernommen´. 

Mit achtundzwanzig kam Laura nach London zu Henry, dessen Frau Caroline und den beiden Töchtern.

Sie wurde herzlich aufgenommen, war die zweite Mutter der Mädchen und es war klar, dass sie keine eigenen Bedürfnisse hatte. Wie erwartet ging sie in den Pflichten des Alltags auf.

Zwanzig Jahre lang.

 

Dieser Zeit bis zu Beginn der 20er Jahre widmet sich der erste Teil des Romans. Großartig ist die Schilderung des gesellschaftlichen Lebens, der Familie, der Vorlieben und Abneigungen, der Charaktere einzelner Familienmitglieder.

Sie wandeln vor den Augen der LeserInnen, man hört sie sprechen, sieht sie agieren.

 

Vor allem natürlich Laura, die weder hübsch, noch gesellig, noch praktisch veranlagt war - es war schließlich unmöglich einen Ehemann für sie zu finden. Sie wollte auch keinen.

 

"Aber als Laura nach London zog, ließ sie Laura zurück und trat in den Zustand der Tante Lolly ein. Sie hatte so viel von sich aufgegeben, als sie Somerset verließ, dass es ihr selbst-verständlich erschien, auch ihren Namen aufzugeben. ...

Laura war beiseite gelegt worden."

 

Im zweiten, in London spielenden Teil, springt sie der Wunsch an, für sich alleine zu leben. Zwar hat Henry sich verspekuliert und dadurch Lollys Vermögen halbiert, doch sie kann es sich leisten, zwei Zimmer bei einem ehrbaren Ehepaar zu mieten, und sich nach Great Mop in den Chilterns zurückzuziehen.

 

Man kann sich die Überraschung, das Entsetzen der Familie vorstellen. Eine siebenundvierzigjährige Frau, die plötzlich selbständig leben will!

 

Schnell setzt Laura ihre Pläne in die Tat um, freundet sich mit ihrer Vermieterin Mrs. Leak an, lernt die Leute im Dorf kennen, spürt tiefste Zufriedenheit, ist vollauf beschäftigt mit der Betrachtung der Natur, Spaziergängen, Nachdenken. 

 

Dieses wunderbare Leben wird plötzlich bedroht durch die Ankunft ihres Neffen Titus. Der hat sich in das Dorf verliebt, möchte in aller Ruhe ein Buch schreiben und setzt, ohne jemals darüber nachgedacht zu haben, voraus, dass seine Tante sich über seine Anwesenheit freut und für sein Wohl-ergehen sorgt. 

 

Doch: "Sie ging langsam, denn sie fühlte das Gewicht ihrer Ketten. Wieder war sie durch sie gefesselt. "

 

Nun nimmt der Gesellschaftsroman eine unerwartete Wendung ins Phantastische: Laura (sie ist wieder Laura und hat nicht vor, noch einmal zu Tante Lolly zu werden) nimmt die Dienste Satans in Anspruch, um Titus loszuwerden.

Mehrere Male begegnet sie ihm, er tritt als Wildhüter, Gärtner oder auch Jägersmann auf, er schickt ihr einen "Sendboten" in Gestalt eines dürren wilden Kätzchens. 

Titus Leben in Great Mop wird plötzlich unangenehm...

 

Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit ist Laura in die Rolle der Hexe geschlüpft. 

Sylvia T. Warner antwortete auf die Frage, woher sie so viel über Hexen wisse: "Weil ich selber eine bin." 

 

Ist eine Frau, die ein selbstbestimmtes Leben führt, eine Hexe?

 

"Man wird nicht zur Hexe, um Verderben bringend herumzurennen oder um hilfreich herumzurennen, eine Gemeindeschwester auf einem Besenstiel. Man will dem allen so entgehen - um ein eigenes Leben führen zu können, nicht eine Existenz, die einem von anderen zugeteilt wird, mildtätige Reste ihrer Gedanken, soundso viele Unzen trockenes Brot des Lebens am Tag...", so Laura in einem Gespräch mit dem Gärtner-Satan.

 

Im Kleid des Phantastischen steckt ein Plädoyer für die Freiheit, eine Anklage in satirischer Form an die sogenannte Gesellschaft.

"Es hatte Satan gefallen, ihr zu Hilfe zu kommen. Wenn sie es sich genau überlegte, wusste sie keinen anderen, der es hätte machen können. Gewohnheit, die öffentliche Meinung, das Recht, die Kirche und der Staat - alle hätten ihr mächtiges Haupt vor ihrer Bitte geschüttelt und sie in die Ketten zurückgeschickt."

 

Der Roman ist ein ganz großes Vergnügen. Typisch englisch zieht Sylvia T. Warner den Witz dem erhobenen Zeigefinger vor. Sie pflegt die Tradition des Märchenhaften, wählt die Phantasie als Instrument der Kritik und sagt damit deutlich, was sie denkt, ohne jemanden anzugreifen oder zu verletzen.

 

Befreundet mit David Garnett, dessen Dame zu Fuchs sie sehr schätze, mit Virginia Woolf, der grand dame der feministischen Literatur, die 1928 ihren ebenfalls phantastischen Roman Orlando veröffentlichte, war Sylvia

T. Warner Teil jener Intellektuellen, die das gesellschaftliche Leben mit und durch Poesie verändern wollten.

 

Ich halte es nicht für übertrieben, Lolly Willowes als Geniestreich zu bezeichnen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder 

Der liebevolle Jägersmann

Übersetzt von Ann Anders

Mit einem Nachwort von Manuela Reichart

Dörlemann Verlag, 2020, 272 Seiten

(Originalausgabe 1926)