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September 2023

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Lydia Steinbacher: Wolgaland

Wie viel haben die abgelagerten Schichten an Erinnerungen mit den realen Geschehnissen in der Vergangenheit zu tun? Lassen sich eigene Erinnerungen von  erzählt Bekommenem unterscheiden? Wann wird das Fremde zum Eigenen? Wie viel Realität beinhaltet ein Abbild, zum Beispiel ein (altes) Foto? Diese und noch viele grundsätzliche Fragen mehr stellt die 1993 geborene Autorin. Mit wenigen genau gezeichneten Figuren erschafft sie eine eindrückliche Geschichte, die von stillen Dramen erzählt, von Versuchen, Leerstellen zu füllen und verschiedene Melodien zu einem Lebens-Lied zu vereinen.

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Julia Schlosser:

Der unendliche Wald

Das märchenhafte Bilderbuch, das von starken schwarz-weiß-Kontrasten lebt, erzählt vom kleinen Fuchs, er erleben muss, wie "riesige, zornige Hände" die Erde aufreißen. Er muss fliehen, doch wohin? Gibt es den unendlichen Wald noch? Wissen die weisen Wölfe, wo er ist? Das Buch regt ein Gespräch über den Lebensraum Wald und dessen Bedrohung an, ganz ohne erhobenen Zeigefinger, aber konsequent aus der Sicht eines kleinen Waldbewohners, der seinen Bau verloren hat.

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Egon Bondy: Die ersten zehn Jahre

Einer der führenden Köpfe der tschechischen Avantgarde, Egon Bondy, 1930-2002, erinnert sich an die Jahre 1947-1957. Sie waren geprägt von Umwälzungen und Unsicherheiten, von Angst und Terror. Er entwickelte sich in dieser Zeit zum "arbeitsscheuen Individuum, kriminellen Element und Saufbold". Und er entwickelt sich zum  Schriftsteller, der sich anfangs den Surrealisten verbunden fühlte, später den Weg des `Totalen Realismus´ wählte. Der Ton dieses Buches ist schonungslos ehrlich, deftig und kantig, von einem selbstironischen und zugleich distanzierten Humor geprägt, der eine Wurzel in der Tragik hat. Aus vielen Episoden setzt sich so das Gesamtbild einer Epoche und eines außergewöhnlichen Lebens zusammen, das den Aufbruch und Ausbruch der Literatur auf faszinierende Weise darstellt.

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Alexis Pauline Gumbs: Unertrunken - Was ich als Schwarze Feministin von Meeressäugetieren lernte

In neunzehn Lektionen revolutioniert die Aktivistin, Poetin, Autorin und Meeressäugetierpraktikantin nicht weniger als das Denken und das Sein des Menschen in der Welt. Sie möchte die "Definition des Menschen revidie-ren, die so verstrickt in Abgrenzung und Herrschaft ist, dass sie unsere Leben unvereinbar mit dem Planeten macht." Was können wir von den Meeressäugern lernen? Wie kann dem den Planeten zerstörenden Kapitalismus ein Ende gesetzt werden? Doch das Buch ist keine politische Kampfschrift, es ist eine Einladung zu lernen, die Verbundenheit durch das Atmen zu erfahren, von den Unertrunkenen Überlebens-strategien abzuschauen. In allen Texten verbinden sich faktische Erkenntnisse mit tiefen Einlassungen auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten aller Lebewesen. Dabei hebt Alexis Pauline Gumbs auch die Trennung in "ich", "du" und "es" auf. Es wirbelt mächtig durcheinander, dieses genre- und auch alle sonstige Grenzen übergreifende Buch!

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Alfonsina Storni: Ultrafantasía

Die Gedichte Alfonsina Stornis sind echte Abenteuer. Sie sprühen vor Fantasie, "Ultrafantasie", zugleich sind sie fest in der Realität verankert. Wie auch in ihrer Prosa widmet sie sich dem Leben der Frau im Patriarchat, ihren Erfahrungen als ledige Mutter. Aber sie reflektiert auch ihr Sein als Dichterin und als Liebende. Häufig verwoben mit Bildern der Natur, manchmal ironisch, manchmal traurig, immer mit klarem Blick. Sie kann frech sein, weich oder kantig, sie hat eine ganz eigene Stimme, der zu lauschen man nicht müde wird. 

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Erika Apfelbaum: Melas zwanzigstes Jahrhundert - Das Leben und Überleben meiner Mutter

Mit dem Leben ihrer Mutter erzählt Erika Apfelbaum die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts aus der Sicht einer Frau. Geboren 1899 in eine großbürgerliche jüdische Familie, in Wien und Berlin lebend, muss sie  mit ihrem Mann Max und der Tochter 1937 Deutschland verlassen. Fünf Jahre später wird Max deportiert und in Auschwitz ermordet, Mela und die neun-jährige Erika entkommen durch den Mut eines Gendarmen. Völlig auf sich allein gestellt, hat Mela den eisernen Willen, ihrer Tochter das bestmögliche Leben zu sichern. 1947 beginnt sie in Paris zu arbeiten und macht eine traumhafte Karriere in einem internationalen Unternehmen.  Über ihre Erinnerungen spricht sie kaum. Erika recherchiert jahrelang und schafft es, aus winzigen Puzzleteilen ein Gesamtbild zusammenzufügen, das fundiert und fein ein Jahrhundert und ein Leben porträtiert.

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Ralph Roger Glöckler: Kinderdämmerung - Gedichte aus fünfzig Jahren

Diese umfangreiche Gesamtschau auf das dichterisches Werk Ralph Roger Glöcklers versammelt eine Auswahl aus verschiedenen, seit 1968 erschienenen Werken, sowie unveröffentlichte und späte/ undatierte Gedichte. Hier lässt sich der Weg des Dichters nachver-folgen, die Entwicklungen der Themen und des Tones, der Formgebung und der Haltung. Die Gedichte legen Zeugnis ab von Reisen ins Ich, in die Welt, in die Worte. Sie sind klar, auf das Wesentliche reduziert, es gibt keine Abschweifungen. Ein jedes Gedicht ist ein für sich stehendes ästhetisches Werk und zugleich verbinden sie sich zu einer Gesamtkomposition. Je öfter man sie liest, desto stärker klingen sie. 

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Ré Soupault: Geistige Brücken -

Radio-Essays

In vierzehn glänzenden Essays  beschäftigt sich Ré Soupault (1901-1996) mit historischen und literarischen Themen. Bestens recherchiert, klar und verständlich dargestellt, werfen die ursprünglich als Radiobeiträge geschriebenen Abhandlungen ein Licht auf die Zivilisation der Kelten, historische Ereignisse in Paris, diverse Philosophen und Schriftsteller der Moderne, die Frauenbewegung. Die vielfältigen Texte sind auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen: Ré Soupaults Interesse an den Menschen und ihr Wille zur Aufklärung. Ihre Haltung lautet: "Es gilt - für ihn (den Mann), für die Frau, für den Menschen - den Problemen des Lebens gegenüber, an den anderen zu denken."

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