Hier begegnet man Menschen, die in Erinnerung bleiben

Margrit Schriber: Die Stickerin

Margrit Schriber fiktionalisiert in ihrem Roman die märchenhafte Lebensgeschichte der Stickerin Maria Antonia Räss. Sie kam 1893 im Appenzell zur Welt, begann mit vier Jahren im Webkeller zu arbeiten, wanderte 1920 nach New York aus und gründete ihr eigenes Label. MRA wurde zum Gütesiegel feinster Stickerei, Maria Antonia zu einer Geschäftsfrau, die schließlich im Rockefeller Center residierte. Der Gegensatz der Welt, aus der sie kam und jener, die sie sich eroberte, könnte nicht größer sein. Der Roman, der sich auf Briefe, Erinnerungen und Fantasie stützt, zeichnet das Bild einer Frau, die schon früh weiß, was sie will, und die sich gegen Vorbestimmungen und Zuschreibun-gen wehrt. Mit Erfolg.

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Dacia Maraini: Tage im August

Heldin des 1962 erschienenen Debütromans Dacia Marainis ist die vierzehnjährige Anna. Sie lebt mit ihrem jüngeren Bruder in einem Nonneninternat in Rom, da ihre Mutter verstorben ist. Nun holt ihr Vater die Kinder ab, um einige Wochen mit ihnen am Meer zu verbringen. Anna ist fest entschlossen, endlich die Freiheit des Lebens jenseits der Internatsmauern kennenzulernen. Sie verweigert sich keiner Erfahrung, lässt sich auf Annähe-rungsversuche von Jungs und Männern ein, schaut dabei jedoch sehr distanziert und gleichgültig sich selbst zu, als sei sie sich eine Fremde. Ein verstörende Heldin - der Roman löste 1962 einen Skandal aus - in der der Nukleus aller großen Frauen liegt, die Dacia Marainis Werk auszeichnen.

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Michela Murgia: Drei Schalen

In zwölf locker miteinander verbundenen Geschichten erzählt Michela Murgia von existenziellen Veränderungen, denen ihre Held:innen sich stellen müssen. Manchmal gehen sie Wege, die verrückt aussehen, manchmal suchen sie ganz stille Lösungen. Sie alle betreten ein persönliches Neuland, in dem es weder richtig noch falsch gibt - das Leben muss sich neu ordnen. Auch wenn die Autorin von Krankheiten, Tod oder Verlassenwerden erzählt, haben die Erzählungen nichts Erdrückendes, im Gegenteil, sie sind ermutigend in ihrer Ehrlichkeit.

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Vohla Hapeyeva: Samota -

Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber

Von Einsamkeit und Stille, der Natur und dem Umgang der Menschen mit dieser, erzählt der Roman, in dessen Mittelpunkt die Vulkanologin Maja steht. Außerdem erzählt er von Empathie und davon, dass Sprünge möglich sind, die die Logik nicht vorsieht. Davon, dass sich Kreise nach Jahrzehnten schließen können und die Idee der Zeit, wie auch die von Realität, ein fragliches Konstrukt ist. Der kluge und warmherzige, nachdenkliche und vielfältige Roman wartet mit mancher Überraschung auf, denn Volha Hapeyeva scheut sich nicht, die magische Seite des Realismus in ihren Roman einzuflechten. Im innersten Kern ist er ein Plädoyer für das Mitgefühl.

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Xita Rubert: Die Unordentlichen

Die siebzehnjährige Virginia reist mit ihrem Vater für drei Tage nach Nordspanien, wo ein Kollege Juans einen Preis entgegennehmen soll. Diese drei Tage sind ein Zusammen-treffen mit spleenigen Menschen und gespickt mit unglaublichen Ereig-nissen. Sie sind für die junge Frau Anlass, sich mit den Fragen nach Realität und Wahrheit, Lügen und Erzählen, dem Prozess des Erinnerns und Schreibens auseinanderzusetzen. Nicht etwa trocken und theoretisch, sondern schillernd, detailreich, offen und ehrlich erforscht sie die Welt und sich selbst. Es entsteht ein Theaterstück über die komische Tragödie des Menschseins vor dem geistigen Auge der Leser:innen - ein im eigentlichen Wortsinne tolles Debüt!

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Aurora Venturini:

Wir, die Familie Caserta

Schonungslos offen blickt Chela, wie die Autorin 1921 in Argentinien geboren, zurück auf ihr Leben. Sie erzählt die Geschichte einer hyperin-telligenten Frau, einer wütenden Außenseiterin, eines ruhelosen Freigeistes - in dem jedoch immer wieder das Familien-Tier erwacht. Sie flieht und sucht zugleich die familiären Wurzeln, findet sie schließlich auf Sizilien in Person ihrer Großtante Angelina. Chela ist eine starke, unkonventionelle, irritierende Frauenfigur, allein ihr Witz hält sie davon ab, die Welt in die Luft zu sprengen. Der Roman ist  rauschhaft-fantastisch, unverschämt-schamlos, schnell und dicht, bildreich und manchmal verstörend wie die Heldin selbst.

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Michel Decar: Kapitulation

Der bislang erfolglose Dichter László erhält völlig unerwartet einen mit 7.500 Euro dotierten Preis der Sparkasse.

Das ist die Chance, neu anzufangen.

Er verlässt Berlin, verbringt einige Wochen im "Ruhestand" am Balaton, zieht weiter nach Süden, folgt dann der umwerfenden Tigris nach Odessa. László ist ein nicht mehr ganz junger Mann, aber auf der Suche ist dieser sympathische Taugenichts trotzdem unvermindert. Er kennt keinen Mittelweg, stürzt sich in jede Situation mit Haut und Haar, ist begeisterungsfähig, kann gleichzeitig glücklich und unglücklich sein - Michel Decar hat den Leser:innen einen sehr einnehmenden Helden geschenkt. Der Roman sprüht vor Pointen und witzigen Dialogen, hat einen flüssigen und griffigen Sound, ist sehr unterhaltsam und wirft am Ende die Frage auf: Worin besteht die Kapitulation?

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Fatou Diome:

Was es braucht, das Leben zu lieben

Vom Schicksal oder Alltag gebeutelte Menschen sind die Helden Fatou Diomes. Doch sie beschreibt ihre Stärke, die Kraft der Freundschaft und die Magie der Literatur. Von Anfang an entwickelt sich ein Sound, der den Aussagen die Schwere, nicht aber ihr Gewicht nimmt. Die Autorin hat einen ganz eigenen Stil, der Charme mit ungeschnörkelter Offenheit paart und den zehn Erzählungen eine unerwartete Heiterkeit verleiht.

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Saskia Winkelmann: Höhenangst

Die achtzehnjährige Ich-Erzählerin lebt bei ihrer Mutter, absolviert lustlos ihr letztes Schuljahr, hat keine Freunde. Am liebsten ist sie alleine im Mittelmeerhaus des Botanischen Gartens. Alles ändert sich, als Jo in die Klasse kommt. Sie ist unabhängig, macht ihr eigenes Ding, hat keine Angst. Die beiden werden enge Freundinnen, die zusammen einen illegalen Keller besuchen, tanzen, Drogen nehmen, sexuelle Erfahrungen sammeln. Bis alles aus den Fugen gerät. Die Erzählerin versucht im Nachhinein zu rekonstruieren, was passiert ist. Nicht nur an jenem Tag, sondern in der Zeit mit Jo. Der Roman erzählt von der Suche zweier jungen Frauen nach einer Welt, die sie leben lässt, die ihnen Raum gibt, sich zu entwickeln. Er erzählt klug und eindrücklich vom Springen und vom Fallen, den "zwei Arten von Höhenangst".

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Nina Jäckle: Verschlungen

Von einem "unumgänglichen Wir" handelt dieser Roman, von eineiigen Zwillingen, die in einer engen Symbiose miteinander leben - bis zum unerklärlichen Verschwinden der dominanten Ewa mit Mitte fünfzig. Zwei Jahre nach diesem Ereignis lebt die Ich-Erzählerin alleine in einem Waldhaus, denkt über ihr Leben nach, liest in alten, heimlich geführten Notizbüchern und stellt die Fragen: Was ist gegeben, vorgegeben? Wie gelingt es, eine eigene Lebensmelodie zu komponieren?  Kann eigens Handeln das Unausweichliche verhindern? Fragen, die durch die Konstellation der durch die Geburt als zwei Hälften eines Paares definierten Menschen auf die Spitze getrieben werden. Die Autorin hat in ihren Romanen eine eigene Melodie gefunden, sie übt einen starken Sog aus und zieht die Leser:innen direkt hinein in diesen langen, um existenzielle Fragen kreisenden Monolog.

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Verena Prantl: Glas

Eva, Anfang zwanzig, sucht ihre Identität. Und sie kämpft gegen ihre Angst, die sie immer wieder als nicht real bezeichnet, weil sie ja nur in ihrem Kopf sei. Dabei gibt es eine Figur im Roman, die sowohl eine innere Stimme, als auch ein realer Angreifer sein könnte, der Eva sichtbar verletzt. Das Spiel zwischen Realität und Vorstellung mit verschiedenen Erzählstimmen macht aus der Geschichte Evas einen eindringlich-zwielichtig schillernden Roman, der grundsätzliche Fragen stellt. Ein starkes Debüt.

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Drago Glamuzina: Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik 

Vierzehn Menschen sitzen eine Nacht lang zusammen und erzählen sich Dinge, die sie niemals erzählen wollten. In diesem modernen Dekameron werden alle Möglichkeiten ausgelotet, "was die Menschen sind und wozu sie fähig sind." Es geht um die Ereignisse, die das Leben verändert haben, "dessen wir uns schämen oder das wir fürchten." Der Ton variiert je nach Erzähler, was völlig fehlt sind Pathos oder Sentimentalität. Es geht um die Essenz der Geschichten.

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Laura Vinogradova:

Wie ich lernte, den Fluss zu lieben

Rute verlässt die Stadt und damit ihr altes Leben. Sie zieht in das von ihrem Vater geerbte  Haus mitten im Nirgendwo. Der Kontakt zu ihrer Nachbarin, vor allem aber das Leben in der Natur und Lauschen auf das, was der Fluss ihr erzählt, führt sie allmählich zurück zu sich selbst und den Menschen. Langsam weichen Schmerz und Sehnsucht und ermöglichen ein Weiterfließen des Lebens. Der feine, ruhige Roman verzahnt durch eingefügte Briefe Rutes an ihre vor langer Zeit verschwundene Schwester gekonnt die Innen- und Außenansicht und lässt die Leser:innen teilhaben an einem präzise gezeichneten Leben.

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Felix Heidenreich:

Der Diener des Philosophen

Der Diener des Philosophen Immanuel Kant, Martin Lampe, scheint ein Trottel zu sein. Weit gefehlt. Er bringt den Denker immer wieder in Erklärungs-nöte. So entwickelt sich ein merkwür-diges Gespann, zu dem noch ein Dritter gehört: Ehregott Wasianski, Freund und erster Biograph des Philosophen. Er hat eine ganz eigene Vorstellung von dem Bild, das von Kant bleiben soll... Der bestens komponierte Roman, der Fakten und Phantasie trefflich ineinander webt, handelt von Unvorhersehbarkeiten, Unerklärlichem, Schwäche und Eitelkeit, von den Abgründen des Zeitalters des Lichts und der Aufklärung. Er ist ein herrliches Stück über die (komische) Tragödie des Menschseins und nicht nur für Philosophiekenner ein herrliches, den Geist kitzelndes Vergnügen.

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Sara Wegmann: Sirma

Sirma ist ein Mädchen, das ausschließlich in Filmzitaten spricht. Um dieses Problem zu beheben, wird sie von ihrem Dorf in Pakistan nach Zürich geschickt. Sie lebt bei der gleichaltrigen, stummen Alexandra und ihrer Familie - Sprache und Sprachlosigkeit zwischen Menschen und Kulturen sind die Themen des außergewöhnlichen Romandebüts. Aber auch Zeit und Geschwindigkeit werden bedacht in dieser Geschichte, deren dritter Teil in Hongkong spielt. Die Suche nach einer eigenen Sprache und Stimme, nach einer inneren Heimat, auch in einem Willkürstaat, beschreibt Sara Wegmann, geb. 1985, sprachlich und formal sehr überzeugend. Und auch sehr berührend.

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Lydia Steinbacher: Wolgaland

Wie viel haben die abgelagerten Schichten an Erinnerungen mit den realen Geschehnissen in der Vergangenheit zu tun? Lassen sich eigene Erinnerungen von  erzählt Bekommenem unterscheiden? Wann wird das Fremde zum Eigenen? Wie viel Realität beinhaltet ein Abbild, zum Beispiel ein (altes) Foto? Diese und noch viele grundsätzliche Fragen mehr stellt die 1993 geborene Autorin. Mit wenigen genau gezeichneten Figuren erschafft sie eine eindrückliche Geschichte, die von stillen Dramen erzählt, von Versuchen, Leerstellen zu füllen und verschiedene Melodien zu einem Lebens-Lied zu vereinen.

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Teresa Ciabatti: Die schönen Jahre

Die Erzählerin und Federica waren einst enge Freundinnen. Gemeinsam beteten sie Federicas Schwester Livia an, sie verkörperte das Ideal absoluter Schönheit. Mit einem Unfall Livias verändert sich nicht nur deren Leben, sondern das aller. Als sich die beiden Jugendfreundinnen nach 30 Jahren wieder sehen, werden Erinnerungen wach, mit ihnen alte Verletzungen, niemals verwundene Demütigungen - und eine nie eingestandene Schuld. Schnörkellos und klar ist der Stil Ciabattis, sie entwickelt lebensechte Figuren, schichtet verschiedene Zeitebenen ineinander und erzählt auch die Geschichte der Generation, die Anfang der 1970er geboren wurde.

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Ingeborg Gleichauf: Alles ist seltsam in der Welt. Gertrud Kolmar. Ein Porträt

Gertrud Kolmar (1894-1943), Lyrikerin, Dramatikerin und Verfasserin kunstvoller Briefe, ist eine der vielen vergessenen Dichterinnen, deren Werk zum Glück wiederentdeckt wird.

In ihrem Porträt verwebt Ingeborg Gleichauf Leben und Werk Gertrud Kolmars, die es versteht, persönliche Erfahrungen "in eine überpersönliche Erlebniswelt" zu heben. Äußerst fantasievoll, bildlich-einprägsam, sich nie ganz dem Schmerz hingebend, klar auf ihre Zeit blickend, manchmal grotesk, ist das vielseitige Werk Kolmars. Genau und einfühlsam, mit vielen Zitaten und Textauszügen versehen, ist das gelungene Bild der Dichterin.

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Christina Maria Landerl: Donnas Haus

Wie kann man Nähe herstellen? Wie viel davon kann man ertragen? Ist Nähe das Gegenteil von Alleinsein? Diese Fragen stellt Christina Maria Landerl in ihrem feinen Roman, der behutsam und ohne Abschweifungen von drei Frauen erzählt, die zunächst die Einsamkeit suchen, sich dann aber füreinander öffnen. Bis eine Grenze überschritten wird und die Situation kippt. Sie will fein austariert sein, diese Balance zwischen Intimität und Distanz, dann kann sie gelingen. Der schmale Roman ist ein dicht gewebtes Wort-Bild, der sich über ein intensives halbes Jahr erstreckt, intensiv ist er auch für die Lesenden.

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Milena Michiko Flasar:

Oben Erde, unten Himmel

Dieser Roman um die Hauptfigur Suzu spielt im Milieu der "Leichenfundort-reiniger" in einer japanischen Großstadt. Kann eine solche Geschichte leicht, sogar heiter sein? Ja, denn die tägliche Begegnung mit dem Tod bringt die sehr zurückgezogen lebende Mittzwanzigerin dazu, sich den Menschen und dem Leben zuzuwenden. Ein weiterer Roman Milena Michiko Flasars, der ein gesellschaftliches Phänomen aufgreift, und daraus mit Empathie und Schalk, aber ohne Kitsch und Pathos, eine ganz persönliche und berührende Geschichte macht.

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Margherita Costa:

Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht

Die Römerin Margherita Costa (ca. 1600-1657) verfasste ein riesiges Werk, war nebst Schriftstellerin auch Opernsängerin, Kurtisane, Vertraute mächtiger Fürsten und Päpste, Mütter einiger Töchter, Lebensgefährtin dubioser Männer, Satirikerin, Pornographin, Geschäftsfrau und vor allem ein mutiger Freigeist. In Leben und Werk galten keine Schranken für sie, vor allem nicht die ihrem Geschlecht auferlegten. Nach 400 Jahren kann dieses Werk nun erstmals auf Deutsch gelesen werden, frisch und frech übersetzt von Christine Wunnicke, die auch die Auswahl traf und ein einführendes Porträt verfasste. Bei der Lektüre kann man immer wieder nur staunen, lachen, sich wundern über diese Fülle und Sinnlichkeit, diese Lust am Widerspruch, an der Karikatur, Parodie und Exzentrik.

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Katharina Mevissen:

Mutters Stimmbruch

"Mutter kann neun Sprachen, aber redet mit niemandem mehr". So beginnt der Roman, der eindrücklich vom Altwerden erzählt, aber auch davon, eine neue, eigene Stimme zu finden. Katharina Mevissen legt viele Fäden aus, sie spricht von Haus und Garten, die die Protagonistin spiegeln, sie lässt Mutter in einem hellblauen Badeanzug in einer Telefonzelle singen - es bringt auch kleine Verrücktheiten mit sich, das Alter. Die Fäden verknüpfen sich zu einer immer dichter werdenden Geschichte einer Befreiung, denn so viel die Heldin auch verliert, sie findet zu sich selbst.

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Hugo Lindenberg:

Eines Tages wird es leer sein

Der Ich-Erzähler, ein zehnjähriger Junge, der bei seiner Großmutter lebt, verbringt mit ihr die Sommerferien am Meer in der Normandie. Das unsichere und einsame Kind lernt hier Baptiste kennen. Dieser verkörpert all das, was der Erzähler gerne wäre und hätte, er  ist ein "richtiger Junge", er hat eine "richtige Familie". Die Freundschaft gleicht einem Geschenk, das der Erzähler jederzeit verlieren könnte. Der präzise wie intensive, poetische wie empathische Roman erzählt von einem Kind, das die Leichtigkeit der Kindheit nicht kennt, und vom Schweigen, das schwerer wiegt als das gesprochene Wort. Er erzählt von einem Leben, auf dem die Vergangenheit lastet, aber auch von der Kraft, sich aus der Einsamkeit zu befreien und dem Mut, sich zu öffnen. 

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Simone Atangana Bekono:

Salomés Zorn

Salomé, Tochter einer Niederländerin und eines Kameruners, erfährt ihr Leben lang Rassismus bis hin zu gewalttätigen Angriffen. Eines Tages wehrt sie sich. Dafür bekommt sie sechs Monate Jugendhaft mit Wiederein-gliederungstherapie, die ausgerechnet ein Mann durchführt, der an einer rassistischen TV-Show teilgenommen hat. Was hat Salomés Zorn so groß werden lassen? Was hat ihn zur Explosion gebracht? Es geht nicht nur um diese eine Tat, sondern um die Strukturen einer Gesellschaft, die ausgrenzt. Salomé muss lernen, ihre Wut zu zähmen, was müssen all die Menschen um sie herum lernen?

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Gabrielle Zevin:

Morgen, morgen und wieder morgen

In ihrem Roman, dessen Titel ein Shakespeare-Zitat ist, erzählt Gabrielle Zevin von der Freundschaft zwischen Sadie und Sam, die sich Mitte der 1980er kennen lernen. Um Freund-schaft, Verrat, Scheitern und wieder Aufstehen, um leben, lieben und spielen geht es in diesem Roman, der ein Vierteljahrhundert umfasst und die reale Welt mit der virtuellen verknüpft. Die beiden "Spielkameraden" sind Entwickler von Videospielen, der Roman hat mir diese Welt deutlich näher gebracht. Spielen als Einübung ins Leben, dieser Gedanke des Homo ludens ist die Basis des ereignis- und wendungsreichen Romans, der tiefe Persönlichkeiten entfaltet, einen ganz besonderen Humor hat und bis zur letzten Seite die Spannung nicht verliert. 

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Ralph Tharayil: Nimm die Alpen weg

Ein Geschwisterpaar, das wie ein Chor als "wir" spricht, erzählt in der Form eines langen Prosagedichts von seiner Kindheit und der späteren Loslösung von den Eltern. Diese sind Migranten, die stets "bei der Arbeit" sind, und doch ständig über die Kinder wachen. In seinem Debütroman findet Ralph Tharayil eine Sprache, die poetisch und genau ist, und zugleich viel Raum für die Lesenden lässt.

Es geht um Integration und Emanzipation, es geht um das "woher" und "wohin", um die Suche nach dem eigenen Weg.

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Luna Al-Mousli: 

Um mich herum Geschichten

Aus der Perspektive von Gegenständen erzählt die 1990 in Damaskus geborene, heute in Wien lebende Autorin Luna Al-Mousli von einer syrischen Großfamilie, die der Krieg in die Flucht trieb. Obwohl sie ihre Figuren ganz konsequent von außen betrachtet, auf Gedanken oder Dialoge verzichtet, zeichnet sie ein lebendiges und konturiertes Bild vom Leben und Schicksal diverser Personen. Sie schreibt zurückhaltend, konzentriert und ohne Schnörkel, nicht nur von Einsamkeit und Exil, sondern auch von Stärke, Mut und Durchhaltewillen. 

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Stine Pilgaard: Meine Mutter sagt

Die Ich-Erzählerin, eine Studentin, wurde von ihrer Lebenspartnerin rausgeworfen. Sie zieht zu ihrem Vater und versucht mit dem Verlust zurecht zu kommen. Während der etwas unsichere Vater sie aufheitern möchte, läuft die Mutter zur Hochform auf und überschüttet sie mit Ratschlägen und Lebensweisheiten. Eine Freundin steht ihr aber auch zur Seite und ein Arzt, mit dem sich ebenso skurrile Dialoge entwickeln wie mit allen anderen Figuren des Romans. Dieser ist klug komponiert, er ist witzig, tragisch und poetisch. Die Heldin ist phantasievoll, geist-reich, eine junge Frau, die sich aus dem Garn befreit, das die Mutter in Form von Worten um sie geschlungen hat. Ein wunderbares Debüt der 1984 geborenen Dänin, souverän und trefflich übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel.

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Joshua Groß: Prana Extrem

Skispringen in einem extrem heißen Sommer, schreiben, lesen, sich treiben lassen, eine Gemeinschaft auf Zeit mit den unterschiedlichsten Menschen leben, nachdenken über das, was der Kühlschrank hergibt oder darüber, wie man der "Vorverfasstheit" entkommen und die Lebensenergie, das Prana, fließen lassen kann: der Roman des jungen Autors Joshua Groß denkt weit Auseinander-liegendes, Widersprüchlichstes zusammen. Mit einer einzigartigen und erstaunlichen Mischung, die so zart wie direkt, so offen und modern wie nachdenklich und gewitzt ist, schreibt er über Alltag  und Grenzerfahrungen, über Kunst und Sterben, über Minigolf und stilvolle Schuhe.

Hier ist alles drin!

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Ali Al-Kurdi: Der Schamaya-Palast

Im Schamaya-Palast, ehemals ein prächtiges Gebäude im jüdischen Viertel von Damaskus, leben mehr als 50 Familien, alle palästinensische Flüchtlinge.  Diese provisorische Heimat ist ein Labyrinth, zugleich ein Labor, wie Zusammenleben gelingen kann. Der Roman erzählt von Ahmad, der dort wohnt, und seinem Freund George, einem Christen, der mit und in dem Palast begreift, was ein Leben als Flüchtling bedeutet. Der von tiefem Humanismus und großer Empathie getragene Roman verwebt die unterschiedlichsten Schicksale und Lebenswege in die aus zwei Perspektiven erzählte Geschichte der Freunde. Sehr lebendig und sinnlich, sehr berührend und erschreckend, unmittelbar ins Innerste der Figuren blickend, und zugleich die Umwelt beleuchtend, ist der Roman die Beschreibung einer untergegangenen Welt und das Plädoyer dafür, dass es möglich ist, in Frieden miteinander zu leben.

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José Ovejero: Aufstand

Madrid 2017, die Stadt und ihre Menschen leben Jahre nach der Immobilienkrise noch immer in prekären und unwürdigen Verhältnissen. Alles ist im Würgegriff der Investoren und Banker, der Kapitalismus tötet, hier wie in aller Welt. Aus diesem System will die 17jährige Ana ausbrechen. Sie zieht in ein besetztes Haus, wird Teil einer Szene, die einen Aufstand vorbereitet. Ihr gegenüber stellt José Ovejero Aitor, Anas Vater, Teil des Systems, schwankend zwischen Verständnis für die junge Rebellin und Angst um seine Tochter. Der Autor beschreibt zwei Generationen, verschiedene Lebensentwürfe, in beiden die untrennbare Verbindung des Politischen und Privaten, er beschreibt den Weg einer jungen Frau, die sich nicht beirren lässt, die sich freischwimmt.

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Aurora Venturini: Die Cousinen

Yuna, ein "minderbemitteltes" Mädchen, wächst mit ihrer behinderten Schwester bei der alleinerziehenden Mutter auf. Es herrschen lieblose, desolate Zustände, einziger Lichtblick ist die Zeichenschule. Yuna, die sich mit Worten sehr schwer tut, drückt sich in ihren Bildern aus und schafft es, sich mit Hilfe ihres Talents aus den engen Familienbanden herauszulösen. Ein Stück weit hilft ihr dabei auch ihre Cousine, eine "Zwergin", doch diese ist weniger ehrlich als gedacht. Die Frauen dieses Romans, der in den 1940er Jahren in Argentinien spielt, sind von einem System der toxischen Männlichkeit deformiert. Er ist schonungslos, klar, brutal, lustig, originell und poetisch, er geht an die Wurzeln des menschlichen (Zusammen) Lebens.

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Jean Stafford:

Das Leben ist kein Abgrund - Stories

In elf Erzählungen leuchtet Jean Stafford in die "innerste Kammer" ihrer Figuren. Präzise und empathisch, tieftraurig und komisch, sehr lebendig und intensiv erzählt sie von allen Facetten des menschlichen Lebens. Dabei kommt dem Leid mehr Raum zu als dem Glück, der Einsamkeit mehr als der Liebe oder Erfüllung. Die zwischen 1944 und 1978 entstandenen Stories sind zeitlos moderne Klassiker, sie fangen Menschen in extremen Momenten oder Phasen ein - das Leben könnte doch ein Abgrund sein.

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Nina Bouraoui: Erfüllung

Aus einer einzigen Stimme besteht dieser Roman, erzählt von Michéle, 38, die von Frankreich nach Algerien ging, der Liebe zu Brahim wegen. Von dieser Liebe ist nicht mehr viel übrig, Michéle hat sie vollkommen auf ihren Sohn Erwan übertragen. Als dieser einen neuen Freund mit nach Hause bringt, bricht sich eine fast wahnsinnige Eifersucht in Michéle Bahn. Denn Bruce ist ein Mädchen, aber eines, das Grenzen sprengt. Michéles sorgsam zusammengehaltenes Leben gerät ins Wanken, als sie dann noch Bruces Mutter kennenlernt, stellt sie alles in Frage. Das intime Porträt einer strauchelnden Frau, vor der prächtigen Kulisse Algeriens und dem Hintergrund der politischen Ereignisse dort, ist von großer sprachlicher Kraft, es ist fast schon hypnotisch.

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Eeva-Liisa Manner:

Das Mädchen auf der Himmelsbrücke

Die neunjährige Leena ist die zentrale Figur dieses Romans, in dem die Grenzen zwischen Traum und Realität, Wünschen und Erinnerungen, Himmel und Meer verschwimmen. Das Kind lebt in mehr als einer Welt, es einsam zu nennen ist richtig und falsch zugleich, denn der ganze Roman, der so präzise wie poetisch Leenas Innen- und Außenwelt beschreibt, schwebt, fließt, ist wie ein Märchen, zugleich ganz konkrete Wirklichkeit. Der 1951 erschienene Roman ist der Erstling der großen finnischen Autorin, der nun erstmals auf Deutsch gelesen werden kann. Er ist völlig außergewöhnlich, in jeder Hinsicht.

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Hildegard E. Keller: Was wir scheinen

Hildegard E. Keller zeichnet in diesem Roman die Lebens- und Denkgeschich-te der Philosophin, Publizistin und Dichterin Hannah Ahrendt nach. Ausgehend von ihrem letzten Sommer-urlaub im Tessin lässt sie die Denkerin auf ihr Leben, ihre Begegnungen und Freundschaften, ihre Werke und ihr Wirken zurückblicken. Dabei entsteht ein genaues Porträt, sowohl der öffentlichen als auch der privaten Person. Die Lesenden begleiten sie, werfen ihr einen Blick über die Schulter, schauen mit ihren Augen auf die Weltpolitik und auf ihre Herzenswünsche und kommen ihr so sehr nahe. Dabei lässt der Roman verschiedene Lesarten zu, er nimmt den Freiheitsanspruch Hannah Ahrendts sehr genau.

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Omar Youssef Souleimane:

Der letzte Syrer

Syrien im Arabischen Frühling 2011: eine Gruppe junger Menschen kämpft für ihre Freiheit, ihre Ideale. Die friedliche Revolution mit dem Ziel, eine Demokratie zu errichten, wird jedoch zunehmend von Islamisten unter-wandert, diese haben ganz andere Ziele. In den politischen Kampf verwebt Souleimane das Ringen seiner Figuren um Selbstbestimmung, um eine eigene Identität und ein erfülltes Leben. Er zeichnet sie sehr genau, viele Dialoge machen den Roman lebendig. Er ist poetisch, er ist auch brutal, denn ein junger Aktivist wird in das Folter-und Todeszentrum des Regimes gebracht.  Doch es geht dem Autor nicht um die Darstellung der Gewalt, sondern um die Darstellung der Macht. Mit diesem gelungenen Debütroman ruft der im französischen Exil lebende Autor einen fast vergessenen Krieg in Erinnerung, darüber hinaus macht er deutlich,

wie grundlegend das Recht auf Selbstbestimmung ist.  

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Audre Lorde: Ein strahlendes Licht

Sechs Essays der Ikone Schwarzer Frauenliteratur aus den Jahren 1979-1988, ergänzt durch Gespräche, die sie mit Freundinnen und Mitstreiterinnen führte, versammelt dieser Band. Herzstück ist "Ein strahlendes Licht. Leben mit Krebs", in dem Audre Lorde ihren Kampf gegen die Krankheit mit dem gegen die weltweite Unter-drückung von Schwarzen und Indigenen verknüpft.

Die Dichterin, die sich als "Schwarz, lesbisch, Feministin, Kriegerin, Dichterin, Mutter" bezeichnet, ist scharfsinnig, ehrlich, mutig, sie ruft auf zu Solidarität, zur Anerkennung von Verschiedenheit, zum Brechen des Schweigens und der Anerkennung, dass das Private und das Politische nicht zu trennen sind. Die aufrüttelnden, funkelnden und ansteckenden Texte sind heute so aktuell wie zur Zeit ihres Entstehens, sie sprechen von Schwarzen Frauen über alle Frauen dieser Welt.

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Ré Soupault:

Überall Verwüstung. Abends Kino;

Reisetagebuch

Mit ihrem Vélosolex, einem Fahrrad mit Hilfsmotor, reist die Schrift-stellerin, Übersetzerin und Fotografin Ré Soupault im Jahr 1951 einige Wochen durch Süddeutschland. Von Basel aus fährt sie mehr als 1500 km, ihr wichtigstes Gepäckstück ist die Schreibmaschine. Das Reisetagebuch ist eine Aufnahme von Deutschland sechs Jahre nach Kriegsende. Es ist ein feines Porträt diverser Städte und seiner Menschen, eine Suche nach Verständnis der Situation, und auch ein Versuch, sich selbst in dieser veränderten Nachkriegswelt zu verorten.

Der Text beeindruckt mit seinen vielfältigen Reflexionen

und seiner  Zugewandtheit. Ohne Übertreibung kann

Ré Soupaults Werk als ganz groß bezeichnet werden.

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Margarete Beutler:

Ich träumte, ich hätte einen Wetterhahn geheiratet

Das Zustandekommen dieses Buches gleicht einem Märchen: die bislang unveröffentlichten Texte wurden in einer Kiste auf einem Dachboden gefunden. Nun sind sie Jahrzehnte nach ihrem Entstehen dankenswerterweise erschienen, sorgfältig ausgewählt und ediert. Ein Teil der Erzählungen handelt von der Kindheit Margaretes. Sie sind in einem Ton verfasst, der die Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit des Kindes abbildet. Aber auch sie sind, wie die anderen Erzählungen, durchzogen von übergeordneten Fragen des Lebens, vor allem des Lebens einer Frau und ihrer Stellung in der Gesellschaft. Die Texte sind voller Humor und Fantasie, die Autorin hat das Geschick, ernste und komplexe Themen leichtfüßig und mit einem Augenzwinkern darzustellen.

Es ist eine große Freude, diese lebendigen Geschichten nun lesen zu können.

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Christine Wunnicke: Selig & Boggs

Die Erfindung von Hollywood

Diese auf Fakten beruhende, phantastische, funkelnde und flirrende Geschichte über die Anfänge der Filmindustrie und ihren Umzug vom wolkenreichen Chicago ins sonnige Kalifornien, führt vor Augen, wie verblüffend naiv diese Anfänge waren. Christine Wunnicke erweckt in einer rasanten und geist-reichen Story, vor allem aber mit ihrem unverwechselbaren Stil, den Chef der Polyscope, Selig, und seinen Spielleiter Boggs zum Leben. Und nicht nur diese beiden, es tollen einige mehr durch die knallbunte Szenerie. Das schmale Büchlein ist großes Kopf-Kino!

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Elena Medel: Die Wunder

Der dezidiert politische und feminis-tische Roman folgt den Lebensspuren Marias und Alicias von 1969 bis 2018. Großmutter und Enkelin leben in Madrid, wissen jedoch nichts vonein-ander. Die Familie wurde zerrissen von tragischen Ereignissen und dem ganz normalen Kampf um das tägliche Überleben. Der starke Roman erzählt von Beziehungen, der Rolle der Frau in der Gesellschaft und vom Ringen um Eigenständigkeit.

Er erzählt persönliche Geschichten eingebettet in die Geschichte Spaniens und davon, was Geld und Mangel an Geld im Leben eines Menschen - vor allem einer Frau - bedeuten. 

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Georg Veit: Drostes Schmerzen

Dieser Roman ist eine Inszenierung der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff mit verschiedenen Bühnenbildern und Akteuren. Der Ich-Erzähler, der dem Schriftsteller den Roman diktiert (!), ist eine körperlose Seele, ein Wiedergänger, der sich unbemerkt an die Dichterin annähern kann - er beobachtet nicht nur ihre Handlungen, er lauscht ihren Gedanken. Durch diese ungewöhnliche Konstruktion werden  nicht nur die Dichterin und ihre Texte lebendig, es stellen sich auch Fragen zum Verhältnis von Dichtung und Wahrheit, Kunst und Leben, Zeit, Freiheit, Schuld, Leiden oder Glück. Ein großes Lesevergnügen!

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Claudia Schumacher: Liebe ist gewaltig

Ein Roman über Gewalt in der Familie, über Macht und deren Strukturen und über den Versuch, die Wahrheit über das eigene Leben herauszufinden - Claudia Schumanns Debütroman ist eine Wucht. Sie lässt ihre Heldin Juli auf ihre Kindheit im Stuttgarter Speckgürtel zurückblicken, auf die Demütigungen, ihre Versuche, sich zu wehren, auf die Verbundenheit mit den Geschwistern und einer kleinen Maus. Und auf ihren schwierigen Weg, die Deutungshoheit über ihr Leben zu erlangen. Der Stil ist ungestelzt, klar und direkt, manchmal sogar komisch, unverblümt und authentisch - hier spricht eine junge Frau, die ihr Leben selbst erzählt!

Sehr intensiv, sehr empfehlenswert.

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Andrea Abreu: So forsch, so furchtlos

Sis und Isora sind ein "Zweierpack", unzertrennliche Freundinnen. Sie leben im Bergland Teneriffas, träumen vom Meer und einem Leben, wie es die Touristen führen. Zehn sind die Mädchen, spielen mit Barbies, doch die Lust schlägt in beider Leben, diese verändert auch ihre Freundschaft. Andrea Abreus Roman hat nichts von Lolita-Romantik, er ist körperbasiert, die junge Autorin nennt die Dinge beim Namen. Sie setzt die Welt der Mädchen durch die Augen der Ich-Erzählerin Sis zusammen, diese Unmittelbarkeit verleiht dem Roman große Wucht.

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Mooses Mentula:

Der Schildkrötenpanzer

Ein sprudelnder, abwechslungsreicher Roman, der mit der vielleicht gar nicht vorhandenen Grenze zwischen Realität und Fiktion spielt und eine klare Botschaft hat: schreibe und lebe deine eigene Geschichte! Dies versucht der sympathische Held Tino, der mit der Unterstützung einiger verstorbener Dichter sein Leben selbst in die Hand nimmt und sich immer weiter unter seinem Schildkrötenpanzer hervorwagt. Der Roman ist spannend, temporeich, nachdenklich, er verfügt über verschiedene Tonlagen, über Ironie und Galgenhumor - man stelle sich vor, so unterschiedliche Geister wie Bukowski, Kerouac, Poe und Jane Austen setzen sich zusammen und entwickeln gemeinsam einen Plot...

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Kenneth Moe: Rastlos

Der Ich-Erzähler wurde von seiner Freundin verlassen, der Roman ist ein langer Brief an sie. In vielen einzelnen Episoden erzählt er von seinen Träumen, Phantasien und Ängsten,  macht sich aber auch Gedanken über Begriffe wie Integrität, Vernunft oder die Literatur. Er platziert Alltägliches und Profanes neben philosophische Reflexionen, er ist grundehrlich, offen, selbstkritisch und verfügt über eine ordentliche Portion Ironie. Das Debüt des 1987 geborenen Norwegers ist vielseitig und weiträumig, Alexander Sitzmann hat es gekonnt übersetzt.

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Otto Tausig: Kasperl, Kummerl, Jud -

Eine Lebensgeschichte, aufgezeichnet von Inge Fasan

Der Schauspieler und Regisseur, Dramatiker und Komiker Otto Tausig, 1922-2011, erzählt seine Lebensge-schichte, über die man immer wieder nur staunen kann. Reich an Tiefen, aus denen er sich mit unerschütterlichem Humor  herausarbeitet, reich an Bemühen, durch Kunst und Bildung, durch Tat und auch Geldspenden die Welt besser zu machen, beeindruckt der Menschenfreund durch seinen Willen und seine Sprachkunst. Er erzählt unterhaltsam, lebendig, völlig uneitel und fesselnd, er ist im besten Sinne belehrend, ein Vorbild als Schauspieler und Mensch. Das Geschenk zum 100. Geburtstag des Mandelbaum Verlags an seinen Autor, die Neuauflage seines Buches, ist zudem mit Abbildungen angereichert, mit einem Vorwort versehen und, wie immer bei diesem Verlag, schön und hochwertig gestaltet.

Ganz ganz große Empfehlung!

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Bekim Sejranovic:

Ein schönerer Schluss

Zwischen Bosnien und Norwegen pendelt dieser Roman, in dem der

Ich-Erzähler versucht zu ergründen, aus welchen Geschichten ein Leben zusammengefügt wird. Er begibt sich

in die "Gräben der Erinnerung", reflek-tiert aber auch seine Gegenwart Anfang der 2000er Jahre in einer Hütte in den bosnischen Bergen. Er denkt über Angst und Langeweile, über Identität und Einsamkeit nach, erzählt jedoch auch sehr unsentimental von Partys, Drogen oder Langläufen auf Skiern. Aus der eng an die eigene Biographie angelehnten Geschichte entwickelt Bekim Sejranovic ein weites Panorama an Figuren, Ländern und Mentalitäten - und der schöne Schluss ist ihm auch gelungen.

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Ralph Roger Glöckler:

Luzifers Patenkind

Der amerikanische Maler Marsden Hartley, 1877-1943, ist in dieser Novelle zu einer "Kunstfigur" stilisiert, sie ist eine "auf Fakten basierende Fiktion". Der Autor nähert sich Schicht um Schicht dem Menschen und dem Künstler, zeichnet seine Entwicklung nach, sein Ringen um seine wahre Bestimmung (Kunst oder Glaube?), seine Sehnsucht nach Liebe, Hingabe und Auflösung. Beginnend 1912 in Paris, endend 1923 in Florenz spielt die Novelle klar in ihrer Zeit, der Raum ihres Denkens geht weit darüber hinaus.

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Una Mannion:

Licht zwischen den Bäumen

Eine Familiengeschichte, ein Coming-of-Age-Roman, ein literarischer Thriller: all das ist der aus der Sicht der fünfzehn-jährigen Libby erzählte Roman, der mit einen Streit beginnt. Bei dem ihre Mutter ihre jüngere Schwester aus dem Auto wirft, neun Kilometer von zu Hause entfernt, bei einsetzender Dunkelheit. Dieses Ereignis ist der Ausgangspunkt, von dem aus Una Mannion von Schuld, Liebe und Hass, Loyalität, Schwiegen und Vertuschen erzählt, und die Frage stellt: Wie entsteht Vertrauen? Ein berührender Roman mit Sogwirkung!

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Thomas Brunnschweiler:

Die Zwischengängerin -

Das abenteuerliche Leben der Susanna Carolina Faesch

Carolina Faesch kam 1852 als Acht-jährige mit ihrer Mutter nach New York. Damit eröffnete sich der gebürtigen Schweizerin eine neue Welt, in der sie vor allem eines faszinierte: die Indianer und ihre Kultur. Nach Scheidung, Erziehung eines Sohnes, Berufstätigkeit und einer beglückenden Beziehung mit einer Frau, übertrat sie eine weitere Schwelle in ihrem Leben: sie wurde Sekretärin des legendären Sitting Bull. Als Grenz- oder Zwischengängerin versuchte sie zwischen den Ureinwohnern und den Weißen zu vermitteln, wobei ihr Herz eindeutig den verfolgten Stämmen gehörte. Thomas Brunnschweiler hat, gestützt auf ein Tagebuch Carolinas und einigen Notizen, ihre Lebensgeschichte rekonstruiert und fiktionalisiert. Dabei erzählt er auch die Geschichte der Native Americans, thematisiert die Frage, wer eigentlich die Wilden sind und vor allem: wie weit kann man sich in eine andere Kultur einleben und sie mit dem Herzen verstehen?

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Friederike Gösweiner: Regenbogenweiss

Der Roman beginnt mit dem Tod des sechzigjährigen Hermann. Er stirbt völlig unerwartet an einem Herzinfarkt, zurück bleiben seine Frau Marlene und die erwachsenen Kinder Filippa und Bob. Über anderthalb Jahre von November 2014 bis Mai 2016 erstreckt sich der Roman, der wie ein Tagebuch einzelne Etappen der Trauer, des Ringens und den Versuchen einer Neuverortung erzählt. Vor dem Hintergrund verschiedener politischer Krisen zeichnet Friederike Gösweiner die Charaktere ihrer Protagonisten präzise und schält aus ihrem Denken, Handeln und Nicht-Handeln die Wichtigkeit der offenen menschlichen Kommunikation heraus.

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Selene Mariani: Ellis

Nach der Trennung ihrer Eltern zieht Ellis mit ihrer Mutter 2002 von Italien nach Deutschland. Sie hat es sehr schwer in der Schule, ist froh, dass sich "die Neue" auf ihre Seite stellt. Doch auch diese Freundschaft ist nicht einfach, gibt Ellis nicht immer Halt. Selene Mariani thematisiert die Zerrissenheit zwischen zwei Heimaten und Sprachen, das Ausgegrenzt-Werden und die Anziehungskräfte, die über eine reine Freundschaft hinausgehen. Sie teilt mit ihrer Heldin biografische Eckdaten, sie hat viel Herzblut in ihren Roman gelegt, der durch Konzentration auf das Wesentliche, durch Reduktion und Verzicht auf Pathos besticht. Ein sehr gelungenes Debüt!

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Gabrielle Alioth: Die Überlebenden

Die Briefe einer Tante an ihren im Ausland lebenden Mann aus den

1930er und 40er Jahren, ein in die USA verschwundener Cousin und die Erinnerungen an ihren Großvater nimmt die Autorin zum Ausgangs-punkt ihres Romans, in dem die Figuren "von der Realität befreit" eine Geschichte der Prägungen, der Schuld, des Schweigens erzählen. Kunstvoll webt Gabrielle Alioth die verschiedenen Zeitebenen ineinander, indem sie durch die Erinnerungen ihrer Protagonisten mäandert. Raupen mit ihrer Fähigkeit zur totalen Verwandlung sind ein Symbol, das dem Roman unterliegt - der jüngsten Enkelin des Familienpatriarchen scheint die Befreiung zu gelingen.

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Banine: Kaukasische Tage

Die Schriftstellerin Banine erzählt von ihrer Kindheit und Jugend in Baku bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr. Da ist sie bereits seit drei Jahren verheiratet, mit einem Mann, den sie nie wollte. Hier hat sich die Tradition durchgesetzt in einer ansonsten aufgeschlossenen und dem Fortschritt zugewandten Familie. Geboren 1905 fällt ihre Jugend in eine Zeit der politischen und gesellschaft-lichen Umbrüche, ihr Kampf um Emanzipation ist ein Aspekt der Lebenserinnerungen. Man lernt in diesem Buch aber nicht `nur´ Banine kennen, sondern auch eine turbulente Großfamilie und einen Teil der Geschichte eines Landes in besonderen Zeiten. Sie hat einen wunderbaren Humor, sie schreibt leichtfüßig und flüssig, die Lektüre ist ein großes Vergnügen.

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Susan Taubes:

Nach Amerika und zurück im Sarg

Die Heldin des Romans, Sophie Blind, geborene Landsmann, kommt 1928 als Tochter eines berühmten Psychoanaly-tikers und Enkelin eines berühmten Rabbis in Budapest zur Welt. Nach der Scheidung ihrer Eltern emigriert sie mit ihrem Vater 1939 in die USA, wo sie achtzehnjährig den Philosophen Ezra heiratet. Inmitten all der gewichtigen Männer sucht sie nach Eigenständigkeit, nach ihrem Ich. Der grandios komponierte Roman, der starke autobiografische Züge trägt, ist unglaublich vielfältig, er pendelt zwischen Amerika und dem alten Europa, zwischen der eigenen Ehe und der ihrer Eltern, zwischen verschiedenen Mentalitäten und der lebenslangen Suche nach Individualität. Der Roman erschien 1969 unter dem Titel "Divorcing", er ist auch die Geschichte einer Scheidung. Diese Zäsur ist für Sophie nötig, um ein neues Leben beginnen zu können. Sophie Blind erzählt ihr Leben rückblickend bis zu ihrer Kindheit - aus dem Blickwinkel einer Toten!

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Vincent O. Carter: Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch

1953 kommt der schwarze Amerikaner Vincent O. Carter nach Bern - er scheint der erste Schwarze zu ein, den die Menschen dort sehen. Alle, wirklich alle, starren ihn fassungslos an. Mit großer Mühe kann er in der kleinen Hauptstadt der Schweiz Fuß fassen. Diesen Prozess des Einlebens und zu sich selbst Findens beschreibt Vincent O. Carter in einer Mischung aus Autobiographie, Erzählung und Essay. Er zeichnet dabei ein Selbstporträt und ein einzigartiges Bild der Stadt Bern, bis hinein in die Architektur. Und er legt Schicht für Schicht das frei, was man heute Alltagsrassismus nennt. Ohne Ironie und Humor hätte er keine Chance gehabt in dieser Stadt, was Carter aber auch auszeichnet, ist eine permanente kritische Selbstbefragung und Bemühung um Balance.

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Norman Levine: Das Mädchen von nebenan und andere Erzählungen

Erinnern oder Vergessen, eine Heimat finden, das sind die Themen des kanadischen Schriftstellers, der sein Leben überwiegend in England verbrachte, dem Land seiner Kindheit und Jugend aber eng verbunden blieb. Levines Erzählweise ist schnörkellos schlicht und inspiriert von der modernen Malerei, die er in der Künstlerkolonie St. Ives, Cornwall, wo er über dreißig Jahre lebte, kennengelernt hatte. Das tägliche Leben wollte Norman Levine darstellen, auf das Wesentliche konzentriert. Dies gelingt ihm mit seinem Helden, einem Schriftsteller, dessen Leben eng an sein eigenes angelehnt ist, auf beeindruckende Weise.

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Maria Attanasio: Stark wie nur eine Frau

Die beiden Erzählungen, die im Sizilien des beginnenden 18. Jahrhunderts spielen, erzählen von der Bäuerin Francisca und der Adligen Ignazia. Beide fordern ihre Umwelt mit dem Ansinnen, ein Leben nach ihrer eigenen Art zu führen, heraus. Noch herrscht die Inquisition, noch werden Hierarchien und Konventionen als naturgegeben betrachtet. Maria Attanasios Geschichten beruhen auf alten Chroniken, aus den historischen Figuren schält sie den zeitlosen Kern, die Fragen, die heute noch gestellt werden (müssen).  

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Victoria Wolff: Gast in der Heimat

Fast wie ein Tagebuch liest sich dieser Roman, so unmittelbar und authentisch ist er erzählt. In der Ich-Form beschreibt die Protagonistin Claudia ihr Leben, beginnend mit der Kindheit im süddeutschen Heilbronn, über ihre Ehe mit dem jüdischen Anwalt Helmuth Martell, über all die Zerwürfnisse, die der Nationalsozialismus über die Familie und das Land brachte, bis zu ihrer Einsicht, nicht länger in der Fremde gewordenen Heimat leben zu können. Victoria Wolff führt in ihrem autobiografisch inspirierten Roman auf der persönlichen Ebene aus, wie sich die Lebenswelt und die menschlichen Beziehungen in der Zeit des Umbruchs veränderten. Und mit welchem Mut die junge Frau einen Ausweg findet.

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Natalia Ginzburg:

Die Stimmen des Abends

Auf engstem Raum, in kurzen Sätzen und scheinbar einfacher Sprache erzählt die Meisterin des Understatements von Elsa - diese lässt sie in der Ich-Form aus ihrem Leben berichten - und einem Dorf und seinen Bewohnern von den 1930er Jahren bis in die 50er hinein.  Der diskreten Elsa steht die ewig plaudernde Mutter gegenüber, diese Stimme des Alltags, die die Erwartungen der Gesellschaft repräsentiert. In leisen Tönen, mit feiner Ironie, präzise und empathisch erzählt Natalia Ginzburg eine Liebes- und Familiengeschichte, in der sie ein Bild des Mensch-Seins in der Welt herausdestilliert.

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Edem Awumey: Die schmutzigen Füße

 Askia fährt Taxi in Paris, jener Stadt,

in der er seinen Vater vermutet. Vor Jahrzehnten war die Familie aus Mali ausgewandert, der Vater schließlich alleine weitergezogen. Die Suche knüpft seine Gedanken an die Vergangenheit, doch die Erinnerungen sind fließend. Was ist wirklich geschehen? Wer ist er, der Mann mit dem weißen Turban, mit dem er anscheinend Ähnlichkeit hat? Die Geschichte Askias ist eine universale Geschichte des ewig Wandernden, dessen, der nie ankommt. Leise, kunstvoll und eindringlich geschrieben, stellt der Roman auch die Frage: kann die Realität festgehalten werden?

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Andrea Scrima: Kreisläufe

Die 1960 in New York geborene Künstlerin Felice lebt seit 1984 in Berlin. Es hatte nicht gereicht, von Zuhause auszuziehen, sie hatte den Kontinent verlassen müssen, um "ihr" zu entkommen. Ihrer Mutter. Doch ein Leben lang ist Felice damit beschäftigt, die Geschichte der Mutter, des Vaters, ihrer Geschwister zu ergründen, die Vergangenheit zu entwirren wie ein Wollknäuel, um mit ihr abschließen zu können. Der klug komponierte, authentische und tiefsinnige Roman verzeichnet Felices Rückblicke, Träume, Reflexionen, die "Schichten des Gewesenen und Nichtgewesenen", ihre Beziehungen zu diversen Menschen, ihre Haltung zur Welt. Präzise, psychologisch scharf, sprachlich ausgefeilt und sehr bewegend erzählt Andrea Scrima weit mehr als die Geschichte ihrer Heldin.

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Mireille Gagné: Häsin in der Grube

Diane, fleißige Arbeitsbiene in einer Firma, möchte - muss - ihre Effizienz steigern, anders kann sie die geforderte Leistung nicht mehr erbringen. Sie entscheidet sich für einen ungewöhn-lichen und unumkehrbaren Schritt.

Die Operation ist eine Zeitenwende in ihrem Leben, zunächst sehr vielver-sprechend. Der klug in vier Strängen komponierte Roman zeichnet sich durch vielfältige Perspektiven und Erzählweisen aus. Er ist eine Parabel über die moderne Gesellschaft und darüber hinaus eine poetische und fantastische Variante einer alten Sage der Algonkin, Ureinwohner Kanadas. In deren Zentrum  steht eine Figur, die jenen erscheint, die sich verirrt haben - in Gestalt eines Hasen. 

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Sigrid Undset: Kristin Lavranstocher

In diesem ersten Band einer Trilogie porträtiert die Nobelpreisträgerin Sigrid Undset (1882-1949) sowohl ihre Heldin Kristin, als auch das Land, die Menschen und die Gesellschaft Norwegens im

14. Jahrhundert. Geprägt von ihren rechtschaffenen und gläubigen Eltern stürzt Kristin in tiefste Konflikte, als sie sich, obwohl bereits dem Bauern Simon versprochen, in den etwas zwielichtigen Ritter Erlend verliebt. Sie entwickelt sich vom folgsamen Mädchen zur starken Frau, ihr Wille nach Selbstbestimmung ist noch größer als die Furcht, sich ewige Schuld aufzuladen.

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Gunter Gerlach:

Ein falsches Wort und du bist tot

Dreiunddreißig Kurzgeschichten des Multitalents Gunter Gerlach, geb. 1941. Sie sind absurd, surreal, spielen mit der Wirklichkeit (gibt es die eigentlich?), sie spielen mit den LeserInnen. Viele Tote gibt es in diesen Geschichten, Männer und Frauen, die einfach nicht zusammen kommen (Mann und Frau, passt das eigentlich?), Romanfiguren, die ins Leben ihres Erfinders treten, oder Figuren, die anderen ihre Träume diktieren. Die kurzen und kurzweiligen  Erzählungen nehmen gefangen, erzeugen Staunen, werfen Fragen auf. Sie machen Spaß und Ernst, sie sind sehr anregend.

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Maria José Ferrada: Kramp

Im Alter von sieben Jahren beginnt M., die Ich-Erzählerin, ihren Vater auf dessen Verkaufstouren für Eisenwaren zu begleiten. Sie ist seine Geschäftspartnerin, die sogar eine Provision ausgehandelt hat. Ihre "Parallelerziehung" verläuft mehrere Jahre reibungslos, bis ein Ereignis alles verändert. Denn: das Vater-Tochter-Roadmovie spielt in                                                         den 1980er Jahren in Chile...

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Anna Baar: Nil

Eine Autorin von Fortsetzungsromanen wird aufgefordert, ihre aus dem Ruder gelaufene Geschichte zu Ende zu bringen. Dies macht ihr Angst, denn ist damit nicht auch ihre Geschichte zu Ende? Anna Baars Roman ist ein poetisches Nachdenken über Realität und Erfindung, über Erinnerungen und Einbildungen, über sich fremd gewordene "Ichlinge", über die Magie der Sprache und den Wirklichkeitszauber der Literatur. Sehr vielfältig ist dieser Roman, ein Leckerbissen für Liebhaber von flüssigen Texten und Spiegeln.

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James Baldwin: Ein anderes Land

Der schwarze Musiker James Scott stürzt sich von einer Brücke in den Tod. Keine dreißig ist er geworden, was hat ihn gebrochen? Seine Schwester Ida sucht die Wahrheit und kann sie in keiner anderen Tatsache finden, als dass er schwarz war. James Baldwin beleuchtet das Thema schwarz-weiß in seinen unendlich vielen Ausprägungen. Er begibt sich tief in die Seelen seiner schwarzen und weißen Figuren, erkundet deren Suche nach Liebe und Freiheit, nach den Möglichkeiten des Lebens, die vielleicht nur in einem anderen Land gefunden und realisiert werden können. Ein überwältigend intensiver Roman, erschütternd, bereichernd und heute so aktuell wie bei seinem Erscheinen 1962.

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Romain Gary:

Du hast das Leben vor dir

Ein zehnjähriger arabischer Junge und eine alte jüdische Ex-Prostituierte im Pariser Armenviertel Belleville - diese Hauptfiguren sorgten 1975 bei Erscheinen des Romans für einen Skandal. Er handelt von Menschen, die eigentlich keine Chance haben, aber die Hoffnung und den Mut nicht verlieren. Der große Roman erzählt stilistisch einzigartig aus der Perspektive Mohammeds mit Chuzpe und Tiefsinn von Solidarität, Freundschaft, Achtung, Liebe und Sehnsucht - und von deren Abwesenheit.

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Anna Nerkagi: Weiße Rentierflechte

Die unerfüllte Liebe Aljoschkas zu Ilne, die nicht aus der Stadt in ihr Dorf, zu ihrer Familie, zum traditionellen Leben der Nenzen zurückkehrte, ist der Kern dieses Buches. Darüber hinaus ist der Roman ein poetischer und seelenvoller Blick auf das sibirische Nomadenvolk, dessen Leben mit der Natur und in der Gemeinschaft sich seit Jahrtausenden wenig veränderte. Nun hält die Moderne Einzug und mit ihr der Wunsch nach Individualität. Die Glückssuche Aljoschkas reflektiert diesen Konflikt, er ist nicht die einzige tragische Figur in diesem sprachlich wie kompositorisch überzeugen-den Roman.

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Colette: La Vagabonde

Renée tritt nach ihrer Scheidung als Varietétänzerin auf. Sie ist Anfang dreißig und entschlossen, unabhängig zu bleiben. Dazu gehört nebst selbst verdientem Lebensunterhalt die Einsicht, dass die Einsamkeit das Pendant der Freiheit ist. Doch sie wäre ein Mensch ohne Herz, wenn sie nicht ins Wanken geriete, als ein leiden-schaftlicher Verehrer um sie wirbt. Der in Paris zur Zeit der Belle Epoque spielende Roman ist eng an die Biographie Colettes angelehnt, die die Nebenfiguren und die Welt des Theaters genauso lebhaft und offen beschreibt wie die inneren Konflikte Renées. In den Romanen Colettes vereinen sich Leichtigkeit, Ironie und Tiefe mit Stilsicherheit - ein großer Lesegenuss. 

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Nastasja Penzar: Yona

Nach dem Tod ihres Vaters fliegt Yona, die soeben Abitur gemacht hat, zurück in ihr südamerikanisches Geburtsland. Der Vater hat das Geheimnis, warum er nach Deutschland floh und wie ihre Mutter ums Leben kam, mit ins Grab genommen. Yonas Reise ist eine Suche nach der Vergangenheit, nach Heimat und Identität. Der stake Roman beschreibt lebendig und greifbar Personen, Orte, die Geschichte des Landes. In zwei Erzähl-strängen webt Nastasja Penzar Gegenwart und Vergangen-heit ineinander, Gerüche, Begegnungen oder Ereignisse lösen Erinnerungen aus. Das Ende wird begleitet von einem Vulkanausbruch, einem solchen kommt die Wahrheit gleich, die Yona erfährt. 

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Michael Hugentobler: Feuerland

Anstatt das Wort Gottes zu verkünden, sammelt der englische Missionar Thomas Bridges obsessiv Wörter: er verfasst ein Buch über die Sprache der südamerikanischen Yamana. Dieses gelangt Jahrzehnte später zufällig in die Hände des Linguisten und Ethnologen Hestermann, der darin einen "Bauplan" für die Welt erkennt, eine "Kopie der Wirklichkeit". Das Buch ist der Dreh- und Angelpunkt dieses überaus lebendigen Romans, der über Kontinente, verschiedene Lebensweisen und politische Systeme hinweg von der Magie der Sprache erzählt.

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Paavo Matsin: Gogols Disko

Eine estnische Stadt, irgendwann in der Zukunft - das Land steht wieder unter russischer Zarenherrschaft. Die Figuren: eine bunte Mischung aus Dieben und Tagedieben, Künstlern und dem auferstandenen Dichter Gogol! Es entwickelt sich eine absurde Geschichte, die alles aufs Korn nimmt, vor nichts zurückschreckt, die Visionen und Abstürze schildert, Ängste benennt und ihr Gegenmittel: den Humor. Ein Roman mit Seltenheitswert, ein anarchischer Spaß mit Tiefgang!

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Vicente Valero: Schachnovellen

Vier Reisen, die zu Spurensuchen der europäischen Geistesgeschichte werden, verbunden mit der Passion für das Schachspiel: Vicente Valero verknüpft Literatur, Philosophie, Malerei und Politik mit seinen ganz persönlichen Reiseerlebnissen. Auf diese Weise gelingt ihm ein profunder Blick auf Walter Benjamin, Brecht, Nietzsche, Kafka und Rilke. Und ein kluges und feines Buch über die Kunst des Reisens, eines, das den Horizont weitet!

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Lukas Hartmann: Schattentanz -

Die Wege des Louis Soutter

Aus verschiedenen Blickwinkeln, aus den Erinnerungen mehrerer Personen zusammengesetzt, zeichnet Lukas Hartmann ein intimes Porträt des Musikers und Malers, des Außenseiters Louis Soutter (1871-1942). Von seiner Familie unter Vormundschaft gestellt, erschafft Soutter den Großteil seines Werkes in einem Heim, oft werden seine Zeichnungen zum Anfeuern des Ofens benutzt. Nachdem sein berühmter Cousin Le Corbusier deren Qualität erkannt hat, werden die tausende Blätter aufbewahrt. Soutters Versuche, Fuß zu fassen im Leben werden ebenso beleuchtet wie seine inneren Kämpfe und die schließlich radikale Hingabe an die Kunst. Der Roman verändert den Blick auf die Bilder Soutters, die, wie mittelalterliche Totentänze, Leid und Lebensgier zeigen.

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Elizabeth Taylor:

Mrs Palfrey im Claremont

Einige ältliche Damen und ein Herr als Dauergäste in einem wenig attraktiven Hotel: dies ist das setting von Elizabeth Taylors feinem, von bestem englischem Humor getragenen Roman. Die Tücken des Alters, schwindende Freiheit, Einsamkeit prägen den Alltag, dieser wird jedoch mit Haltung ertragen. Erstaunlicherweise bringt dann doch jeder Tag ein kleines Abendteuer, für Mrs Palfrey nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie stürzt, von einem jungen Mann aufgelesen wird und fortan mit ihm einen Enkel präsentieren kann - und zur Inspiration für seinen Roman wird. Plastisch, bilderreich, ironisch, und dabei sehr den Figuren zugewandt, schreibt Elizabeth Taylor (1917-1975), die hierzulande noch entdeckt werden muss, eine hintergründige Geschichte über ein Thema, das jeden angeht.

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Kristin Dimitrova:

Wenn du ankommst, ruf mich an

21 Erzählungen aus den Jahren 2004-17 versammelt dieser Band, der neueste der Bulgarischen Reihe des Verlages ink-press. Die Helden sind Menschen, die sich irgendwie durchschlagen, die man als Leser achten, verachten oder bemitleiden kann - gleichgültig lassen sie einen nicht. Kristin Dimitrova beherrscht die Kunst des doppelbödigen Erzählens, der völlig überraschenden Enden, die sogleich neue Fragen aufwerfen. Sie spielt mit verschiedenen Realitäten und wie die Menschen diesen begegnen - die Erzählungen sind sehr vielfältig, ihnen gemein ist eine gewisse Surrealität, die den Alltag konstruiert. Sehr interessant und lesenswert!

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Norman Levine:

Aus einer Stadt am Meer

Ein Reiseschriftsteller, der in einem der langweiligsten englischen Küsten-städtchen gelandet ist, dessen einzige Lichtblicke die Fluchten nach London sind - erstaunlicherweise lässt sich aus der detaillierten und minutiösen, zugleich ironisch-distanzierten Darstellung des Alltags ein Reise-bericht machen. Dies ist dem Schriftsteller Norman Levine trefflich gelungen, der zu den renommiertesten Autoren Kanadas gehört, und dessen `Reise in den Alltag´ nun nach

50 Jahren erstmals auf Deutsch vorliegt.

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Najat El Hachmi: Eine fremde Tochter

Najat El Hachmi erzählt die Geschichte einer Tochter marokkanischer Ein-wanderer in Spanien. Sie lebt zusammen mit ihrer alleinerziehenden Mutter, könnte mit ihrem glänzenden Zeugnis studieren, doch sie entschließt sich, zu heiraten. Um damit sich selbst und die Mutter "zu befreien". Von der Aufsicht der marokkanischen Gemeinschaft, die sehr genau beobachtet, was die Ich-Erzählerin macht. Sie bleibt namenlos, ihre Geschichte spiegelt die vieler Frauen wieder, die mit oder zwischen zwei Kulturen und Identitäten leben. Psychologisch sehr fein-sinnig, gekonnt verzahnt mit der Reflexion gesellschaftlicher Erwartungen, ist der spannende Roman ein gelungenes Werk der Aufklärung.

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Olga Tokarczuk: Letzte Geschichten

"Letzte Geschichten", ein Roman in drei Teilen, erzählt von Mutter, Tochter und Enkelin. Er erzählt vom Sterben und damit vom Leben. Er erzählt von der Unendlich-keit, dem Körper, dem Sein in der Welt, poetisch und ohne Pathos.

Olga Tokarczuk spannt einen Bogen von der Flucht aus dem Osten am Ende des Krieges bis in unsere Gegenwart. Eine ihrer Heldinnen ist Reiseleiterin, deren Rolle beschreibt Tokarczuk so: "Sie ist Vermittlerin. Sie spricht im Namen von etwas Größerem, das viel verzweigt und kollektiv ist und eigentlich keine Grenzen hat" - diese Rolle könnte auch die der Dichterin sein. 

Ganz große Lesefreude!

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Willi Wottreng: Jenische Reise

Die fast tausendjährige Anna berichtet von der Geschichte ihres Volkes der Jenischen. Zwischen Phantasie und Wirklichkeit angesiedelt, stets jedoch der Wahrhaftigkeit verpflichtet, erzählt der Dichter Willi Wottreng mit der Geschichte dieses Volkes auch die Geschichte Europas - aus der Perspek-tive der Armut und der Frau. Ein ganz außergewöhnlicher, wunderbar weiträumiger, verschiedene Zeitebenen fassender Text, "Eine große Erzählung",  die in jeder Hinsicht herausragend ist. Ganz ganz große Empfehlung!

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Tarjei Vesaas: Die Vögel

"Dussel" wird er genannt, selten gibt man ihm eine Arbeit, dem kindlich-naiven Mattis. Dieser lebt mit seiner Schwester in einem kleinen Haus zwischen Wald und See, in der norwegischen Einsamkeit. Doch Mattis beschäftigt sich sehr intensiv mit der Welt, meint, ein Vogelflug über seinem Haus verändere alles, deutet einen Blitzeinschlag in einen Baum als "Todesdrohung". Wer ist dieser Held, der so anders ist als alle anderen, der unablässig sucht, um Worte ringt? Für den Sprache und Wirklichkeit eines sind, für den eine Kleinigkeit die Welt verändert? Beeindruckend gut komponiert ist dieser Roman, poetisch und knapp zugleich, der Frage nach-spürend, wie die Welt aus Worten erschaffen wird, wo die Grenze des Sagbaren liegt - Tarjej Vesaas Roman ist ein Juwel!

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Jürgen Bauer: Portrait

Drei Personen - die Mutter, der Geliebte, die Ehefrau - erzählen das Leben Georgs. Ein jeder schildert ihn aus seiner Sicht und erzählt dabei sein eigenes Leben, seine eigenen Sehnsüchte, Ängste und Scheitern mit. Drei Tonlagen konstruieren die Geschichte, die von Liebe und Schuld, Anerkennung und Abschied nehmen erzählt und auch die Frage stellt: Wie viel erzählen wir von uns selbst, wenn wir von anderen sprechen?

Ein vielschichtiger, souverän erzählter Roman, der die LeserInnen zu einem Blick in den Spiegel auffordert,

sehr gelungen.

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Margaret Goldsmith:

Patience geht vorüber

Patience legt im Frühjahr 1918 das Abitur ab, heiratet einen Soldaten, erlebt eine leidenschaftliche Beziehung zu Grete, wird Journalistin. Die in Berlin lebende Tochter einer englischen Mutter und eines preußischen Vaters empfindet sich zeitlebens als Outsiderin, ihr Leben in zwei Sprachen, Kulturen und Mentalitäten ist nicht immer einfach. Gibt ihr aber Einblicke in viele Bereiche, führt sie von Berlin nach London und macht sie zu einer präzisen Beobachterin in Deutschland und in England. Als moderne Frau steht es für sie außer Frage, dass sie jemals ihren Beruf, ihre finanzielle Unabhängigkeit aufgibt, sie arbeitet sich durch alle Schwierigkeiten hindurch, seien sie politischer oder privater Art. Mit Mitte zwanzig entschließt sie sich, Ärztin zu werden, dieser zweite Beruf schenkt ihr eine Begegnung, die schicksalhaft genannt  werden muss. Das Porträt Patiences ist auch ein eindrucksvolles Bild der zwanziger Jahre, sehr lebendig erzählt und große Sympathien für die Heldin weckend.

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Josepha Mendels: Rolien & Ralien

Rolien ist ein ungewöhnliches, sehr phantasiebegabtes Mädchen, das sich, nachdem das Spiel mit Puppen zu langweilig geworden ist, dem Schreiben zuwendet. Sehr jung schon verkündet sie: "Ich werde Schriftstellerin".

Auch "ein Mensch" will sie werden, eigenständig und frei. Dazu verlässt

sie die Niederlande, geht nach Paris, begegnet dort dem Leben in allen Facetten, auch der Einsamkeit. Immer dabei ist Ralien, ihre "Bücherstimme", ihr zweites Ich, ihre Freundin und Feindin, ihre Künstlerseele. Ein wunderbar federleichtes Buch mit viel Tiefe, Sensibilität, Genauigkeit und einem Augenzwinkern, geschrieben in einem sehr warmherzigen Ton. Ganz große Empfehlung!

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Máìrtín Ó Cadhain: Die Asche des Tages

N. erhält im Büro einen Anruf mit der Nachricht, seine Frau sei verstorben.

Er weiß, dass er nun die Beerdigung mit allem drum und dran organisieren müsste, verliert sich aber in der Stadt,

in Gedanken, in Ausflüchten und Abkürzungen, die ihn immer weiter weg von zu Hause führen. Die LeserInnen folgen ihm in seine eigene Realität - und immer größer werdende Unwahrscheinlichkeit, dass er eine Lösung findet. Tragik und Komik liegen nah beieinander in diesem Roman, der einen starken Sog entwickelt und in eine andere Welt entführt.

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Ralf Rothmann: Hotel der Schlaflosen

Elf meisterhafte Erzählungen, in denen Ralf Rothmann mit poetischem Realis-mus die verschiedensten Lebensläufe erzählt. Er verzichtet auf Ausschmück-ungen, konzentriert sich ganz auf die Figuren. Mit diesen erschließt er Welten, Haltungen, besondere Ereignisse, in denen sich herauskristallisiert, was nur der Dichter zu fassen vermag. 

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Edem Awumey: 

Nächtliche Erklärungen

Ito Baraka ist fünfundvierzig, er wird bald an Leukämie sterben. 

Die verbleibende Zeit nutzt er, um ein Buch fertig zu schreiben, das er vor langer Zeit begonnen hat. In diesem erzählt er von seinem Leben in einem westafrikanischen Land, von der Diktatur, dem Lager, seinen Freunden, seiner Flucht. Verschränkt mit Kapiteln, die aus Itos Gegenwart berichten, erzählt in einem von starken Symbolen durchsetzten Realismus, gelingt Edem Awumey ein kunstvoller und beeindruckender Roman, der zugleich dezidiert politisch und tief menschlich die Frage "Aus welcher Nacht der Welt stammst du?" zu beantworten versucht.

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Jana Volkmann: Auwald

Ein mutiger, poetischer, schwebender und fließender Roman über die Unsicherheit des Seins. Ein tief-gründiger Roman, der in das Leben

der jungen Tischlerin Judith eintaucht, die mit dem Schiff von Wien nach Bratislava fährt und durch einen Zufall die Rückfahrt nicht antreten kann.

Sie verbringt eine einsame Zeit in den sumpfigen Wäldern der Donau, fern der Zivilisation, lebt nach einem "Riss in der Wirklichkeit" in einer anderen Welt. Und lernt das Fließen der Realität aus einer neuen Perspektive kennen.

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Donatella di Pietrantonio: Arminuta

Mit dreizehn wird Arminuta wie ein Paket bei ihren leiblichen Eltern abgegeben - von dem Mann, den sie bis dahin als ihren Vater betrachtete.

Sie hätten das Mädchen zurückhaben wollen, sagt man ihr. Doch sie ist nicht willkommen, stürzt in ein fremdes Leben voller Armut und Dreck, es ist das Gegenteil dessen, was sie kannte. Es entwickelt sich jedoch eine starke Bindung zu ihrer mutigen jüngeren Schwester - mit dem Ergebnis eines schweren Konflikts zwischen dem Drang zurück in das schöne Zuhause in der Stadt und der Annäherung an ihre Familie. Ein lesenswertes Buch über Verantwortung und Liebe im Kleid der Familiengeschichte!

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Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann

Mit siebenundvierzig Jahren beschließt Laura, von der Familie Tante Lolly genannt, dass es Zeit ist, ein eigenständiges Leben zu führen. Als unverheiratete Schwester lebte sie im Haushalt ihres Bruders, nun zieht es sie aufs Land. In Great Mop mietet sie eine kleine Bleibe und genießt dort "überirdische Zufriedenheit". Bis ihr Neffe auftaucht und ganz selbstverständlich annimmt, Tante Lolly werde sich um sein Wohlergehen kümmern. Doch Laura will nicht zurück in die alten Ketten - und verbündet sich mit dem Teufel selbst, um Titus loszuwerden. Der Gesellschaftsroman nimmt damit eine phantastische Wendung - unter dem Deckmantel des Märchenhaften steckt jedoch eine fundamentale Kritik und die Frage: Ist jede Frau, die selbständig leben möchte, eine Hexe? Der Roman ist ein Geniestreich!

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Christophe Boltanski: Das Versteck

 Boltanski schreibt die Geschichte seiner Familie (die "Familienmytho-logie") auf, indem er Raum um Raum des Hauses durchschreitet und anhand der Besonderheiten dieser Zimmer die einzelnen Mitglieder seiner Familie charakterisiert. Das zweistöckige Haus ist die Trutzburg der Familie, ein Ameisenhaufen, für fast zwei Jahre das Versteck des jüdischen Großvaters. Regentin des Hauses ist die Großmutter, eine resolute, jede Konvention verachtende, mutige Frau, die es schafft, das Haus zugleich Gefängnis und Ort größter Freiheit sein zu lassen. Mit der Genauigkeit eines Journalisten hat Boltanski ein poetisches Werk erschaffen, das einem Kaleidoskop gleicht: es besteht aus vielen beweglichen Elementen.

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Victor Margueritte: La Garçonne

Monique Lerbier stürzt sich nach dem Bruch mit ihren Eltern - sie sollte gewinnbringend verheiratet werden - in das Pariser Leben der 1920er.

Sie macht sich selbständig, verdient viel Geld, tanzt und feiert, hat Liebhaber und verfällt schließlich dem Opium. All das bunte Leben um sie herum kann nicht die innere Leere einer intelligenten Frau ausfüllen, die nach einer echten Aufgabe sucht. Der nicht nur psycholo-gisch tiefblickende, sondern auch politisch dezidierte Roman des Pazifisten und Verfechters der Gerechtigkeit Victor Margueritte (1866-1942) zeichnet das Bild einer suchenden Frau in einer zerrissenen Zeit - auf das Ende hin spitzt sich die Geschichte dramatisch zu ...

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Frédéric Brun: Perla

Perla, die Mutter des Ich-Erzählers, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Sieben Monate verbrachte sie dort, eine Zeit, die ihr ganzes Leben prägen wird. Nach ihrem Tod begibt sich ihr Sohn auf Spurensuche, denn sie hat ihm nie erzählt, was ihr im Konzentrations-lager widerfuhr. Die persönliche Geschichte der Mutter bettet Frédéric Brun ein in die Geistesgeschichte Deutschlands und die ungläubige Frage, wie dieses Land Novalis, Hölderlin,

Caspar David Friedrich und Hitler hervorbringen konnte.

Der Gedanke, mit unlösbaren Widersprüchen leben zu müssen, wird illustriert von 15 Abbildungen, die Gemälde der Romantik und Aufnahmen des Autors aus Auschwitz zeigen - das preisgekrönte Debüt ist eine eindrucksvolle Lektüre, der Auftakt einer Familien-Trilogie, die weit über das Thema Familie hinausgeht.

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Katrin Seebacher: Morgen oder Abend

Albertina ist über achtzig, das Leben fängt an, ihr zu entgleiten. Das Wort Demenz kommt nicht vor in diesem feinen, stilsicheren und klugen Roman, doch davon handelt er. Albertina versucht, die bröckelnde Gegenwart mit Geschichten aus der Vergangenheit zu kitten, auf diese Weise erzählt Katrin Seebacher ein bewegtes Leben, das zwischen Deutschland und Italien pendelte. Sie verschränkt dabei die Perspektive eines Erzählers, der von außen auf das Geschehen blickt, mit den Gedanken Albertinas, dem "Ich", das im Mittelpunkt steht.

So zeichnet die Autorin ein detailliertes, weiträumiges und sehr berührendes Bild der einst so lebenslustigen Alba, die auch im Alter nicht verlernt hat, zu flirten.

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Ana Schnabl: Grün wie ich dich liebe grün

Zehn Erzählungen der 1985 geborenen Autorin, die mit dem Skalpell geschrieben sind. Die die Wurzeln freilegen und ohne Umschweife von Menschen erzählen, die nicht der Norm entsprechen. Hauptsächlich von Frauen in ihren verschiedenen Rollen handeln die Geschichten, sie spiegeln die Erwartungen der Gesellschaft. "Harmonie bleibe den Engeln vorbehalten", so der letzte Satz einer Erzählung - für die Menschen bleibt diese eine Sehnsucht. Ein sehr reifes Debüt!

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Theres Essmann: Federico Temperini

Der Taxifahrer Jürgen wird von einem Herrn alter Schule als Chauffeur angeheuert. Die Fahrten führen zur Philharmonie, später auf den Friedhof oder an einen See - die beiden ganz und gar unterschiedlichen Menschen fassen Vertrauen zueinander und öffnen sich. Unsichtbar immer dabei ist der Teufelsgeiger Paganini, er ist eine Art Spiegel, durch den Temperini Bruchstücke von sich preisgibt. Und auch in Jürgen werden Erinnerungen wach und er spricht von seinen Ängsten. Die Novelle erzählt von Sprachlosigkeit, Einsamkeit, Verlust und Sehnsucht - und in gleichem Maß von Freundschaft und Menschlichkeit.

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Felicitas Andresen:

Sex  mit Hermann Hesse

Eine geistreiche, (selbst)ironische und trocken humorvolle Begegnung mit einem Heiligen der Dichtkunst - so könnte man den Roman umreißen. Geschrieben wurde er von einer "Aufsichtsbeauftragten" des Hesse-Museums in Gaienhofen am Bodensee. Dort verdient sich die Autorin ein kleines Zubrot als Betreuerin. Sie nutzt die Zeit, um sich mit der Mentalität der Besucher, den manchmal komplizierten Beziehungen der Mitarbeiter untereinander, vor allem aber mit dem Werk Hesses auseinanderzusetzen. Sie tritt in einen sehr persönlichen Dialog mit dem Dichter und scheut sich nicht, freche Fragen zu stellen. An ihn, an sich, an die Dichtung.

Mit witzigen Episoden und an Thomas Bernhard erinnernden Qualitäten enthüllt sie Offensichtliches, das lange ungesehen blieb. 

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Anton Cechov: Sommergeschichten

Eine sehr schöne und trefflich übersetzte Auswahl an Erzählungen, die zwar im Sommer spielen, nicht aber nur die schönen Seiten dieser Jahreszeit feiern. Nein, alles blüht und  wächst kräftig unter der Sonne - Anton Cechov entwirft lebendige Menschen, die mit ihrem Schicksal und ihren Leiden-schaften kämpfen. Der wunderbar ironische Ton, in dem er erzählt verleiht den Geschichten Flügel, sie fliegen direkt ins Herz der LeserInnen  und entfachen das Feuer der Cechov-Leidenschaft. 

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Eshkol Nevo: Die Wahrheit ist

Das Leben eines Schriftstellers ist in die Krise geraten: seine Ehe steht auf der Kippe, seine Tochter zieht es vor, in ein Internat zu gehen, sein Freund hat Krebs. Zeit, nicht länger vor der Wahr-heit davonzulaufen, Zeit, Fragen zu beantworten. Diese bekommt er von Lesern gestellt - aus einem sehr langen Interview entwickelt Eshkol Nevo eine ehrliche Geschichte. Diese trägt die Bezeichnung "Roman", nicht Autobiographie. Es ist Zeit, sich der Wahrheit zuzuwenden, aber auch, sie mit der Wahrhaftigkeit zu verschmelzen.

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Gabriella Zalapi: Antonia.

Tagebuch 1965-1966

Antonia ist Ende zwanzig, gefangen in einer unglücklichen Ehe, unsicher, ob sie ihrem achtjährigen Sohn eine gute Mutter ist. Sie fühlt sich völlig fremd in der Welt, der sie angehört, der bürgerlich-konservativen Schicht Palermos. Als sie nach dem Tod ihrer Großmutter einen Karton mit Notizen, Briefen und Fotos findet, fängt sie an, ihre komplizierte Familiengeschichte zu erkunden und sich selbst darin zu verorten. Diese Arbeit ruft Erinnerungen hervor, die sie in ihrem Tagebuch notiert. Die Erzählform spiegelt das Suchen, Straucheln, Zweifeln - die Beschäftigung mit der Vergangenheit verändert die Gegenwart. Und schließlich muss Antonia eine Entscheidung treffen und auch handeln, wenn sie ein eigenständiges Leben führen möchte.

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Sara Mesa: Quasi

Im Park, in einem Gebüsch, beginnt die ungewöhnliche und per se verdächtige Freundschaft zwischen der Schul-schwänzerin Quasi - sie ist "quasi vierzehn", also dreizehn, und "dem Alten", einem vierzig Jahre älteren Mann, der nicht arbeitet, sich nur für Vögel und die Musik von Nina Simone interessiert und sich etwas merkwürdig benimmt. Über Monate treffen sie sich fast täglich, Quasi führt ein Tagebuch über diese Begegnungen. Schließlich explodiert die ganze Situation, denn Erwartungen, Vor-urteile, Halbwissen, die Unfähigkeit zuzuhören gepaart mit blühender Phantasie sind eine geballte Ladung an Sprengstoff. Die junge Autorin spannt ein Netz um ihre Figuren, in das sie auch die LeserInnen mit einwebt und gefangen nimmt - ihre doppelbödige Geschichte wirft so viele Fragen auf, sie endet nicht mit der letzten Seite. 

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Helen Wolff: Hintergrund für Liebe

Ein Roman, der sich liest wie eine frische, leichte Sommerliebesgeschichte, erzählt von den Anfängen des legendären Verlegerehepaares Helen und Kurt Wolff. Der vierzigjährige Gesellschaftslöwe und die junge Frau reisen nach Südfrankreich - es ist auch eine Flucht aus den politischen Verhältnissen in Deutschland zu Beginn der 1930er Jahre. Der erfahrene Mann meint, seiner Geliebten das Leben zeigen zu müssen, doch bald trennt sie sich von ihm - als er zurückkommt wird schnell klar, dass sie in vieler Hinsicht die klügere, reifere ist. Sie schenkt ihm den "Hintergrund für Liebe". Ein fast hundert Seiten umfassender Essay Marion Detjens, der Großnichte Helens, beleuchtet die privaten, gesellschaftlichen und politischen Hintergründe des Romans - mit all diesen wertvollen Informationen lassen sich die tieferen Schichten des Romans erfassen, der eben nur vordergründig eine Sommerliebesgeschichte ist.

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Lu Bonauer: Die Liebenden bei den Dünen

Silas und Romy, seit Jahrzehnten ein Ehepaar, haben beschlossen, gemeinsam ihr Leben zu beenden. Es ist keine Idee des Alters oder der Krankheit, schon immer waren sie davon überzeugt, wie Romeo und Julia keinen Tag ohne den anderen leben zu wollen. Nun, als bei Romy Alzheimer diagnostiziert wurde, ist es soweit. Sie trinken jeder ein Glas mit einem tödlichen Mittel - wenige Stunden später wacht Silas neben seiner toten Frau auf.

Was ist passiert? Lu Bonauer erzählt eine Liebesgeschichte, er stellt mit Silas die Frage nach Verrat und Freiheit, er beleuchtet konzentriert auf zwei Menschen und ohne Überfrachtung der feinen Novelle mit gesellschaftlichen Diskussionen, die Würde des Lebens und Sterbens.

Er schreibt beeindruckend klar, mit viel Empathie für seine Figuren und ohne moralischen Zeigefinger. Sehr lesenswert.

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Jan Kjaerstad: Der König von Europa

Alf I. Veber, sechsundvierzig, erfolg-reicher Internetpionier zu Beginn des neuen Jahrtausends: er verbringt diese Nacht alleine in den norwegischen Bergen, gespannt zwischen Erinnerungen und der Frage, wie sein Leben weiter gehen soll. Kurz entschlossen reist er nach London, er will eine alte Liebe wieder finden, wird enttäuscht, begegnet aber einer jungen Frau, die die Synthese all seiner bisherigen Lieben zu sein scheint. In die Lebensgeschichte des Helden eingebettet ist die Frage: Was stellen wir mit all unserem Wissen an? Sowie die Begriffe `Muster´ und `Netz´ in allen nur vorstellbaren Ausprägungen - vom handgeknüpften Netz aus Seilen bis zum Internet, von den Mustern, die Licht und Blätter zeichnen bis zum Boden der Markuskirche in Venedig.

Alf, der einst Ideengeschichte studierte, möchte die Aufklärung vollenden, er möchte einen neuen Planeten erschaffen, einen, in dem "Bruchstücke des Wissens" ihre "wahre Bedeutung" finden, "wenn sie in etwas Ganzes eingefügt werden, zusammenwirken können". Mit einer unglaublichen Kunst des Verwebens von einzelnen Fäden schreibt Jan Kjaerstad in genau dieser Form des Vernetzens, Verknotens, Zusammendenkens des Realen und des Symbolischen. So entsteht ein sehr komplexer, spannender  und vielschichtiger Roman. 

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Cornelia Travnicek: Feenstaub

Eine vom Nebel umhüllte Insel mitten in einem Fluss, glitzernder Feenstaub, der drei verlorenen Jungspunden Flügel verleiht, und die Erinnerung

von Gewalt und Ausbeutung in der Kindheit - das sind die Ingredienzen des dunklen und märchenhaften Romans "Feenstaub" der österreichi-schen Erfolgsautorin Cornelia Travnicek um die Taschendiebe Petru, Cheta und Magare.

Da lockt sogar ein goldfarben geprägter Titel hinein ins außergewöhnliche und schön gestaltete Buch.

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Christine Wunnicke: Nagasaki, ca. 1642

Der junge Abel van Rheenen kommt als junger "Dolmetsch" mit einem Handelsschiff nach "Japonica". Dort trifft er auf den ehemaligen Krieger Seki Keijiro, der noch eine sehr alte Rechnung mit den Orandesen offen hat. Die Wege der beiden verquicken sich miteinander: Keijiro will Rache üben an dem, der die Kanonen gebracht hat, Abel will die japanische Seele erkunden. Mit ihm lernen die LeserInnen diverse Künste kennen, folgen den beiden aufs Land und entdecken ein Reich, das nur als `phantastisch´ bezeichnet werden kann. Dicht, detailreich, mit feiner Ironie und trefflichen Pointen entsteht eine plastisch-dramatisch-komische Geschichte, die auch eine Geschichte der Liebe und Verführung ist.

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Luigi Reitani: Hölderlin übersetzen - Gedanken über einen Dichter auf der Flucht

Einen Dichter, der vor 250 Jahren geboren wurde übersetzen - in eine andere Sprache und in eine andere Zeit - die unsere: Luigi Reitani, Herausgeber der Werke Hölderlins und Übersetzer ins Italienische, führt in sieben brillanten Essays aus, wie gewaltig, 

wie modern das Werk Hölderlins ist. Nicht nur hat es in verschiedenen Sprachen und Kulturen seine unauslösch-lichen Spuren hinterlassen, es inspiriert bis heute Dichter und LeserInnen. Reitani gibt einen kurzen, aber profunden Einblick in das Werk des Dichters, die Werkstatt des Übersetzers, vor allem aber in die Weite des Sprach- und Gedankenraums des Dichters, der ungebrochen fasziniert.

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Jean Stafford: Die Berglöwin

Ralph und Molly, zu Beginn des in den 1920er Jahren spielenden Romans zehn und acht Jahre alt, sind Außenseiter in ihrer Familie. Die Mutter und die älteren Schwestern gehen ganz in Konventionen auf, die beiden Jüngsten sind in keiner Weise `gefällig´. Aus gesundheitlichen Gründen dürfen die Kinder einen Teil des Jahres auf der Farm ihres Onkels in Colorado verbringen - diese beiden Welten könnten nicht gegensätzlicher sein. Der Roman beleuchtet das komplizierte Verhältnis der beiden Geschwister, die im Haus der Mutter natürliche Verbündete sind, auf der Ranch verändert sich alles. Die Charaktere werden aus der Handlung entwickelt, auf beeindruckend schnörkellose Weise, ohne auf Mitleid abzuzielen und den Kindern die Würde der Einsamkeit belassend, komponiert Jean Stafford einen einzigartigen Roman, der "eine geballte Ladung psychologischen Dynamits" enthält. Auf das Ende hin spitzt sich das Geschehen dramatisch zu, die letzten Seiten sind zugleich Essenz und noch einmal eine neue Welt zugleich. Ganz ganz große Erzählkunst!

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Bov Bjerg: Serpentinen

Vater und Sohn begeben sich auf eine Reise in den Herkunftsort des Vaters am Fuß der Schwäbischen Alb. Der Soziologieprofessor möchte seinem siebenjährigen Sohn zeigen, woher er kommt - er will vor allem aber den Weg in die Vergangenheit beschreiten, um die Dämonen, die ihn seit jeher und immer noch begleiten, loszuwerden. In Schleifen und wiederkehrenden Mustern reflektiert er über Heimat, Dazugehörigkeit, Gewalt, Suizid und den Bruch mit Traditionen, über "Familienbla" und was einen guten Vater auszeichnet. Eine Frage zieht sich durch den Roman: "Worum geht es?", gestellt von dem Jungen im Spiel, für den Vater - der noch sehr viel Sohn in sich trägt - ist sie existenziell.

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Noëmi Lerch:

Willkommen im Tal der Tränen

Was wäre die Schweizer Hochgebirgs-welt ohne sie: Zoppo, den Tuniar und den Lombard. Drei schwer schuftende Männer, die einander zuarbeiten, Kühe hüten, Käse machen, am Tisch sitzen, schweigen und in den Mond schauen. Dabei treiben sie allerhand Gedanken um - einen ganzen Sommer lang geht das so. Geschaffen haben diese wundersame, entrückte und doch gegenwärtige Lebenswelt die Schweizer Autorin Noëmi 

Lerch und ihre zeichnenden Partnerinnen Walter Wolff.

Was Sie da Händen halten ist ein sorgfältig komponierter Text-Bild-Band, eine kleine Kostbarkeit.

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Lydia Steinbacher: Schalenmenschen

In zwanzig Erzählungen spürt Lydia Steinbacher Zuständen und Wendungen im Leben ihrer Protagonisten nach. Feinfühlig und poetisch beschreibt sie Begegnungen, Erinnerungen, Brüche, Schmerzen oder die Liebe - ihre Figuren versuchen, sich aus ihrer Schale zu lösen, oder auch sich eine solche zum Schutz überzuziehen. Steinbacher weicht auch dem Tod nicht aus - erstaunlich reife Erzählungen einer jungen Autorin.

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Michael Lichtwarck-Aschoff:

Der Sohn des Sauschneiders

Der berühmte Biologe Paul Kammerer und Franz, der Bub vom Land, haben ein Ziel: die Vererbbarkeit von erlern-ten Eigenschaften zu erforschen. Sie tun dies vor dem Ersten Weltkrieg am Wiener Vivarium - streng beobachtet von den Gegnern Kammerers. Franz, dessen Lebenstraum es ist, das hornlose Rind zu züchten, gerät schließlich in arge Nöte, denn er ist grundehrlich und manchmal muss auch in der objektiven Wissenschaft ein wenig nachgeholfen (sprich: getrickst) werden. Lichtwarck-Aschoff nimmt Fäden aus Wissenschaft und Geschichte auf, fügt einige Figuren hinzu, und spinnt daraus eine hintergründige, von Sprachwitz und Phantasie getragene Geschichte, die fasziniert. Und auch ein helles Licht auf die Gegenwart wirft. 

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Etel Adnan: Wir wurden kosmisch

Vor mehr als fünfzig Jahren entstand das Gedicht "Ein Trauermarsch für den ersten Kosmonauten", geschrieben nach dem tödlichen Flugzeugabsturz Juri Gagarins, sieben Jahre nach seinem Flug um die Erde. Er war der erste Mensch im All gewesen und hat damit das Unmögliche möglich gemacht, sein Flug wurde zu einer Zeitenwende, denn er veränderte die Vorstellungen der Menschen von allem. Dem Gedicht stellen die Herausgeber Zeichnungen Etel Adnans nach einem Interview im Mai 2019 zur Seite, die sie nach jenem Gespräch, das ebenfalls in diesem Buch abgedruckt ist, angefertigt hat. Außerdem zieren Fotos von Raketenstarts das Buch - ein Verweis auf die harte Realität der Raumfahrt, ihrer politischen Komponente und ihrer konkreten Auswirkungen. Das Buch ist ein Gesamtkunstwerk, das die verschiedenen Ebenen von Zeit, Raum, Sprache, rationalem und spirituell-mystischem Denken zusammenbringt. Das Buch "öffnet ein Fenster", eine Erfahrung, die, so Etel Adnan, die Kunst ermöglichen kann.

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Joseph Roth: Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht

Eine nächtliche Bar im Paris der 1930er Jahre, besucht von russischen Emigranten. Rückblickend auf das vorrevolutionäre Russland erzählt einer von ihnen, Golubtschik, seine Lebensgeschichte, die ihn nach Paris geführt hat. Nicht als Flüchtling, sondern als Angehöriger der Geheimpolizei, der die Flüchtlinge aushorcht. Er legt sich eine falsche Identität zu, nimmt den Namen an, der ihm sowieso zusteht: Fürst Krapotkin. Er ist dessen Sohn, wurde aber nie anerkannt, eine ewige Quelle des Hasses und des Wunsches nach Rache. Golubtschik lebt das Leben eines bösen Schurken, verrät und wird verraten, verstrickt sich in Lügen - Wer oder was bin ich? - muss er sich fragen. Diese Ausgabe des Klassikers wird bereichert von fünfzig Illustrationen des Künstlers Klaus Waschk, die der Geschichte eine weitere Dimension verleihen. Sie reflektieren die Gefühle der Figuren, zeigen

die Brutalität der Macht und befördern die Phantasie der LeserInnen - eine wunderbare Ausgabe eines außer-gewöhnlichen Romans.  

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Selma Lagerlöf / Roberta Bergmann (Illustrationen): Herrn Arnes Schatz

Die junge Elsalill ist die einzige Über-lebende eines grausamen Verbrechens, bei dem neun Menschen ermordet wurden. Ausgehend von einer wahren Begebenheit aus dem 16. Jahrhundert entwickelt die Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf eine Schauergeschichte mit eindeutiger moralischer Botschaft: begangenes Unrecht muss gesühnt werden. Das weiß auch Elsalill, die gezwungen ist, schwierigste Entscheidungen zu treffen. Sie meint dafür verantwortlich zu sein, dass ihre tote Schwester Ruhe finden kann...

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George Eliot: Silas Marner,

Der Weber von Raveloe

Eine falsche Anklage lässt Silas Marner an Mensch und Gott (ver)zweifeln.

Er verlässt seine Heimat, richtet sich

im Exil ein, arrangiert sich damit, der Fremde zu sein. Er arbeitet und spart: das Geld ist sein Lebenssinn.

Als ihm dies genommen wird, steht er vor der endgültigen Leere. Doch wie durch ein Wunder findet ein Waisenkind seinen Weg in die bescheidene Hütte. Das Kind gibt Silas sein Leben zurück, Silas ist ihm ein wunderbarer Vater. Bis sich der leibliche Vater auf seine Pflicht besinnt... George Eliots Roman ist von tiefstem Verständnis für die Menschen geprägt, er ist eine realistische Darstellung der sozialen Gegebenheiten - die sehr unkonventionell lebende Schriftstellerin, eine Frau, die ein männliches Pseudonym gewählt hat, entwickelt einen ganz eigenständigen Stil, einen sehr persönlichen Blick und erschreibt sich den Rang einer moralischen Instanz des viktorianischen Zeitalters.

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Doris Lessing: Worum es wirklich geht

Die fünf Erzählungen aus den Jahren

1978-97 geben einen guten Einblick in das Werk der Nobelpreisträgerin von 2007. Sie beleuchten die Machtverhält-nisse, die menschliche Gemeinschaften prägen. Liebe und Sexualität, gesellschaftliche Konventionen,

die Versuche mittels des Verstandes Emotionen zu kontrollieren - Doris Lessing zeichnet mit klarer Sprache Figuren, die nach einem eigenständigen Leben suchen.

Ihr Blick ist weder auf die weibliche Perspektive, noch auf

das Geschlechterverhältnis verengt, sie beleuchtet alle menschlichen Beziehungen. 

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Damir Karakas:

Erinnerung an den Wald

Der Held des Buches ist ein heran- wachsender Junge, der in kurzen Episoden aus seinem Leben erzählt. Direkt und ungefiltert strömen seine Worte, er ist vom Schicksal mit einer Herzkrankheit geschlagen, aber er hat auch sehr viel Phantasie und findet eine innere Heimat in der Sprache.

Der Roman spielt in einem kroatischen Dorf, in dem noch Ochsengespanne fahren, aber auch schon Fernseher Einzug halten - in der Übergangszeit also, in der jedoch die patriar-chalischen Strukturen noch die alten sind. Kein leichtes Umfeld für ein kluges Kind, das auf körperliche Stärke setzt, um seinen Vater stolz zu machen.

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Ingvar Ambjornsen:

Echo eines Freundes

Elling, der sympathische Antiheld aus den 1990er Jahren ist wieder da.

Auf die Sechzig geht er zu und ist wild entschlossen, aus seinen letzten Jahren das Beste zu machen. Hat er doch gerade eine neue Wohnung bezogen, alleine, raus aus der Betreuung.

Und als ob das echte Leben nicht genug Herausforderungen bereit hielte, meldet er sich auch noch bei Facebook an und beginnt eine zweite Existenz unter anderem Namen. Hier wie dort blüht seine Phantasie, es ist eine Freude für den Leser seinen Gedankengängen zu folgen, die kleinste Kleinigkeit ist imstande eine Kaskade an Einfällen auszulösen.

Elling ist einer, der nicht in die weite Welt fahren muss, um Abenteuer zu erleben, die finden sich für ihn an jeder Ecke.

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Tarjei Vesaas: Das Eis-Schloss

Dieser sehr poetische Roman erzählt

in dichten Bildern und mit großer sprachlicher Kraft die Geschichte der Freundschaft von Siss und Unn, zwei elfjährigen Mädchen - und vom Verlust eines geliebten Menschen. Unn kommt als Waise zu ihrer Tante in ein Dorf. 

Sie hält sich stets am Rand, doch Siss, die Anführerin der Kinder, fühlt sich sofort zu ihr hingezogen. Nach einem magischen Abend, an dem die Freundschaft besiegelt und ein Geheimnis zwar nicht ausgesprochen wird, fortan aber das Leben von Siss bestimmt, verschwindet Unn im Eis-Schloss, das sie angezogen und in einen Rauschzustand versetzt hat. Sie kommt nicht zurück. Siss hat nun einen weiten Weg zurück in ihr Leben vor sich, die Gemeinschaft des Dorfes, die Erwachsenen wie die Kinder, begleitet sie auf einzigartige Weise. Dieser Roman über Verlust und Einsamkeit, Stärke, Mut, Zusammenhalt und Freundschaft brennt sich ins Gedächtnis, er ist ganz große Literatur.

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Cesare Pavese: Das Haus auf dem Hügel

Turin 1943/44, die Stadt wird bombardiert, wer kann, flieht in die Hügel außerhalb der Stadt. Dort lebt Corrado, der Held des Romans schon seit Jahren, hierhin zog er sich in seine selbstgewählte Einsamkeit zurück. Durch Zufall trifft er Cate, eine Liebe aus vergangenen Tagen wieder, sie hat einen achtjährigen Sohn, der Corrados Kind sein könnte. Cate gehört zu einem Kreis von Widerständlern, sie ist eine sehr selbständige Frau geworden. Diese Begegnung weckt nicht nur Erinnerungen, sie verändert das Leben Corrados. Der Krieg holt schließlich auch ihn mit voller Wucht ein, er flieht, zuerst versteckt er sich in einem Kloster, dann schlägt er sich in sein Heimatdorf südlich Turins durch. Eingebettet ist dieses historisch genaue Dokument in die Überzeitlichkeit der Landschaft, die mehr ist als das, sie ist ein heiliger Ort, Träger einer uralten Kultur. Pavese arbeitet in seinen Roman die Fragen nach Verantwortung, Schuld, Angst, Einsamkeit, Krieg und Bürgerkrieg ein, er entwickelt einen überaus vielfältigen Reigen unterschiedlichster Charaktere (keineswegs verengt er seine Sicht auf den Ich-Erzähler). Seine präzise, rhythmische und moderne Sprache hat Maja Pflug trefflich ins Deutsche übertragen, sie hat das Werk entstaubt und ins Heute geholt. 

Das ist Literatur auf allerhöchstem Niveau.

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Steven Bloom:

Mendel Kabakov und das Jahr des Affen

Das Jahr 1968 spült alte Gewissheiten hinweg, in der Politik und im Privaten kommt es zu Umwälzungen. In diese geraten auch die Kinder und Enkel Mendels, der schwer unter dem Tod seiner Frau Sonia leidet, fast fünfzig Jahre waren sie glücklich verheiratet gewesen. Steve Bloom verschränkt die persönlichen Geschichten seiner Protagonisten mit dem Zeitgeschehen, und er wirft Blicke in die Geschichte der Vereinigten Staaten, vor allem mit dem Anliegen, aufzuzeigen, wie groß die Schuld dieses Landes ist und wie weit entfernt davon, anderen Fehlverhalten vorwerfen zu können. Verschiedene Typen begegnen sich in diesem Roman: Patrioten und Pazifisten treffen auf Homosexuelle und andere Minderheiten. In dieser bunten Welt werden wichtige Begriffe durchdacht: Liebe, Treue, Verantwortung, Verzeihen etc - das Buch erzählt eine Familiengeschichte, es ist zugleich ein  informativer Text zur Geschichte Amerikas. 

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Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind

Lula Ann ist so schwarz, dass sogar ihre Mutter Sweetness erschrickt - und es kaum schafft, ihr Kind zu berühren oder auch nur anzusehen. Sie erzieht das Mädchen sehr streng zu unbedingtem Gehorsam, es soll ja nicht auffallen,

das kann in einer rassistischen Gesellschaft wie der amerikanischen tödlich enden. Doch Lula Ann befreit sich von dieser Über-Anpassung, nennt sich Bride,  verwandelt ihre "schwarze Eleganz" in Geld - und wird die Geister der Vergangenheit doch nicht los.  Morrison erzählt die Geschichten von Bride und Sweetness, sowie die von Brides Freud Booker, eingebettet in die Geschichte und Atmosphäre der Zeit. Diese ist unsere Gegenwart, die sich in manchen Punkten kaum von einer Zeit unterscheidet, die sehr lange zurück liegt.

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Robertson Davies: Der Fünfte im Spiel

Dunstan Ramsay antwortet mit seiner Autobiographie auf den miesen Artikel, den ein junger Kollege anlässlich Ramsays Verabschiedung in den Ruhestand verfasste. Auf gut 400 Seiten erzählt er von den Dramen seines Lebens, von der Schuld, die er mit sich trägt, von der Freund- und Feindschaft mit Percy Boy Staunton, von der Verbundenheit mit Mary und Paul Dempster - es ist ein Roman über Schuld, Verantwortung, Vergessen und Erinnern. Es ist ein überaus heiteres Buch in freundlich-ironischem Ton, auch wenn die Themen ernst und die Ereignisse oft bestürzend sind. Schillernde Figuren stehen neben einfachen Menschen, Gott und Teufel fehlen sowenig wie Heilige und ihre Legenden - der Roman ist tiefgründig und verspielt, elegant, spannend aufgebaut, er regt die Phantasie des Lesers an und das alles aufgrund eines Schneeballs, der sein Ziel verfehlte.

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Sophia Mott: Dem Paradies so fern

In zwei Strängen erzählt Sophia Mott das Leben Martha Liebermanns (1857-1943). In den Kampf um eine Ausreise-genehmigung für Martha, geführt von einem Kreis mutiger Personen, arbeitet sie Rückblicke in das Leben der Ehefrau des großen Malers Max Liebermann ein. Max verstarb 1935, Martha ist in den letzten acht Jahren ihres Lebens den Anfeindungen der Nazis ausgesetzt. Neben einer Biographie zeichnet der Roman ein ausgezeichnetes Bild der Zeit, er erzählt von Werten und Traditionen, die von deutschen "Helden" mit Füßen getreten werden.

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Kristiane Kondrat:

Abstufung dreier Nuancen von Grau

Eine Ich-Erzählerin reflektiert ihr Leben in der neuen und in der alten Heimat. Dabei verwischen innere und äußere Realität, Träume und Erinnerungen, verschiedene Zeitebenen fließen ineinander - nichts ist gewiss in einem Leben, das im Exil stattfindet.

Das Buch trägt autobiographische Züge, doch der Text, der von Isolation, Verwirrung und Ängsten erzählt, ist nicht nur die Beschreibung eines Einzelschicksals zu einer bestimmten Zeit. Der Roman ist zeitlos und ohne Bindung an Orte. 

Er erzählt in sehr poetischer Sprache vom existenziellen Verlust der Heimat, in der alles zurückgelassen wird, außer der eigenen Ohnmacht. 

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Boris Poplawski: Apoll Besobrasow

Besobrasow ist ein ungebundener Geist, einer, der ausschließlich seiner eigenen inneren Stimme folgt, weder Vergangenheit noch Zukunft kennt, sondern in einer Art ewiger Gegenwart lebt - das klingt nach großer Freiheit,

in Wahrheit ist es Entwurzelung und Verlorenheit. Er ist ein russischer Exilant in den zwanziger Jahren in Paris, wie auch die anderen jungen Menschen, die sich um ihn herum einfinden, und für eine begrenzte Zeit eine feste Gruppe, eine Schicksalsgemeinschaft, bilden. Der Zufall

trägt sie von Paris aus an den Gardasee, doch auch dort,

in den Bergen, finden die schwebenden Geister keine Ruhe.

Olga Radetzkaja hat die expressive, lyrische Sprache  vortrefflich ins Deutsche übertragen, das Buch schillert und leuchtet in allen Farben.

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Marilina Giaquinta: Malanotte

Stimmen in der Nacht

Die Dichterin Marilina Giaquinta gibt den Einsamen, den Gestrandeten, jenen, die an der Schwelle zwischen Leben und Tod existieren, eine Stimme. Ihre Mikro-Erzählungen sind ruhig, fast innig, fühlen sich mit viel Empathie in die Menschen ein und reflektieren deren Gefühle und Gedanken mit großem poetischen Können. Sie kreiert eine eigene Sprache, die mehr transportiert als den Inhalt und damit nicht Mitleid, sondern Sympathie schafft - eine außergewöhnliche Gabe.

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Ekaterine Togonidze:

Einsame Schwestern

Lina und Diana teilen sich einen Körper, ansonsten sind die siamesischen Zwillinge sehr unterschiedlich. Eines haben sie gemeinsam: die Liebe zu ihrem Tagebuch. Eine jede hat ihr eigenes Heft, dem sie Gedanken, Träume, Wünsche und Ängste anvertraut. Aus diesen beiden Stimmen setzt Ekaterine Togonidze ihren beeindruckenden Debütroman zusammen, zu dem sich als weitere Perspektive der Vater der Mädchen gesellt. Er erfährt von ihrer Existenz aus einem Beileidsschreiben des Krankenhauses. Es dauert lange, bis er glaubt, dass wirklich er der Vater dieses "Monsters" ist und erst, als er die Tagebücher ausgehändigt bekommt, erfährt er, wo und wie Lina und Diana lebten und was sie in den Tod trieb. Die Kernaussage des Romans ist:

die eigentliche Katastrophe im Leben von Lina und Diana ist nicht ihre körperliche Statur, nicht die Tatsache, dass sie siamesische Zwillinge sind, die Katastrophe sind die "Menschen draußen". Diese Aussage lässt sich keineswegs auf Georgien, wo dieser Roman spielt, beschränken.

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Laura Freudenthaler:

Die Königin schweigt

Leise, zart, feinsinnig, nur vorder-gründig schlicht, erzählt Laura Freudenthaler das Leben Fannys.

Deren Kindheit in den 1930er-Jahren auf einem Hof, ihr Leben als Frau des "Schulmeisters" im Dorf, ihre lange Zeit als Witwe, ihr schwieriges Verhältnis zu ihrem einzigen Sohn - vor allem aber ihre Bemühungen, die Vergangenheit fern zu halten. Doch immer stärker bahnen sich die Erinnerungen ihren Weg, in Träumen und Tagträumen, in Gestalten, die umher huschen, in Episoden, die sich in die Gegenwart schieben. Für Fanny ist die Wirklichkeit aus verschiedenen Ebenen gefügt und der Mensch "in seinem Leben immer mehrere." Laura Freudenthaler versteht es meisterhaft, diese Ebenen

zu beleuchten und brillant zu beschreiben.

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Dagny Juel: Flügel in Flammen

Ein Gesamtwerk von 90 Seiten, geschrieben von einer jungen Frau am Ende des 19. Jahrhunderts, nun erstmals auf Deutsch publiziert - ist das heute noch lesenswert? Das ist es, denn Dagny Juel entwirft Frauen, die weder gut noch gütig sind, die sich weigern,

in die vorgegebenen Muster zu passen,

die genauso von Leidenschaften

gequält werden wie Männer, die keine Moral kennen, die

sich schuldig machen und die Schuld auch annehmen - sie zeichnet Frauen, die Menschen sind, keine Ideale.

Ihre Kurzprosa, Lyrik und Dramen atmen die Atmosphäre ihrer Entstehungszeit, sie stellen die inneren Konflikte ihrer Figuren dar, sie sind, wie Juels Leben, von Widersprüchen und Ambivalenzen geprägt. Sie sind Kinder ihrer Zeit und zugleich zeitlos wie antike Tragödien.

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 Franz Hessel: Der Kramladen des Glücks

Franz Hessel begleitet in seinem ersten Roman aus dem Jahr 1913 seinen Helden Gustav Behrendt von der Kindheit in Berlin bis in die Studentenzeit, die er in der Münchner Bohème verbringt. Gustav ist ein Träumer, ein Zuschauer, einer, der weder Pläne noch Strategien verfolgt. Er ist kein moderner Mensch, dieser weiß, was er will.

Dingen wie Menschen begegnet Gustav mit großem Interesse, doch dieses bezieht sich niemals auf Besitz.

Er möchte alles und alle in ihrem Eigenen belassen und betrachten. Er nimmt sich nicht wichtiger als die Welt,

die er in universeller Offenheit in sich aufnimmt - es ist klar, dass er nicht in die bürgerliche (Arbeits)Welt passt.

In seinem Suchen und dem Bestreben "ein Mensch" zu werden oder zu bleiben ist er ein Fremder. Ein faszinierender Mensch, Held eines Romans, der Ereignisse und Strömungen seiner Zeit benennt und doch etwas Überzeitliches hat,

der große Fragen stellt ohne theoretisch zu sein, der etwas Schwebendes und zauberhaft Märchenhaftes hat.

Der Roman ist stark autobiographisch geprägt, zugleich ist

er ein freier Daseinsentwurf. Und ein großes Leseglück!

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Vicente Valero: Übergänge

Die Beerdigung eines Jugendfreundes des Ich-Erzählers gibt ihm Anlass,

über gemeinsam erlebte Ereignisse der Kindheit und Jugend nachzudenken. Auch dem eigenen Leben nachzu-spüren und der Geschichte der Insel Ibiza, der Heimat der Freunde (und des Autors). Keineswegs sentimental unternimmt der Erzähler diese Reise

in die Vergangenheit, er verwebt sie in die ganz aktuelle Szenerie von Kirche, Friedhof, Bar  - übergangslos von einem Satz zum nächsten in eine andere Zeit wechselnd, erzählt er von den Übergängen, die ein Leben prägen, durch das er flaniert, wie durch eine "Erinnerungslandschaft".

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David Bosc: Ein glückliches Exil

Courbet in der Schweiz

Der Maler und Kommunarde Gustav Courbet verbringt die letzten vier Jahre seines Lebens im Schweizer Exil.

Er kann dort all das tun was er liebt: malen, baden, trinken, prassen, feiern. David Bosc rückt seinem Protagonisten zu Leibe, er spürt die Quellen auf, die die Malerei speisen, er entwirft ein Leben, das sich nicht bremst, das sich ins "Grosse Ganze" wirft, das die Freiheit des Lebens darin findet, sich selbst zu regieren. Bosc eröffnet einen neuen Blick auf den Maler, der den Realismus "erfand".

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Ursula Muscheler:

Mutter, Muse und Frau Bauhaus

Hier steht nicht der Direktor des Bauhauses im Mittelpunkt, sondern fünf Frauen, deren Leben und Geschick eng mit Walter Gropius verknüpft waren. Alle, bis auf die Mutter Manon, versuchten, ein eigenes Leben als Künstlerin zu führen, brachen auf, fügten sich jedoch nach Rückschlägen wieder in die alten Rollenmuster ein. Als "Übergangsgeschöpfe" sind sie jene,

die nicht in der vordersten Reihe der Feministinnen stehen, aber genau das macht sie heute noch so interessant.

Denn ein Übergang in die Zukunft kann sich in einen Rückfall in die Vergangenheit umkehren. 

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Anne von Canal: Der Grund

Lawrence Alexander ist Pianist auf einem Kreuzfahrtschiff. Dies ist eine Art zweites Leben, denn er wurde in eine groß-bürgerliche Familie hineingeboren, trug den Namen Laurits Simonsen und hatte einen ganz anderen Beruf.

Der Leser erfährt die Geschichte, die im Jahr 2005 spielt und Rückblicke in die Vergangenheit wirft, nach und nach und kann sich so das Bild eines Menschen zusammen setzten, der mehr als einmal ganz von vorn angefangen hat. Psychologisch fein gezeichnet und in einer bilderreichen Sprache erzählt, ist dieses Debüt ein sehr gelungener Roman, der die Frage aufwirft, wie oft ein Mensch neu beginnen kann - und ob es möglich ist, der Vergangenheit ewig auszuweichen.

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Vera Brittain:

Vermächtnis einer Jugend

Die Autobiographie einer der wichtigsten britischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts umfasst die Jahre 1900-1925. Sie erzählt vom Kampf um Aufnahme am College in Oxford 1914, von ihrer ersten Liebe Roland, der in den Krieg zog und wie viele ihrer Freunde und auch ihr Bruder Edward, nicht zurückkehrte. Die junge Literaturstudentin unterbrach ihr Studium und arbeitete volle vier Jahre als Kranken-schwester in London, auf Malta und in Nordfrankreich,

sie erlebte das Grauen, das der Krieg über Europa gebracht hatte in einer Art, die sie fast zur Verzweiflung trieb. Diese Erlebnisse wurden jedoch zum Ansporn, sich konsequent mit all ihrer Kraft dem Pazifismus und Internationalismus zu widmen. Nach dem verspätet abgeschlossenen Studium unterrichtete Vera Brittain Geschichte, hielt Vorträge, war

als Journalistin tätig, schreib Essays und Romane.

Damit kämpfte sie für den Frieden und für die Rechte der Frau, für die Menschenrechte also.

In ihrem Buch schildert sie ihre persönlichen Erfahrungen, die sie mit den historischen Ereignissen verknüpft und erschafft so ein einzigartiges Zeugnis - zeitgeschichtlich wie literarisch. Und eines der wenigen aus weiblicher Sicht.

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Stefan Zweig: Buchmendel /

Die unsichtbare Sammlung

Zwei Novellen aus Kriegs- und Nachkriegszeiten, als die Welt sich wandelt und zur "neuen Zeit" wird.

Ein Sammler, der nicht weiß, dass er auf leeres Papier schaut und ein Buchhändler mit einem "dämonisch unfehlbaren" Gedächtnis sind die Protagonisten, die von dieser neuen Zeit betrogen werden. 

Die Erzählungen sind nicht nur illustriert, viel eher trifft zu,

dass sie durch die Zeichnungen dramatisiert und in ihrer Tiefenstruktur freigelegt werden. Das wunderschöne Buch, das nebst den Texten und Illustrationen über ein fundiertes Nachwort, ein Werkverzeichnis und den letzten Text

Stefan Zweigs verfügt, ist zudem auf feinstem Papier gedruckt und mit rotem Faden geheftet - das Buch lässt

keine Wünsche offen.

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Ré Soupault: Nur das Geistige zählt

Vom Bauhaus in die Welt. Erinnerungen

Weimar, Berlin, Paris, Tunis, New York, Basel und immer wieder Paris.

Malerin, Filmemacherin, Modedesignerin und Unternehmerin, Fotografin, Schrift-stellerin und Übersetzerin.

Ré Soupault, 1901-1996,  lebte an vielen Orten, kannte die wichtigsten Avantgarde-Künstler des Jahrhunderts, übte diverse Tätigkeiten aus, begann immer wieder von Neuem - und hörte nie auf, genau zu beobachten. Ihr Blick ist präzise und aufmerksam, geprägt von Menschlichkeit und der Achtung vor dem anderen. Ihre Erinnerungen geben einen unvergleichlichen Einblick in die Welt des 20. Jahrhunderts.

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Charlotte Perkins Gilman:

Die gelbe Tapete

Eine junge Frau soll sich auf Wunsch ihres Mannes nach der Geburt des ersten Kindes in einem abgelegenen Haus erholen. "Ruhekur" nennt sich

die Behandlung, die jede körperliche oder geistige Betätigung verbietet.

Sie wird in einem ramponierten ehemaligen Kinderzimmer im obersten Stock einquartiert, die Fenster sind vergittert, die Tapete ist unglaublich hässlich. Diese Tapete und die Erforschung ihres Musters wird jedoch zur einzigen Beschäftigung der Ich-Erzählerin, die langsam dem Wahnsinn verfällt. Die Schauergeschichte, die an die Erzählungen E.A. Poes erinnert, ist zugleich ein flammendes Plädoyer für die Rechte der Frau. Für das Recht auf Phantasie, geistige Tätigkeit und Selbstbestimmung.

Ein Schlüsseltext der amerikanischen Literatur.

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Robert Scheer: Der Duft des Sussita

Mit Witz und scharfem Blick beschreibt Robert Scheer das komplizierte und vielschichtige Leben in Israel.  Zwischen politischer Theorie, gesellschaftlicher Utopie und dem täglichen Leben mit all seinen Verrückheiten, zwischen Theodor Herzl und dem Schweinefleischliebhaber Onkel Sauberger, zwischen Weinen und Lachen pendeln die zwölf Erzählungen, die alle miteinander verbunden sind. Alle schildern mit unvergleichlich warmem Humor die Widersprüchlichkeit und Vielfalt des Lebens in einer geographischen Region, in der es ganz anders zugeht als in Europa.

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Helen Simpson: Nächste Station

Simpsons Protagonisten sind um die Fünfzig, angekommen im "Gleitsicht-brillenalter". Der Blick wandert in die Vergangenheit, Kuchen backen kann eine hoch emotionale Angelegenheit werden, die Kaskaden an Erinnerungen auslöst. Die ersten Zipperlein machen sich breit, nächtliche Unruhe, täglicher Umgang mit dem nicht mehr zufrieden stellenden Blick in den Spiegel. Was ist und was kommt jetzt noch? In neun Erzählungen spürt die Autorin diesen Fragen nach, weder weh-noch schwermütig, sondern mit klarem Blick, mit Witz und Ironie, mit Empathie und großem Geschick, persönliches Empfinden mit den Anforderungen der Welt zu verknüpfen.

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Celeste Ng: Kleine Feuer überall

Das Haus der Richardsons brennt ab. 

Und alle sind sich sicher: das war Izzy, die jüngste, und von allen für verrückt gehaltene, fünfzehnjährige Tochter.

Die nach außen hin perfekte Familie wird anderen Formen von Familie und Zusammenleben gegenübergestellt:

der allein erziehenden Mia und ihrer Tochter Pearl, den Adoptiveltern McCollough, der jungen Bebe, die ihre Tochter weggegeben hatte, einem Ehepaar, das beide Kinder verloren hat - die Frage, was macht Familie aus: Biologie oder Liebe? ist eine Frage, die der Roman durchspielt. Dahinter stehen Überlegungen zur Planbarkeit des Lebens, zur Ordnung als solche, zu den erloschenen Funken in eingezwängten Herzen, zu Toleranz und Offenheit, zur Sprengkraft der Kunst und Menschlichkeit. "Manchmal muss man ganz von vorne anfangen. Manchmal muss man alles abbrennen..." Celeste Ng entwickelt sehr plastisch und überzeugend unterschiedlichste Charaktere und legt verschiedene Spuren, die zeigen, wie vielen Gefahren ein Leben ausgesetzt ist.

Wie wenig "Gelingen" geplant werden kann...

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Wilson Collison:

Tod in Connecticut

Nolya ist intelligent, schön, Millionenerbin. Sie steht im Ruf, ein "Flittchen" zu sein, dabei legt

sie hohe ethische Maßstäbe an sich selbst an. Die Freiheiten, die sie sich nimmt, kollidieren jedoch mit den Vorstellungen der New Yorker Gesellschaft am Anfang der 1920er-Jahre. Aber sie ist nicht bereit, wie eine Marionette

an Fäden gezogen zu werden. Im ersten Teil des Romans

sind Liebe, Leidenschaft, Gesellschaft, Konventionen und Freiheit die Themen, im zweiten Teil erhält der Roman eine unerwartete Erweiterung. Plötzlich stehen Recht und Gerechtigkeit, Manipulationen und Ausnutzung persönlicher Macht und gesellschaftlicher Stellung im Fokus.

Diese werden nicht theoretisch abgehandelt, sondern sind eingebettet in die abgründige Geschichte Nolyas und ihrer Suche nach Liebe.

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Lewis Grassic Gibbon:

Lied vom Abendrot

Dieser großartige Roman spielt zwischen 1912 und 1919 und erzählt

das Leben der Chris Guthrie bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Jahr.

Mit dem Ersten Weltkrieg verändert sich auch das kleine Dorf Kinraddie im Nordosten Schottlands, der Heimat von Chris. In einer ganz eigenen Sprache, deren Tonfall und Rhythmus den Text tragen und die kongenial ins Deutsche übersetzt wurde, berichtet er von den zwei Chris´: der einen, die lernen und selbst Lehrerin werden möchte, und der anderen, die sehr am Land und dem Leben auf dem Bauernhof hängt. Der Roman erzählt von Chris und der Gesellschaft, in der sie lebt und davon, wie sich diese wandelt und eine Epoche unwiederbringlich zu Ende geht. Dieses "Lieblingsbuch der Schotten" ist ein in jeder Hinsicht unkonventioneller Roman, der lokal verankert, aber kein bisschen provinziell ist.

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Edith Wharton: Die verborgene Leidenschaft der Lily Bart

Lily Bart, eine unvergleichlich schöne und anmutige Frau um die dreißig, sucht Anschluss an die beste Gesellschaft. Sprich: sie sucht einen Ehemann, der ihr Bedürfnis nach Luxus befriedigen kann, denn die Erfahrung plötzlichen Verarmens nach der Pleite ihres Vaters hat sie um so empfänglicher gemacht für alles Schöne. Sie ist Teil der glamourösen Welt, bis sie durch eine Intrige von ihren sogenannten Freunden fallen gelassen wird. Sie wird zu einer tragischen Heldin, zu langsam löst sie sich von ihrer bisherigen Vorstellung vom Leben, zu wenig traut sie ihren eigenen Gefühlen. Whartons Roman ist Entwicklungs- und Gesellschaftsroman, Liebesgeschichte, Charakterstudie, Porträt und Sittengemälde - glänzend geschrieben, psychologisch fein gezeichnet, unterhaltsam und spannend. Er ist ein Juwel und kein bisschen angestaubt.

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Rita Indiana: Tentakel

Acilde hat zwei Ziele: Chefkoch und ein Mann werden. Argenis möchte als Künstler reüssieren. Giorgio Menicucci möchte seiner Frau Linda helfen,

das Meer zu retten. Sie leben in der Dominikanischen Republik der Zukunft, doch der Roman hat seine Wurzeln im 17. Jahrhundert.

Er ist ein bunt zusammengesetztes Puzzle mit Teilen aus Religion, Umweltzerstörung, Geschichte der Karibik, Identitäts- und Genderfragen, bildender Kunst und Musik. Die Realität wird ständig durchkreuzt von der Vergangenheit, in Wahrheit sind diese gar nicht zu trennen. Wie die Kunst, die in der Lage ist,

Raum und Zeit hinter sich zu lassen und Entferntestes zu überbrücken, kreuzen sich in diesem Roman die Wege multibler Ichs. Was die Beantwortung der Frage: Wer ist ich? nicht gerade erleichtert, dem Leser aber eine sehr vielfältige und kompromisslos moderne Geschichte beschert, die frei und unverblümt mischt, schichtet, verflüssigt und vor nichts zurückschreckt.

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Alasdair Campbell: Der Junge aus Ness

Colin Murray wächst in den 1950er und 60er- Jahren auf den Äußeren Hebriden auf. Die karge Landschaft, Arbeit und Armut bestimmen das Leben der Menschen. Aber auch das weit verzweigte Verwandtschaftsgeflecht,

die Geschichten und Lieder, die den Menschen ihre Identität geben. Als Colin das Dorf Ness verlässt, um die Schule in Stornoway und später die Universität in Aberdeen zu besuchen, verlässt er nicht nur die Insel, sondern die Gemeinschaft, die ihm Wurzeln gab. Er gerät in eine Abwärtsspirale, es bleibt am Ende offen, ob Colin sich aus dieser befreien konnte. Alasdair Campbell, ebenfalls von der Insel Lewis, zeichnet ein genaues Gemälde des Lebens am Rand Europas. Die Stimme eines Erzählers, der auf das Geschehen blickt, wird abgelöst durch den Ich-Erzähler,

der in Briefen sein Leben erzählt. Damit verwebt er sehr geschickt Vorder- und Hintergrund sowie das Individuum mit der Gemeinschaft. Sein Held Colin führt in seinen Briefen die Tradition des Geschichtenerzählens fort, das ist eine letzte Bindung an seine Heimat.

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Bianca Bellová: Am See

Diese wuchtige Coming-of-Age-Geschichte erzählt das Schicksal Namis, der weder seine Mutter noch seinen Vater kennt. Nach dem Tod der Großmutter verlässt er als Dreizehn-jähriger das Dorf am See und geht in

die Hauptstadt. Auf der Suche nach der Mutter und einem besseren Leben.

Sein Schicksal ist extrem hart, Bellová erzählt es bildstark, direkt und in einer glasklaren Sprache. Sie knüpft an den existenzialistischen Gedanken des Geworfen-Seins an - das Leben verlangt Nami alles ab. Bellová erzählt dieses "alles" beeindruckend gut.

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Céline Minard: Das große Spiel

Eine Frau kauft sich ein 20 Hektar großes Gebiet in den Bergen. Dort lässt sie eine "Lebensröhre" bauen, in der sie völlig autark ist. Sie will herausfinden, ob man "im Abseits" leben kann.

Sie ist den Elementarkräften der Berge ausgesetzt, genauso all dem, was die Einsamkeit freisetzt. Doch zu einem Spiel - und das ist das Leben für sie - gehören zwei, man kann nicht mit sich selbst spielen,

sich nicht selbst überraschen. Sie scheint auch wirklich

nicht ganz alleine zu sein. Ob das Wesen, das dort in den Bergen haust, eine Geburt ihrer Phantasie ist oder jener Spielpartner, mag der Leser entscheiden.

Auch er muss sich einlassen auf dieses Spiel, das schließlich in die Leere zwischen zwei Berggipfel gespannt wird.

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Volker Kaminski: Rot wie Schnee

Der Maler Tom Lautenschläger malt nach einer zweijährigen Schaffenskrise ein überwältigendes Bild, den "Jungen im Schnee." Dieses Bild symbolisiert die Schrecken der Flucht. Es ist der Auftakt zu einer Grauen Serie, die die Nach-kriegszeit ins Bild setzt. Diese Zeit mit ihren Aggressionen und ihrem Druck lastete auf der Seele des Malers, wie der Krieg selbst auf seinem Vater.  Dieser sucht den Maler in seinen Träumen heim, sie verstehen sich in diesen Träumen so wenig wie in der Realität. Nach vielen weiteren Bildern, in denen Tom die Themen Krieg/Flucht, Familie und Heimat  bearbeitet, schließt sich für Tom mit der Darstellung eines alten Mannes der Kreis. Er kann seine eigenen Erinnerungen von den "geerbten" lösen und erst damit endet für ihn die Nachkriegs-zeit. Der vielschichtige psychologische Roman ist auch eine Auseinandersetzung mit der Kunst als Forschung und Arbeit. In leichter und flüssiger Sprache lässt Kaminski den Leser einem Künstler bei der Arbeit zuschauen, dabei gibt er dem Menschen und den Bildern Raum und Stimme.

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Dorothy Baker: Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft

Rick Martin ist mit vierundzwanzig Jahren auf dem Höhepunkt seines Ruhms angekommen: er ist der beste Jazz-Trompeter der Welt. Begonnen hat er als Pianist in Los Angeles, doch sein Instrument ist die Trompete, die

er in diversen New Yorker Orchestern spielt. Und vor allem nach der Arbeit im Orchester, wenn für ihn die wirkliche Art, Musik zu machen beginnt. Frei, ohne Rücksicht auf das Publikum,

mit Musikern, die auf die gleiche besessene Art spielen.

In seinem Leben gibt es nichts, das längere Zeit Bedeutung hätte - außer der Freundschaft zu Smoke und wenigen anderen schwarzen Musikern, mit denen der weiße Rick zusammenspielt. Sein Talent verschlingt schließlich sein Leben. Er trinkt immer mehr - was sein Spiel nicht beeinträchtigt - sein Leben aber mit nicht einmal dreißig Jahren beendet. Bakers Roman ist phantastisch komponiert: um das Grundthema herum führt sie so viele Gedanken aus, dass eine komplexe Melodie, ein unverwechselbarer Sound, ein variantenreicher Rhythmus entsteht, der dem Sog des Jazz in keiner Weise nachsteht.

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Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

Das Universalgenie Humboldt prägte unsere heutige Vorstellung von der Natur wie kein Zweiter. Er konnte beweisen, dass die Natur ein großes Geflecht ist, in dem alles mit allem zusammen hängt. Sehr früh erkannte er auch, dass dieses System ein verletzliches ist: jeder Eingriff des Menschen hat Folgen. Ausgedehnte Forschungsreisen, Kontakte zu Wissenschaftlern auf der ganzen Welt, nicht endende Wissbegier, Mut, Phantasie und Einfühlungs-vermögen waren seine Methoden der Weltaneignung. 

Andrea Wulf untersucht die Quellen, aus denen Humboldt sich speist. Sie zeichnet seine Entwicklung als Wissen-schaftler und als Mensch auf, sie stellt seine Erkenntnisse vor, und berichtet von den Einflüssen, die er auf nach-folgende Wissenschaftler(generationen) und auf die Weltsicht jedes Einzelnen hat. Sie zeichnet das Bild eines einzigartigen und faszinierenden Mannes, der nicht hoch genug geschätzt werden kann. Mit ihrem Buch, das so viele Facetten in sich vereinigt, gelingt ihr ein ganz großer Wurf, zumal sie sich nicht in all den Einzelheiten verliert, sondern stets das große Ganze im Auge hat und sehr anschaulich und gut erzählen kann.

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Arthur Miller (Text) & Franziska Neubert (Illustrationen): Fokus

Das Leben Lawrence Newmans,

eines Mannes von knapp fünfzig Jahren, verändert sich schlagartig als dieser eine Brille bekommt. Plötzlich sieht er aus wie ein Jude, d.h. plötzlich gehört er nicht mehr dazu. Er verliert seine Arbeit, sein Ansehen, ist Anfeindungen ausgesetzt, schließlich gewalttätigen Übergriffen. Im Lauf der Zeit verschafft ihm die Brille jedoch einen genaueren Blick auf die Realität, als er ihn jemals hatte. Dieser setzt einen Entwicklungsprozess in Gang, der ihn erkennen lässt, dass es nicht wichtig sein sollte, zu "welcher Rasse ein Mensch gehörte." Der 1945 erschienene und im letzten Kriegsjahr in New York spielende Roman bricht mit einem Tabu: er thematisiert den Antisemitismus in Amerika und er ist heute noch immer oder wieder von erschreckender Aktualität. Daneben ist er ein glänzendes literarisches Werk, das mit einer dichten Struktur sehr tief in die Seele eines Individuums und die einer Gesellschaft hineinführt.

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Frans Eemil Sillanpää: Jung entschlafen

Nachdem Kustaa seinen ererbten Hof verkaufen musste und seine Frau kurz darauf stirbt, bleibt er alleine mit seiner Tochter Silja zurück. Silja ist gerade sechzehn, da stirbt auch Kustaa, Silja ist nun auf sich selbst gestellt und verdingt sich als Magd auf verschiedenen Höfen. Nur ein Jahr, nachdem sie eine erschütternde erste Liebe und Trennung erlebt hat, stirbt Silja, nur zweiundzwanzig ist sie geworden. Soweit der Plot. Der finnische Nobelpreisträger Sillanpää (1888-1964) beschreibt die Natur - die sichtbare äußere und die von ihm sichtbar gemachte innere - so präzise, fein und warmherzig, er zeichnet von allem und allen so lichte Bilder, dass der Leser sofort Zugang zu und Sympathie für diese vergangene Welt findet und empfindet. Die Einsamkeit und Traurigkeit, aber auch die Freude und Zufriedenheit mit Wenigem, das unbewusste Wissen um das Werden und Vergehen in der Natur und im Leben ist diesen einfachen Menschen eigen. Dies bewahrt sie davor, mit dem Schicksal zu hadern. Dem Leser bescheren sie einen tiefen Blick in eine zugleich nahe und ferne Zeit. 

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Anne Cuneo:

Der Eiskönig aus dem Bleniotal

Carlo Gatti verlässt als Zwölfjähriger sein Dorf im Tessin. Achtzehn Jahre wird er in Paris leben, wo er Maroni und Waffeln verkauft, dann zieht er weiter nach London, wo er das gesellschaftliche Leben erneuert. Womit? Mit einer ganz neuen Kaffeehauskultur.

Er richtet Cafés ein, denen nichts Anrüchiges anhaftet, die gute Speisen und vor allem Eiscreme anbieten.

Dieses Eis wird zur Grundlage seiner Geschäfte, die sich

bald auf Restaurants, Music Halls und Theater ausdehnen.

Außerdem importiert Gatti Eis aus Norwegen und verkauft dies an Lebensmittelhändler. Zum Speiseeis gesellt sich

das Rohprodukt, das ihn dann richtig reich macht. 

So geschäftstüchtig er ist, sein Herz ist aus Gold: schon

als er noch nichts als Schulden hat, setzt er sich für die Schwächsten ein. Unter anderem für Nick, einen Sechs-jährigen, den er auf der Straße aufliest und in die Familie aufnimmt. Dieser schmächtige Junge entwickelt sich zu einem gefragten Ingenieur, der auch die Lebensgeschichte seines Ziehvaters aufschreibt. In Form einer Doppel-biographie und vor sehr präzise gezeichnetem Hintergrund der Zeitgeschichte. Der Leser begegnet in diesem Roman

dem London des 19. Jahrhunderts, das den Geist Charles Dickens atmet. 

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Jonas T. Bengtsson: Kugelfisch

Sus, ein neunzehnjähriges Vorstadtkind, erlegt sich selbst Tests auf, mit denen sie sich abhärten will. Sie hat etwas Wichtiges vor, was, erfährt der Leser erst ganz am Ende. Klar ist, dass sie ihre Willensstärke trainieren will und aufhören, über gut oder böse, richtig oder falsch, nachzudenken. 

Sie lebt vollkommen alleine, klaut, dealt, kifft. Sie ist Teil der untersten Gesellschaftsschicht und hat in dieser knallharten Welt absolut keine Geborgenheit erfahren, sie weiß nicht, was eine Familie, ein Zuhause sein kann. Bengtsson schaut ganz schonungslos in diese Welt, und zeigt, was eine solche Umgebung aus Menschen macht.

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Charlotte Perkins Gilman:

Diantha oder der Wert der Hausarbeit

Um nicht ewig mit der Hochzeit warten zu müssen, beschließt die 21-jährige Diantha Geld zu verdienen. Sehr zum Entsetzen ihres Verlobten und auch ihrer Familie. Doch sie lässt sich nicht von ihren Plänen abbringen und erarbeitet sich in relativ kurzer Zeit wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Sie gründet ein Unternehmen für Dienstleistungen im Haushalt. Damit befreit sie die bürgerlichen Frauen von

der Führung eines Haushaltes und  macht aus rechtlosen Dienstmädchen selbstbewusste Angestellte.

Die konkrete Utopie beschreibt ein Geschäftsmodell,

das zugleich ein Sozialmodell ist, das funktioniert und die Gesellschaft verändert, zum Wohle aller, nicht nur der Frauen. Der 1910 erschienene Roman der Frauenrechtlerin Perkins Gilman zeichnet auf, wie ein Frauenleben aussehen kann, das nicht mehr unter männlicher Vorherrschaft steht.

Diantha gelingt es, ihre Träume umzusetzen und macht anderen Frauen Mut, ihr zu folgen.

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Daniel de Roulet:

Zehn unbekümmerte Anarchistinnen

Im Jahr 1873 verlassen zehn junge Frauen ihr Tal im Schweizer Jura,

um sich in Südamerika ein neues Leben aufzubauen. Eines in Freiheit, denn sie sind Anarchistinnen. Ohne Männer, aber mit einigen Kindern, kommen sie nach monatelanger Überfahrt an, Punta Arenas kann die Erwartungen nicht erfüllen. Sie ziehen weiter, schließen sich einem anarchistischen Experiment auf einer kleinen Insel an. Auch diese ist nicht die Endstation.

Es geht weiter nach Argentinien, wo sich die Verbliebenen radikalisieren. Mittlerweile sind sie nur noch zu viert,

was nicht an Streitereien in der Gruppe lag. Wichtig die Erkenntnis am Ende: "Was zählt, ist nicht, die anarchistische Utopie zu verwirklichen, sondern Anarchistin zu sein."

De Roulet hat einen beachtlichen Roman, der auf Tatsachen beruht, geschrieben, der Schwierigkeiten nicht verschweigt, aber niemals der Verzweiflung das Heft in die Hand gibt.

Das behalten die unbekümmerten Anarchistinnen! 

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Vicente Valero: Die Fremden

Vicente Valero spürt vier "fremden Verwandten" seiner Familie nach.

Es sind Männer, die früh weggingen und niemals wieder ganz nach Hause zurückkehrten. Weil sie, wie Ramon Chico, nicht aus dem Exil zurück kommen konnten, oder, wie Carlos Cevera, auch nach Jahrzehnten nicht in die Inselgesellschaft passten. 

Aus "Schatten" und "Erinnerungslandschaften" setzt Valero mit großer poetischer Kraft und viel Vorstellungsvermögen ein Bild seiner Familie zusammen, das sehr bewegend die einzelnen Personen, wie auch die Zeitläufe, aufzeichnet.

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Émilie de Turckheim: Popcorn Melody

Tom hat Literatur studiert, doch nun betreibt er einen kleinen Supermarkt.

Er verkauft nur das Allernötigste, nimmt nebenbei aber auch noch auf dem alten Barbierstuhl seines Vaters die Sorgen der Dorfbewohner ab. Er schreibt Haikus in Telefonbücher und versucht in der Steinwüste irgendwo in der amerikanischen Provinz zu überleben. Das wird noch schwieriger, als direkt gegenüber ein großer Supermarkt eröffnet. Der Besitzer: Buffalo Rocks, eine Popcorn Fabrik und der einzige große Arbeitgeber weit und breit. Ausgestattet mit unglaublichem Humor und voller Selbstironie meistert Tom sein Leben. Doch es geht in diesem mit vielen schrägen Charakteren bevölkerten Roman nicht nur um Tom, es geht auch um Recht, Gerechtigkeit, Würde, Freundschaft und die Liebe.

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Peter Wawerzinek: Ich-Dylan-Ich

Der Schreiberling Wawerzinek (so nennt er sich) reist auf den Spuren des Dichters Dylan Thomas durch Wales. Vierzehn war er, als er die Gedichte Thomas zum ersten Mal im Radio hörte, gelesen vom Dichter selbst. Sofort verfiel er dieser Stimme, die nie mehr aufhören sollte, ihn zu begleiten. Das Buch ist die Beschreibung einer Suche: nach dem Dichter Thomas, dem Land Wales mit seiner Weite und den engen Ortschaften, nach der Dichtung an sich und über die Suche nach sich selbst. Peter Wawerzinek reflektiert sein eigenes Leben und Schreiben im Leben des walisischen "Dichterkönigs" - er hat aber keine distanzlose Lobpreisung verfasst, sondern einen durchweg an vielen Stellen gebrochenen Text. Und dies in dem Rhythmus, den er in sich trägt, seit er in Wales war. Das ist ein fließender, ruhiger, überzeugender.

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Nina Jäckle: Stillhalten

Otto Dix porträtiert 1933 die 21-jährige Tänzerin Tamara Danischewski.

Diese ist Schülerin von Mary Wigman, abends tanzt sie im Kabarett, um für sich und ihre Mutter den Lebensunterhalt zu verdienen. Nur drei Jahre, nachdem sie Dix Modell stand, heiratet sie, nicht zuletzt auf Drängen der Mutter, einen reichen Mann. Die Sicherheit hat ihren Preis: er verbietet

ihr das Tanzen. Tamara gehorcht und hält still.

Der Roman, der sich frei an das Leben der Tänzerin hält, besteht aus den Gedanken der Zurückblickenden.

Sie ist die personifizierte Einsamkeit, die in freiem Fluss der Erinnerungen ihr Leben Revue passieren lässt.

Ein Leben, das die Möglichkeit zur Freiheit verschenkte. 

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Hanns-Josef Ortheil: Faustinas Küsse

Als "Filippo Miller, Maler" trägt

Goethe sich in die Liste der Behörden ein, als er 1786 die Stadt Rom betritt.

Er will unerkannt bleiben. Doch der junge Giovanni Beri heftet sich an

seine Fersen, er ist ein Spion im Dienste Seiner Heiligkeit. Er wird zu Goethes Schatten, verfolgt ihn auf Schritt und Tritt und macht sich zur Aufgabe, diesem grüblerischen und zu viel redenden Nordmenschen römische Lebensart beizubringen. Das heißt nichts anderes, als ihn dem Leben zurückzugeben. Denn dass Goethe an einer schweren Krankheit leidet bemerkt Beri sehr schnell. Womöglich an unerwiderter Liebe? Die kann nur durch die Liebe einer echten Römerin geheilt werden. Die Geschichte entwickelt sich nicht ganz so, wie Beri es sich vorgestellt hat, aber eines ist sicher: die Wiedergeburt des Dichters findet nicht durch die Begegnung mit der Antike statt. Der Leser sieht den "Fremden" durch die Augen des jungen Mannes,

der einen unverstellten Blick hat und es liebt zu fabulieren.

Er ist ein wunderbarer Einfall des Dichters Ortheil, der ein federleichtes Buch voller Ironie und Überraschungen geschrieben hat, das bezaubert durch die Seelen-verwandtschaft zweier Menschen, die eigentlich getrennt durch Standesgrenzen nichts miteinander zu tun haben dürften. Dabei sind sie durch Literatur und Leben

aufs Engste verbunden. 

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Fiona Kidman: Jean Batten, Pilotin

Jean Batten war die "Garbo der Lüfte": eine sehr attraktive junge Frau, die in den 1930er Jahren diverse Flugrekorde aufstellte, die z.T. jahrzehntelang Gültigkeit hatten. Sie wurde in Neuseeland geboren, nach der Trennung ihrer Eltern lebte sie - stets zusammen mit der Mutter Nellie - in sehr bescheidenen Verhältnissen.

Nur ein eiserner Wille und unglaubliche Kraftanstrengungen ermöglichten ihr die Erfolge, die sie in den Himmel der Stars katapultierte. Für einige Zeit. Dann war sie nur noch in Fliegerkreisen bekannt, lebte auf Jamaika, Teneriffa, immer wieder in England, eine Rückkehr nach Neuseeland verlief eher ernüchternd - ihr unruhiger Geist trieb sie durch die Welt. Sie hatte nie eine eigene Familie gegründet, bis zum Tod Nellis mit fast neunzig Jahren war die Mutter ihr Anker. Auch dieses Verhältnis war nicht ganz unproblematisch, doch eines ist gewiss: Nellie glaubte immer an ihre Tochter und verbarg alle Ängste, die mit den Rekordflügen ihrer Tochter verbunden waren. Ein ungewöhnliches Leben, voller Abenteuer und auch großer Einsamkeit - Fiona Kidman hat das alles in ihrem Roman sehr anschaulich und mit großer Sympathie für ihre Heldin beschrieben.

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Elena Ferrante:

Die Geschichte eines neuen Namens

Aus Lila Cerullo wurde Lila Carracci, Ehefrau und Eigentum von Stefano Carracci. Lila hätte sich beugen und fügen müssen, doch das ist nicht ihr Naturell. Diverse Male fängt sie neu an, krempelt ihr Leben um, nimmt sich Freiheiten, die ihr nicht zustehen. Und bezahlt teuer dafür.

Elena ist sehr erfolgreich: sie verlässt die Welt des Rione,

legt ein Examen mit Auszeichnung ab, verlobt sich mit einem Akademiker. Sie könnte stolz sein, doch die Zweifel sitzen tief und nagen an ihrer Seele. Die Dualität und Rivalität der Lebensentwürfe der beiden Mädchen spiegeln die gesellschaftlichen Umstände der 1960er Jahre und sie leuchten tief in die Köpfe und Herzen zweier junger Frauen, die beide ausbrechen möchten, auf ganz unterschiedliche Arten. Und die beide ein großes Bedürfnis haben, ihre Geschichten und Gedanken nieder zu schreiben.

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John Clare: Reise aus Essex

Clare gehört in England zu den großen Naturdichtern der Romantik.

In Deutschland ist er weitgehend unbekannt, nun liegt endlich ein Band mit autobiographischen Schriften vor, die es ermöglichen, den Dichter zu entdecken. Detailliert und mit dem Anspruch der Wahrhaftigkeit beschreibt Clare in diesen Fragmenten seine Entwicklung von Kindesbeinen an bis zum Mannesalter und sich einstellendem Erfolg als Dichter. Herzstück des Buches ist der Bericht über einen viertägigen Gewaltmarsch nach der Flucht aus einer psychiatrischen Anstalt, in die er mit achtundvierzig Jahren eingewiesen worden war. An Körper und Seele völlig zerschunden kommt er zu Hause an, sein Text beschreibt eindrücklich seine Verzweiflung. Er kommt nicht wieder auf die Beine und verbringt die letzten dreiundzwanzig Jahre seines Lebens in der Psychiatrie. Doch die Gedichte und Essays, die er zuvor schrieb, sind einzigartig und machen ihn zu einem großartigen Chronisten des englischen Landlebens.

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Ernst Jandl - Ian Hamilton Finlay:

not / a concrete pot - Briefwechsel

Der hier erstmals publizierte Briefwechsel gibt Einblick in die Werkstatt zweier Dichter, beide Vertreter der Konkreten Poesie.

Sie tauschen sich sehr vertraut über Persönliches, die Schwierigkeiten des Veröffentlichens und Verlegens, die gesundheitlichen und finanziellen Malaisen aus - und über Fragen der Poesie. Was kann Konkrete Poesie, woran bemisst sich der ästhetische Wert eines Kunstwerkes? 

Beide suchen und ringen, mit sich selbst, der Poesie, dem Leben. Der Briefwechsel ist "Zeuge eines poetologischen und poetischen Gesprächs", dargelegt in einem sehr schön gestalteten Buch mit vielen Abbildungen.

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Johannes Bobrowski: Mäusefest

Zweiundzwanzig Erzählungen aus den Jahren 1962 bzw 1965, die auf die Zeit vor und während des Krieges zurückblicken. Die Personen in den Geschichten ahnen, was auf sie zukommt, der Leser weiß es.

Bobrowski erzählt von Menschen und Landschaften (dem Ostpreußen seiner Kindheit), von Bedrohung, Verlust und Verwüstung. Und dies in einer außergewöhnlichen Sprache, die präzise, bilderreich, poetisch und auch witzig ist.

Tief- und hintergründig sind die auf den ersten Blick so ruhigen Texte, in ihnen herrscht eine großartige Weite -

auch wenn sie in kleinen Dörfern und kleinsten Hütten angesiedelt sind.

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Octave Mirbeau:

Diese verdammte Hand

Georges, von seiner Familie als "Schwachkopf" bezeichnet, erkennt in der Begegnung mir Lucien, einem Maler, der unverkennbar die Züge van Goghs trägt, dass auch er ein Künstler ist. Er schreibt. Und er begleitet Lucien nicht nur, er ist ein Spiegel des Freundes, der dessen Leben und Leiden mit und an der Kunst aufzeichnet. Der Journalist, Kritiker, Romanautor und Anarchist Mirbeau geht hart ins Gericht mit der Gesellschaft, die jede Individualität unterdrückt.

Und er beschreibt die Qualen eines Künstlers, der, in seinen Augen, vergeblich versucht, sein Inneres in Farbe zu fassen. Formal ist der Roman ein wegweisender des ausgehenden

19. Jahrhunderts, denn er bricht mit der Erzähltradition des Naturalismus. Gedanklich nimmt er den Existenzialismus vorweg.

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Lynne Sharon Schwartz:

Alles bleibt in der Familie

Eine Großfamilie in New York, die vor Augen führt, wie moderne Vielfalt Platz finden kann in der altmodischen Struktur "Familie". Dass diese Familie funktioniert (mit viel und auch ungewöhnlichem Patchwork), ist vor allem Bea zu verdanken, die mit ihrem großen Herzen dafür sorgt, dass alle aufgenommen werden und ihren Platz an der Tafel finden. Sie ist jetzt fünfzig, erzählt werden die zehn Jahre zuvor,

mit all den Umbrüchen und Veränderungen, mit ihren Suchbewegungen, Kreisen und Mäandern der einzelnen Familienmitglieder (und das sind wirklich viele).

Diese Familiengeschichte ist ein Plädoyer für die Vielfalt,  

die Großzügigkeit, das Miteinander. Und witzig ist sie dazu, scharf beobachtet und feinsinnig geschildert.

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Paolo Rumiz: Der Leuchtturm

Der Reiseschriftsteller Rumiz verbringt

drei Wochen auf einer winzigen Insel im Mittelmeer. Er wohnt im dortigen Leuchtturm und erlebt die Kräfte der

Natur hautnah, geistreinigend und

seelenverändernd. Er reflektiert über die mediterrane Kultur, das einstmals Verbindende des Mittelmeeres, die Lingua franca, die von Gier bestimmte Politik des modernen Menschen. Er lernt, wie wenig der Mensch zum Leben braucht und wie viel er sich nimmt.

Er lernt die verschiedenen Winde kennen, er spürt die Seele der kargen Insel, er begegnet abseits der Ablenkungen des "normalen" Lebens seinem eigenen Ich - ohne darüber das große Ganze aus den Augen zu verlieren.

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Stephan Lohse: Ein fauler Gott

Der elfjährige Ben verliert seinen kleinen Bruder. Zurück bleiben er und die verzweifelte Mutter, der Vater lebt mit seiner zweiten Frau weit weg.

Während Ruth, die Mutter, gegen eine sich immer mehr verhärtende Leere ankämpft, schafft Ben den Weg heraus aus der alles bestimmenden Trauer. Seine Naivität und Neugier aufs Leben gewinnen die Oberhand. Der Roman spielt Anfang

der 1970er Jahre und fängt die Atmosphäre dieser Zeit wunderbar ein. Und wirklich beeindruckend ist, wie nah der Autor dem Leser Ben und seine Mutter bringt, ohne ihnen

zu nahe zu treten. Mit feiner Beobachtungsgabe beschreibt er ihre Mühen und auch die Hilfen, die sie erfahren, die Umgebung, in der sie sich bewegen und wie die Lust am Spiel Leben retten kann.

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Bov Bjerg: Auerhaus

Eine SchülerWG Mitte der 80er Jahre in einem Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb: hier spielt der Roman, der unglaublich gut die Atmosphäre, die Stimmung der Zeit und ihre spezifische Sprache einfängt.

Die sechs Jugendlichen, die dort zusammen wohnen, probieren das richtige Leben aus. Es bedeutet viel Improvisation, diverse Partys und sehr viel reden. Es liest sich leicht und oft lustig, dieses Buch, doch es hat einen ernsten Untergrund: die jungen Menschen sind hier, weil Frieder versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Sie wollen aufpassen, dass es ihm nicht bei einem zweiten Versuch gelingt - und sie möchten ihm einen Grund aufzeigen, warum es sich lohnt, zu leben. Doch dafür muss jeder für sich diesen erstmal finden.

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David Garnett: Mann im Zoo

Nach einem Streit mit seiner Freundin Josephine im Londoner Zoo, bei dem sie ihm vorwirft, selbst hierher zu gehören, bittet John um Aufnahme und zieht tatsächlich als Exponat ins Affenhaus ein. Er wird zur Sensation, die Massen strömen, alle wollen ihn sehen, diesen Homo sapiens. Der Roman beherbergt mehrere Geschichten in sich: psychologische und gesellschaftskritische Studie auf der einen, eine hinreißende, von großen Gefühlen dominierte Liebesgeschichte mit der Möglichkeit ganz unterschiedlicher Lesarten auf der anderen Seite. Das alles mit Eleganz,

Humor und Ironie in bester englischer Erzähltradition,

very gentlemanlike.

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Sabine Friedrich: Immerwahr

Im Jahr 1900 promoviert Clara Immerwahr in Chemie als erste Frau an der Universität Breslau. Sie ist schon dreißig und heiratet kurz darauf den Chemiker Fritz Haber, ein Jahr später kommt der Sohn Hermann zur Welt. Clara hatte von einer wissenschaft-lichen Arbeit an der Seite ihres Mannes geträumt, gemeinsam mit ihm wollte sie das Leben der Menschen verbessern - doch sie versinkt in den häuslichen Pflichten einer Ehefrau und Mutter. Haber hat überhaupt kein Interesse daran, mit ihr zu arbeiten. Clara durchlebt das Drama einer intelligenten und gut ausgebildeten Frau, die keinerlei Anerkennung erfährt und die die Schuld dafür noch bei sich sucht. So hat sie es gelernt: die Frau nimmt sich zurück, dient und pflegt, es steht ihr nicht zu, sich das zu nehmen, was sie möchte. Diesen Konflikt von Erwartungen der Gesellschaft und eigenen Wünschen stellt Friedrich in den Mittelpunkt, auch der Zeitgeist wird anschaulich porträtiert. Es wird Clara sein, die ihrem Leben ein Ende setzt, nicht nur, weil Fritz sie als "Verräterin" beschimpft. Er hat das Gas entwickelt, das 1915 in Belgien eingesetzt wurde, er hat die Wissenschaft verraten. Sie ist all diesen Widersprüchen nicht mehr gewachsen.

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Elena Ferrante: Meine geniale Freundin

Dieser Roman spielt in den 1950er Jahren

in Neapel. Die unzertrennlichen und sehr ungleichen Freundinnen Elena und Lila kämpfen um ihren Platz im Leben.

Die hochintelligente Lila hat das Pech, nach der Grundschule in der Schusterwerkstatt ihres Vaters mitarbeiten zu müssen, während Elena Mittelschule und Gymnasium besuchen darf. Trotz all ihrer Bildung fühlt Elena sich nicht gleichwertig: Lila ist ihr im Leben immer mindestens einen Schritt voraus. Doch auch Lila steht auf wackligen Füßen und gibt einen

Teil ihrer eigenen Sehnsüchte an Elena ab. Es entsteht eine spannungsreiche Beziehung mit wechselseitigem Bewundern, Fremdsein, Vertrauen und Unverständnis.

Dies alles eingebettet in ein reiches Geflecht aus Beziehungen zu Verwandten, Nachbarn, Mitschülern, Verehrern und Freunden - und in die Stadt Neapel, die eine weitere Protagonistin des Romans ist. Die Geschichte ist sehr plastisch, sehr lebendig, hochinteressant, wunderbar menschlich und erzählt Geschichte aus weiblicher Sicht.

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Rabih Alameddine:

Eine überflüssige Frau

Die zweiundsiebzigjährige Aaliya muss zwei aufreibende Tage überstehen: plötzlich taucht ihr Halbbruder in ihrer Beiruter Wohnung auf, um die Mutter bei ihr abzuliefern, einen Tag später kommt es zu einem Wasserschaden inclusive Überschwemmung.

(Fast) zu viel auf einmal für die Frau, die es gewohnt ist, sehr zurückgezogen zu leben und sich der Literatur und ihren Übersetzungen ins Arabische zu widmen.

Alameddine, einer der renommiertesten Schriftsteller des Nahen Ostens, kreiert um diese Ereignisse herum einen Roman, in welchem Aaliya wie eine moderne Scheherazade mit vielen Gedanken und Gedankensprüngen, Abschweifungen und Umwegen eine dichte Geschichte ihres Lebens und das ihrer Heimatstadt Beirut erzählt.

Mit herzenswarmer Stimme und gütigem Humor überstand sie ihr Leben und so wird sie auch die beiden Tage mit ihren Folgen meistern...

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Anne Garréta: Sphinx

Ein namenloser Ich-Erzähler und A*** erleben eine Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen, am Ende bleibt der Erzähler mit all seinen Erinnerungen und all seiner Trauer alleine zurück. Um Ordnung in seine Gedanken zu bringen, schreibt er rückblickend auf, was während der Jahre in Paris, New York oder auf Reisen in andere Städte geschah. Der Erzähler war DJ in einer beliebten Pariser Disco, A*** Star einer Tanzrevue, beider Leben findet hauptsächlich nachts statt. Das besondere an dieser Geschichte ist: von keinem der beiden Protagonisten erfährt der Leser das Geschlecht. Dies führt vor Augen, wie schwer es ist, frei von Stereotypen und angelernten Mustern auf einen Menschen zu blicken und die Frage A***s  "Wie siehst du mich eigentlich?" unverstellt und auf jeden einzelnen Menschen bezogen zu beantworten.

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Paul McVeigh: Guter Junge

Mickey hat gerade die Elementary School hinter sich und träumt von einer besseren Zeit auf der St. Malachy´s - die neue Schule ist seine einzige Hoffnung, den Grausamkeiten seiner Klassenkameraden zu entkommen. Doch der Traum platzt, seine Eltern haben kein Geld für diese Schule.  Neun Wochen Sommerferien verbleiben ihm, um sich mit diesem Gedanken anzufreunden, neun Wochen,

die er in seinem Stadtteil Ardoyne, Belfast, verbringt.

Der katholische Teil ist genau so arm wie die protestan-tischen Teile, in der Stadt regiert die Gewalt der Briten, der IRA und der Randalierer von beiden Seiten.  Kein guter Ort für ein verträumtes, naiv-ehrliches und phantasievolles Kind, das nicht in die Kategorie "ein richtiger Junge" fällt.

Er möchte auch lieber ein guter Junge sein, um seine Mutter glücklich zu machen, die sehr unter dem saufenden Vater leidet. Mickey träumt unverdrossen von einem Leben in Amerika, er schmiedet Pläne, wie er gleichzeitig den Vater loswerden und dorthin gelangen könnte - und all das neben der ersten Liebe,  dem Verlust seines geliebten Hundes und der alltäglichen Gewalt um ihn herum.

Ein sehr warmherziges Buch, das einen Kämpfer in den Mittelpunkt stellt: er kämpft für sein Leben, seine Zukunft, seine Träume.

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Vita Sackville-West:

Unerwartete Leidenschaft

Lady Deborah Slane überrascht nach dem Tod ihres Mannes die ganze Familie: sie wird sich nicht in deren Obhut begeben, sie wird in ein eigenes kleines Häuschen ziehen. Nur sie und ihre Zofe, die eine achtundachtzig, die andere nur zwei Jahre jünger. Damit tut Lady Slane zum ersten Mal in ihrem Leben das, was sie tun möchte, und nicht das, was andere für sie entscheiden. Ein Teil ihrer Gedanken gehört der Vergangenheit, ein anderer grundsätzlichen Fragen zum Leben von Männern und Frauen und deren gänzlich verschiedenen Möglichkeiten. Ein weiteres Feld ist das Thema Alter, das die Autorin sehr einfühlsam beschreibt, obwohl sie bei der Verfassung des Romans noch keine vierzig war. Lady Slane lebt sich jedenfalls gut ein, und als dann

auch noch Herr FitzGeorge auftaucht, zeigt sich, dass Gestaltungswille nichts mit der Anzahl an gelebten Jahren

zu tun hat. Und man vor Leidenschaft nie sicher ist - und diese auf sehr vielen Gebieten existiert. Ein wundervoll "englischer"  Roman, geschrieben mit leichter und eleganter Feder, ohne Groll oder Bitterkeit.

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Virginia Woolf: Orlando

Orlando wird im 16. Jahrhundert in England geboren. Vom Hof der Königin wechselt er als Gesandter nach Konstantinopel, fällt dort nach vielen Turbulenzen in seinem Leben in eine tiefe Trance - und wacht als Frau wieder auf. Damit wechselt der Blickwinkel von der männlichen in die weibliche Perspektive und gibt der unnachahmlich scharfsinnigen Dichterin die Möglichkeit, durch die verschiedenen Zeitalter zu schreiten und deren Veränderungen mit viel Witz einzufangen - denn Orlando lebt weiter.  In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist Orlando eine moderne Frau geworden, die selbstbewusst ihren Wagen durch London steuert, doch sie ist auch eine,

die immer noch sehr gegen überkommene Vorstellungen kämpft. Ein grandioses Lesevergnügen, kein bisschen angestaubt, sondern immer noch hochaktuell.

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Wolfgang Herrndorf: Tschick

Zwei Vierzehnjährige wollen mit einem geklauten Lada von Berlin aus in die Walachei fahren. Sie kommen nicht ganz so weit, erleben aber den Sommer ihres Lebens. Sie lernen Menschen kennen, von denen sie nie gedacht hätten, dass es sie gibt, sie lernen ein ihnen völlig unbekanntes und neues Deutschland kennen, sie erleben großartige Natur und tiefe Freundschaft. Die Ausgabe der Edition Büchergilde wurde von Laura Olschok mit feinen,

die bedeutsamsten Momente der Erzählung einfangenden Zeichnungen illustriert. Sie geben dem Roman, der längst ein Bestseller ist, neue Tiefe und Anschaulichkeit und sind eine wunderbare Ergänzung dieses außergewöhnlichen Buches.

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David Grossman:

Kommt ein Pferd in die Bar

Der Stand-up-Comedian Dovele erzählt im Alter von 57 Jahren bei einem Auftritt in Netanja sein ganzes Leben. Das ist streckenweise komisch, dem Publikum bleibt jedoch zunehmend das Lachen im Hals stecken. Viele verlassen den Saal.

Am Ende ist nur noch ein Freund aus Kindertagen anwesend, der Richter Avischar. Die Männer sehen sich zum ersten Mal seit über 40 Jahren wieder,

Dovele hatte ihn extra eingeladen. Der Abend ist schon bald keine witzige Show mehr, sondern eine Mischung aus Beichte und Gerichtsverhandlung, denn Dovele bat den Richter schon vorher um ein Urteil. Der Roman schrammt an manchen Stellen am Unerträglichen entlang, hier scheint ein Schicksal sehr früh schon von einer großen Schuld besiegelt worden zu sein. Bleibt zu hoffen, dass Dovele einen milden Richter gewählt hat...

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Claudio Magris: Ein anderes Meer

Gerade mit seinem Studium der Altphilologie fertig geworden, wandert Enrico Mreule nach Argentinien aus.

Er verlässt seine Heimatstadt Görz bei Triest und er lässt den geliebten und verehrten Freund Carlo zurück. Dieser

ist der Fixstern in Enricos Leben und Denken. Nach einsamen Jahren als Cowboy kehrt Enrico 1922 zurück, Carlo lebt nicht mehr. Enrico wird Lehrer, er heiratet, schließlich zieht er sich in ein kleines Dorf an der Küste zurück.

Er lebt in Selbstbeschränkung und lässt das Jahrhundert an sich vorüberziehen wie ein Mann, der nicht das Leben sucht, sondern versucht, es zu verlieren.

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Lilian Faschinger: Magdalena Sünderin

Die schöne Magdalena entführt einen Priester aus dem Pfingstgottesdienst heraus. Im tiefen Wald fesselt sie ihn an einen Baum und zwingt ihn, ihr zuzuhören. Sie legt eine lange Beichte ab und berichtet von den sieben Liebhabern, die sie ermordet hat. Doch im Lauf der Beichte wird aus der Sünderin (fast) eine Erlöserin, der Pfarrer erlebt Unerhörtes und der Leser kommt in den Genuss einer hintersinnigen Scheherazade, deren Dreh- und Angelpunkt die Leidenschaft ist.

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Dorothy Baker: Zwei Schwestern

Judy plant ihre Hochzeit mit Jack.

Ihre Zwillingsschwester Cassie meint, sie vor diesem kolossalen Fehler bewahren zu müssen und will ihr die Heirat ausreden.  Sie entfesselt am Abend vor der Hochzeit ein großes Drama, das alle ihre Ängste offen legt: sie kann und will nicht ohne ihre Schwester leben.  

In diesem scharfsichtigen Roman, der wie kein zweiter die Besonderheiten des Zwilling-Seins beleuchtet, geht es um den Konflikt des gleichzeitigen Zueinander- und Auseinanderstrebens - mit existenzbedrohenden Folgen.

In diesem Konflikt verankert ist die unendliche Mühe, eine eigene Identität zu finden.

Ein sehr tiefgehender Roman, der stilistisch, psychologisch und thematisch eine Besonderheit darstellt und überaus fesselnd ist.

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Margaret Forster:

"Ich warte darauf, daß etwas geschieht"

Millicent King, 1901-2000, fing mit dreizehn Jahren an, Tagebuch zu schreiben.  Sie führt diese Gewohnheit bis zum Alter von sechsundneunzig fort und schafft damit ein Werk, das ein ganzes Jahrhundert umfasst. Ihr Lebens sei ein "gewöhnliches", sagt sie selbst, doch gibt es das überhaupt? Die Schriftstellerin Margaret Forster wählt für ihren Roman die Form des Tagebuches und erzählt die Geschichte eines Lebens, das Millicent mit vielen Frauen ihrer Generation teilt. Und damit zum Symbol wird wie der "Unbekannte Soldat": die Unbekannte Frau ihrer Zeit.

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Charles Dickens - Ein Autorenporträt

Charles Dickens ist der Klassiker des

19. Jahrhunderts - er schuf Figuren, die Teil der britischen Kultur wurden, deren Namen Eingang in die Alltagssprache fanden. Seine auch literaturgeschichtlich wegweisenden Romane begeistern und berühren ihre Leser bis heute, darüber hinaus ist Dickens ein unermüdlicher Kämpfer für Aufklärung und Menschenrechte.

Protagonisten wie "Oliver Twist" oder Pip aus "Große Erwartungen" machen noch heute auf Missstände aufmerksam, die es so in Nordeuropa nicht mehr gibt, aber an vielen anderen Orten der Welt.

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Natalia Ginzburg: Familienlexikon

Ginzburg erzählt die Geschichte ihrer Familie und die Italiens von den 1920ern bis in die 50er Jahre hinein. Im Haus der Levis verkehren Wissenschaftler, Ingenieure und sehr viele politische Aktivisten. Die Brüder Natalias sind im Widerstand aktiv, die Eltern verstecken Verfolgte. Das, was die Familie zusammenhält ist ihr "Familienwörterbuch": immer wieder erzählte Geschichten oder eingestreute Sätze, an denen sich die fünf Kinder nach Jahrzehnten wiedererkennen. Ein weit verzweigtes, facettenreiches und an vielen Stellen sehr amüsantes Portrait, erzählt aus den Erinnerungen der jüngsten Tochter, einer der wichtigsten Schriftstellerinnen Italiens. 

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Wolfgang Herrndorf:

Bilder deiner großen Liebe

Isa, dem "Müllmädchen" aus "Tschick" ist Herrndorfs letzter Roman gewidmet.

Er blieb unvollendet und weist einige Ungereimtheiten auf. Doch diese stören nicht, denn Isa ist eine so vielfältige Persönlichkeit, so jung, unerschrocken und frech, gleichzeitig traurig, wissend, erfahren und fast mystisch, sie hätte sich sowieso nur schwer in eine geschlossene Form zwingen lassen. Ihre Reise zu Fuß ist das Pendant zur Roadnovel "Tschick", erzählt wird ein Ausschnitt aus Isas Leben.

Herrndorf ist ein ganz großer Erneuerer der deutschen Literatur, nirgends sonst liest man diese Vereinigung von Jugendsprache, Poesie und tief empfundenem Wissen ohne Sentimentalitäten.

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Wolfgang Herrndorf:

Arbeit und Struktur

Anfang 2010 bekam W. Herrndorf die Diagnose Hirntumor, unheilbar.

Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch verbleibt, er wusste, dass er diesen Zustand nur durch Arbeit erträglich machen kann. Er schrieb in dreieinhalb Jahren zwei Romane und parallel dazu dieses Blog, das nun in Buchform erschienen ist.

Es ist ein Text ohne Nebensächlichkeiten, ohne Selbstmitleid, ohne Lebensweisheiten und letzte Worte geworden. Überaus beeindruckend in seiner Klarheit.

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